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Marakesch

Frau HoffmannAch, so schlimm wird’s schon nicht werden,“ sagte der Busfahrer und zertrat den Rest seiner Zigarette. Dann erst kletterte er in sein Dienstfahrzeug und verstaute die Zettel, welche unsere Fahrberechtigung dokumentierten, in der Tiefe unter uns, nicht ohne 80 Euro kassiert zu haben zu haben. Meine, an dieser Stelle wohl tausend Mal gemachte Bemerkung „Das ist aber teuer“, entgegnete er routiniert mit: „Is ja auch für Hin- und Rückfahrt. Und das mitten in der Nacht!“

Richtig. Und insofern gerechtfertigt. Marrakesch erreicht man nicht so leicht wie Venedig. Außerdem ist man dort ziemlich sicher, nicht in einem Scherbenhaufen zu landen, wie uns das sowohl in Kairo als auch in Athen passierte. Die Verursacher des lästigen Saharastaubs, waren in diesem Frühjahr Dauerthema der Meteorologen. Auch Touristen dürfen sich eines deutlichen Interesses bei den Ordnungskräften erfreuen. Letztere sind verstärkt auf den Straßen zu finden, zum Schutz der Ersteren vor den tüchtigen Teppichhändlern. Doch sollte man diese nicht unterschätzen. Was immer einem für zu Hause angedreht wird – und es gibt nichts, was die gerissenen Kapitalisten einem nicht andrehen

können – sie liefern auch sperrige Andenken zuverlässig und ziemlich bald an eine Adresse in Europa.

Das bedeutet aber nicht, dass Madame und Ich nach Marrakesch geflogen sind, um von dort ein Klavier aus Elfenbein (oder Elfenbeinimitat) an die Lieben daheim zu schicken.

Mich interessierte, wie zu erwarten, die Regionale Küche.

Wobei ich mir keine Illusionen machte. Denn die Hirse gehört nicht gerade zu meinen Leibspeisen. Unter dem Namen Cous ­­cous nimmt sie den Platz ein, den wir Schweinefleischesser der Kartoffel zuordnen.

Hier sind einige Adressen im Stadtzentrum, die Marrakesch so einzigartig machen. Da ist erst einmal das Fehlen aller Wolkenkratzer, dafür sind moderne Bauten von hohen Mauern umgeben, welche teilweise sehr gepflegte Gärten und Innenhöfe beinhalten. Grünanlagen und Parks sind mustergültig gepflegt. Vor allem der nach dem Maler Majorelle benannte Park ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Was hier in der Straße Yves Saint Laurent mit Hilfe der Natur gelungen ist, kann auch das Hotel Royal Mansour triumphierend vorweisen: ein absolutes Kunstwerk in arabischem Stil, dem man die königliche Herkunft von weitem ansieht (Rue Abou Abbas el Sept).

Die klassische Gastronomie Marrakeschs heißt Hotel La Mamounia. Hier haben alle gewohnt, die schon vor Jahrzehnten nach Grand Hotels verlangten (Avenue Med. VI).

In unmittelbarer Nähe der pittoresken Medina befinden sich zwei wichtige Adressen, das Complexe d’Artisanat. Voll ma- marokkanischem Kunsthandwerk, wo Handwerker ihre Produkte verkaufen, ohne zu feilschen, sowie die Patisserie des Princes, in Ba Agnaou, wo sie leckere Mandelplätzchen und dergleichen backen.

Das Restaurant Fouquet’s im Hotel Naoura Barriére war ein Erlebnis eigener Art, und das La Maison Arabe bilden zusammen die Mittelschicht in Marrakesch, alle in Stadtmitte. Eine reine Frauenküche fanden wir im Al Fassia (1) und Al Fassia (2).

Das luxuriöseste Hotel war 20 Minuten von der Stadt entfernt, und heißt Palais Namaskar. Es ist so einmalig, dass ich es im ZEITmagazin Nr. 14 extra besprochen habe.

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Größte Auster der Welt

Frau HoffmannDänische Freunde haben mir eine Nachricht ins Haus geschickt, die ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte: An ihrer südlichen Nordseeküst ist die größe Auster der Welt gefunden worden. Sie ist 35,5 cm groß und hat damit das Traummaß aller gierigen Schnitzelesser erreicht bzw. übertroffen, für die ein Wiener Schnitzel so groß sein muss, dass es über den Tellerrand schwappt.
Das ist neu für das Guinness Buch der Rekorde und furchteinflößend für mich, weil ich mich erinnere, vor langer Zeit in den USA eine Auster gegessen zu haben, für die extra Messer und Gabel serviert wurden. Wie diese Riesenauster geschmeckt hat, weiß ich nicht mehr (ist zu lange her), aber dass ich mich vor dem Monster ziemlich ekelte, wird man nachempfinden können; auch wenn Austern heute
zu meinen liebsten Muscheln gehören.
Das Alter der Dänischen Riesin wird auf 20 Jahre geschätzt, was die Dänen aber erst genau feststellen können, wenn sie die Glibber-Oma abmurksen. Vorläufig liegt sie noch 1. Klasse im Aquarium von Ribe
und wird mit Planktonalgen gefüttert, was mich an eine Scherzfrage nach meiner Henkersmahlzeit erinnert: Austern satt.

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WIR HAMS JA

Frau HoffmannDie europäischen Landwirtschaft steckt in einer wunder­baren Krise. Sie könnte sich zum Segen der Konsumenten entwickeln. Dazu bedarf es allerdings einer radikalen Ver­änderung in der Agrarpolitik. Der Rationalisierungswahn mit seiner zwangsläufigen Massenproduktion muss als das Erzübel erkannt werden, das wie eine Seuche jede Qualität der Nahrungsmittel verhindert.
Aber Halt! War da nicht was? Haben wir nicht soeben aus dem Mund der ehemaligen CSU-Landwirtschaftsministerin ein Bekennt­nis zu genfreien Pflanzen gehört? Es klang sehr leise, fast zag­haft, aber es war deutlich.
Sie, die jahrelang unverdrossen für die genmanipulierten Produkte des Samengiganten Monsanto geworben hatte, die ihr besonders ans Herz gewachsen schienen – und die auch sonst ein offenes Ohr von der Größe eines afrikani­schen Dickhäuters für die Wünsche der Agrarindustrie hatte, sie gelobte, dass dieses Teufels­zeug auf bayeri­schem Boden nicht ausgesät werde. (Das kann nur be­deu­­ten: den Bajuwaren steht eine Landtagswahl bevor.) Immerhin sollte es uns eine Lehre sein, wie plötzlich sich die offi­zielle Doktrin ändern kann. Da musste nur ein un­fä­higer Minister ge­kippt werden, weil ein anderer, der es nicht einmal zum Minister gebracht hat, sich auf dem Klo Nacktfotos ansieht, so dass in der militärischen Ecke der Republik ein paar clevere Typen zig Millio­nen Euro am Par­lament vorbei verjuxen, was ihnen eine penible Haushäl­terin nicht gönnt.
Erstaunlich bei dem Verwirrspiel ist jedenfalls die Ge­schwindig­keit, mit der da neue Agrarminister, Drohnen­beschaffer, Softpornografen, Aufsitzende, Vorsitzende, Plagiatorinnen und Nachsitzende aus dem Hut gezogen werden.
Nun ja – wer hat, der hat.

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Die Einzelheiten zu beschreiben, die zu dem Fiasko geführt haben, ist nicht nötig. Jeder, der sich informieren wollte, hatte im letzten Jahr Gelegenheit genug, die unappetitlichen Details kennenzuler­nen. Kein einzelnes ist wie ein Naturereignis über die Konsumen­ten gekommen. Alle Katastrophen sind hausgemacht. Die hun­dert­­tausend abgeschlachteten Rinder, die exekutierten Schafe, die brennenden Schweine – und was sonst alles dem Irrsinn der Funktionäre zum Opfer fiel – sie sind einem gemein­samen Virus erlegen: der Sucht des Konsumenten nach dem Billigangebot.
Weil die Eier immer noch so billig sein sollen wie vor vier Jahr­zehnten, werden Millionen Hühner in KZ-ähnlichen Käfigen gequält; weil die Verbraucher jeden Tag Fleisch essen wollen, werden Schweine und Kälber mit Wachstumshormonen gedopt, Tier­quälerei ist die tägliche Beilage auf unseren Tellern.
Was dort seit langem nicht mehr zu entdecken ist, nannte man früher Produktqualität. Alles was in Massen produziert wird, damit es möglichst billig ist, verliert an Qualität. Das ist so etwas wie ein Naturgesetz in unserer globalisierten Gesellschaft. Entsprechend verkam die Qualität unserer Ernährung in dem Maße, wie das Essen durch Massenproduktion immer billiger wurde.
Das tägliche Stück Fleisch wurde zum Symbol unseres Wohl-stands, und nie hat sich die zivilisierte Menschheit so zynisch über die Naturgesetze hinweg gesetzt wie in unserer Zeit. Dafür büßen wir.
Den einen zerfrisst die Furcht die Seele, am Essen zu erkranken. Andere fürchten um ihre Einnahmen, wenn die kriminelle Behand­lung, die sie den ihnen anvertrauten Tieren angetan haben, plötz­lich verboten wird. Die dritten fürchten allgemein um ihren Berufsstand, weil sie nicht wissen, wie sie ihn erhalten können, wenn seine Methoden radikal geändert werden. Wieder andere fürchten um ihre Pfründe, weil der Volkszorn ihnen möglicher­weise die Wiederwahl verweigert. Die Furcht geht um in unserer Gesellschaft, und das ist gut so. Denn die Furcht ist die Mutter der Vernunft.
Darüberhinaus muß der Verbraucher erkennen, dass er nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist. Mit seiner hartnäckigen Weigerung, für gute Qualität mehr Geld auszugeben als für schlechte, hat er den Produzenten die Möglichkeit gegeben, den Markt zu über­schwemmen mit Produkten, die biologisch und kulinarisch gese­hen Schund sind. Nicht nur die Produkte der Landwirtschaft. Auch was sonst in Dosen und Döschen, in Bechern und Büchsen, unter Plastik und eingefroren dem Konsumenten aufgeschwatzt wird, ist größtenteils nicht für den menschlichen Verzehr geeignet – sofern der etwas mit Genuss zu tun haben soll.
Nicht anders bei den billigen Schnitzeln vom Schwein, den Hühnerkeulen und Rindersteaks aus Massentierhaltungen. Die Feinschmecker unter den Verbrauchern haben das als erste er­kannt; allein ihretwegen konnten die ersten Biobauern existie­ren. Nun ist die Furcht dazu gekommen und hat die gesundheitlichen Aspekte unserer Ernährung in den Mittelpunkt gerückt. Dass damit gleichzeitig die Interessen der Feinschme­cker berücksich­tigt werden, ist zwangsläufig, auch wenn diese mit den Schnäpp­chenjägern, die jetzt um ihren Kreislauf fürchten, wenig gemein­sam haben. Eine Zwangskoalition nennt man das. Ihre Notwen­digkeit steht außer Frage. Denn beide zusammen haben eine starke Waffe in der Hand: den Boykott der minderwertigen Qua­litäten.
Die Chance für eine Wendung zum Besseren war noch sie so groß wie jetzt, da über europäische Äcker die Giftwolken der chemi­schen Spritzmittel ziehen. Der Konsument muss sich nur seiner Macht bewusst sein – und seine unselige Bedürfnislosigkeit ge­genüber dem besseren Essen aufgeben.

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SUCH DEN GRÜNEWALD

Frau HoffmannSeit einigen Wochen werden die Medien von einem Thema beherrscht. Es heißt: „Frankreich, und wie die Wirtschaft den Bach hinunter geht“. Wir frankophonen Feinschmecker lesen es mit Bestürzung. So schlimm wird’s wohl nicht sein, denken wir, und erinnern uns an die Froschschenkel, die im Aigle d’Or auf der Speisekarte stehen. Wir denken verzückt an den einmaligen Münster, den das hübsche Hotel de la Ferme in Osthouse seinen Gästen zum Frühstück serviert, und beruhigen uns mit dem Gedanken, dass ein Land, das solche Edelkäse bereits am frühen Morgen anbietet, so arm nicht dran sein kann. Dann steigen wir ins Auto, weil es gilt, einem jungen Freund weitere Kostbarkeiten des Elsass zu zeigen. Wir nehmen Kurs auf Kolmar, denn dort wartet der Isenheimer Altar, das oberrheinische Hauptwerk der gotischen Malerei, das nur mit der Mona Lisa zu vergleichen ist, wenn man seine kunstgeschichtliche Bedeutung würdigen will.

Unvermeidlich muss man das Meisterwerk des Mathias Grünewald aus dem Jahr 1506 erst mal finden. Das ist ziemlich schwierig, weil der berühmte Altar für einige Jahre in einem anderen Gebäude untergebracht wurde; der Tourismusverband es jedoch nicht für notwendig hält, durch Plakate oder sonstige Hinweise darauf aufmerksam zu machen.

Es ist aber sehr wohl notwendig, denn genau so gut hätten sie das renommierte Kunstwerk im Brasilianischen Regenwald verstecken können. Wer nur wegen des Grünewald-Altars nach Kolmar fährt, muss früh aufstehen. Erst gilt es, ein Parkhaus zu finden. Dabei ist ihm kein Tourismus Manager behilflich. Auch als Flaneur in der Altstadt findet man weder Trost noch den Altar. Nicht ein Plakat, nicht ein Wegweiser lassen ahnen, dass man sich kurz vor einem der größten Kunstwerke der Welt befindet. So ist es keine Wunder, dass die erste Auskunft, die man um 11.40 Uhr an der endlich gefundenen Museumskasse erhält, den Terminkalender des Tages völlig durcheinander bringt: Von 12.00 bis 14.00 Uhr geschlossen.“ Was auf gut Deutsch bedeutet, dass schon 20 Minuten vor der Mittagspause, keine Eintrittskarten mehr verkauft werden.

Man reibt sich die Augen. Da besitzt eine Kleinstadt eines der größten Kunstwerke der Welt und macht es angereisten Besuchern schwer bis unmöglich, es zu besichtigen. Weil sie mehr als zwei Stunden Mittagspause feiern, als wäre es der 1. Mai.

Der Tourist, sich an frühere Besuche erinnernd, weiß, dass es in der Stadt ein paar ganz originelle Restaurants gibt, bzw. gab, und hofft, die unfreiwillige Wartezeit einigermaßen zivilisiert verbringen zu können. Doch ein zaghafter Einblick in die jeweiligen Guides hatte mich gewarnt: Wo solche Zivilisation einst möglich war, sind entsprechende Restaurants im Winter geschlossen.

Um dieser Enttäuschung noch den Schock hinzuzufügen, be­darf es nur eines kurzen Spaziergangs durch die Altstadtgas­sen. Was früher einer Gourmet-Messe glich, wo jedes zweite Haus dem Feinschmecker verlockende Schaufenster darbot, von der Boulangerie zur Charcuterie, vom Metzger zum Schokoladenkocher, hat sich die Billigwelt asiatischen Schunds breitgemacht. Heute kann man von Kolmar sagen, dass die Stadt vielleicht ein paar krumme Häuser aus der Zeit Dürers mehr hat als andere Städte, welche aber nichts enthalten, was auf den Digitalkonsumenten noch einen Reiz aus­üben könnte.

Weil alle Innenstädte inzwischen so aussehen – egal, ob sie einen Markstein der Hochgotik enthalten oder nicht – ist es der routinierte Reisende gewohnt, seine Tränen über den Untergang der gepflegten Gastronomie zurückzuhalten. Er geht also in ein schäbiges Bistro und überbrückt die Wartezeit mit einem Dutzend mittelmäßiger Austern.

Wenn seine Zeit gekommen ist, entdeckt er, dass der Altar in einem großen Raum steht, statt wie früher in einem engen Bogengang, während das berühmte Kunstwerk geradezu dilettantisch beleuchtet ist.

Wenn eine Stadt, die vom Tourismus lebt und ihn nur durch den Verkauf von Ansichtskarten ehrt, darf sie sich nicht wun­­dern, wenn es in den Medien heißt, die Wirtschaft ginge den Bach hinunter.

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TRÜFFEL

Frau HoffmannMehr als zehn Seiten widmet das amerikanische Magazin The Atlantic den Trüffeln. Daran ist ungewöhnlich nur die Länge des Textes. Denn jetzt, in den Monaten vor und nach Weihnachten, hat diese unscheinbare Knolle ihre Hochsaison. Und wenn man in den USA sitzt, ranken sich um den Edelpilz die abenteuerlichsten Geschichten. Vom Kilopreis ist am häufigsten die Rede, der sich bei 2000 bis 3000 Dollar $ bewegt, anscheinend unterschiedslos von der Herkunft der Trüffel. Die chinesischen werden als genau so wertvoll eingeschätzt wie die weißen aus dem Piedmont oder die schwarzen aus dem Perigord.
Vielleicht werden sie bei Lehmann Brothers so gehandelt. Die routinierten Händler hierzulande kennen andere Preise. Sie wissen auch, dass die sogenannten Perigord-Trüffel zum größen Teil schon seit Jahrzehnten in der Provence gefunden werden.
Aus der Ferne lassen sich kuriose und spannende Stories über Trüffel schreiben, vor allem, wenn die Autoren 8000 Kilometer entfernt wohnen und gern über Mord und Mafia meditieren. Meistens geht es dabei um die Trüffelhunde, welche von neidischen Nachbarn mit Gift und Galle zur Strecke gebracht werden. Vielleicht gibt es solche Fälle en masse; vor allem aus Italien werden kriminelle Vorgänge berichtet, wo die teuren Erdknollen gefälscht, bearbeitet, parfümiert und mit Botox behandelt werden, was niemanden wundert, der den „Paten“ im Kino gesehen hat.
Ich hatte das Glück, fast zwei Jahrzehnte im Zentrum der provencalischen Trüffelreviere zu wohnen. Dort entging mir nichts von dem Wahnsinn, der die Trüffelsucher jedes Jahr im Winter befällt. Das ist die Zeit, wenn die Nimrods nicht mit ihren Schießprügeln auf die Jagd gehen, sondern mit dem Trüffelhund, und die Kids den Tagespreis der Trüffel in ihre Smart Phones einspeichern. Es ist aber auch die Zeit, wenn jede Billigkneipe eine brouillade aux truffes auf der Speisekarte hat. So wie jetzt.
Es geschah, dass ein großes Böblinger Blech vor der Burg bremste und der Chauffeur auf die freien Fondsitze deutete: „Einmal La Beaugravière und zurück, wie wär’s?“
Nun muss man wissen, dass sich hinter dem eindruckvollen Namen keineswegs ein Schloss verbirgt, sondern ein Landgasthaus, wie es sie hier am aufgeräumten Schwarzwald längst nicht mehr gibt: Seit dreißig Jahren nicht mehr renoviert, auch davor völlig schmucklos. Die Wände kahl, die Beleuchtung grell, die Autos der Gäste blockieren den Eingang: Eine Landstraßenkneipe an der N 7 bei Mondragon mit der größten Weinkarte des Rhonetals
Und noch eine Spezialität karrt die Gäste hordenweise in das Genießerzentrum. Genau – die Trüffel. Monsieur Jullien muss sie in dieser Jahreszeit tonnenweise verarbeiten. Ihretwegen ist der Laden mittags und abends bumsvoll. Zwei Menüs feiern den Höhepunkt der Wintersaison. Das am wenigsten teure kostet 130 €. Es bestand bei unserem Besuch aus einer getrüffelten Weiße-Bohnen-Creme, aus einem flüssigen Rührei mit Trüffeln (Brouillade), einem Huhn-in-Halbtrauer (bei dem die Trüffel in Scheiben unter der Haut sitzen) einem Weichkäse und – als einziger Gang ohne Trüffel – einer knusperigen Apfeltorte.
Die Trüffel glichen in allen Gängen einer Sättigungsbeilage, das heißt, sie lagen in nicht zu dünnen und keineswegs kleinen Scheiben auf den Tellern in einer pampigen Cremesauce, welche ihre Pampigkeit nicht irgendwelchem Mehl verdankte, sondern ungeheueren Mengen Trüffelkrümeln. „Trüffel satt“, wäre der passende Name für unser Menü gewesen. Es hätte aber auch am nächsten Tag als „Trüffeltransport auf der N 7 verunglückt“ stehen können. Denn geschmeckt hat die ganze Trüffelorgie überhaupt nicht. Um es deutlich zu sagen: Was wir da für viel Geld in uns hineinschaufelten, war weder delikat noch sonstwie erfreulich. Bemerkenswert war lediglich das zerknirschte Achselzucken des Wirts: „Ja, dieses Jahr ist eine Katatrophe.“ Mit diesen Worten tröstete er jeden, der das ebenfalls gemerkt hatte.
Womit sich wieder einmal die enge Verwandtschaft von Trüffel und Wein erwies. Beide sind von der Witterung abhängig wie alte Rheumatiker.
Die wirklich schlauen Gäste wussten das längst und hatten à la carte Gerichte ohne Trüffel bestellt. Denn Guy Jullien ist in diesem Teil der Provence seit Jahrzehnten auch ein sehr populärer Küchenchef.

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IN DER KÜCHE – WO SONST

Frau HoffmannZimtsterne hin und her, was ich gegessen habe in den letzten Wochen war auch nicht so ohne. Zum Beispiel diesen Vogel, der unter dem Namen Taube verhasst ist. Nicht bei Gourmets, sondern bei Autofahrern, auf deren Glanzlackkarosserien sie unappetitliche weiße Apps hinterlassen, wie sie nur von großen, fetten Tauben stammen können. Das glaube ich jedenfalls, ob­wohl ich, der ich viel auf Bahnsteigen herumstehe, noch nie eine scheißende Taube gesehen haben. Vielleicht sind es Amseln, deren fäkale Spuren so auffällig sind auf den Kühlerhauben und Windschutzscheiben.

Aber eine Amsel habe ich nicht gegessen, sondern eine Taube. In der Auberge de l’Ill bei Marc Haeberlin.

Diese Taube ist Bestandteil eines Menüs des genialen Elsässers

Und sie ist außergewöhnlich. Nämlich riesig. Als sie mir vorgesetzt wurde, wusste ich zunächst nicht, ob es sich um etwas Essbares handelte oder um ein Kunstwerk. Dazu muss ich erklären, dass ich unlängst im Dresdner „Grünen Gewölbe“ war, was ein Museum ist, vollgestopft mit Gegenständen, welche einzeln gesehen auch mal Kunst sein können, insgesamt aber viel Ramsch enthalten.

Diese Art von Ramsch glaubte ich auf meinem Teller wiederzuentdecken. Es sah aus wie ein Bein, ein Bein eines großen Vogels. Albatross. Oder der Vogel Greif. Also ein Vogelbein, wie sie es im17. Jahrhundert aus gehämmerten Goldblech den jeweiligen Fürsten in die Schatzkammer gebaggert haben. Doch meine Taube bestand nicht aus Blech. Das, was ich auf dem Teller hatte, war nichts anderes als das Bein einer echten Taube. In seiner gigantischen Größe, konnte es ein Saurierbein sein. Es war alles in allem ein küchentechnisches Wunder.

Das stellte sich heraus, als ich mich daran machte, die Einzelheiten des Taubenbeins zu analysieren. (Das zweite Bein servierten sie einem Glückspilz am Nachbartisch.)

Zunächst müssen sie das Bein völlig von jeglichem Fleisch und Fett leer geschabt und an der Tankstelle aufgeblasen haben wie einen Fesselballon. Das versorgte die Beinfüller mit dem notwendigen Platz. Den benutzten sie, um verschiedene Schichten einer delikaten Masse anzubringen. Erkennen konnte ich vor allem Foie gras, Wirsing; wahrscheinlich auch Morcheln und zwei, drei andere Elemente, die ich in der Eile (das alles sollte ja in heißem Zustand gegessen werden) nicht identifizieren konnte. Jedenfalls handelte es sich um ein bemerkenswertes Kunstwerk von allergrößter Delikatesse. Daneben lagen drei schmale Scheiben vom Brustfleisch der Taube, die den Größenunterschied zwischen Brust und gigantischem Bein auf groteske Weise unterstrichen.

Die Kunstfertigkeit der Füllung gab erneut einen Hinweis auf die Zusammenarbeit der heutigen Patissiers mit den Küchen­chefs, wie sie in dieser und der vergangenen Saison den Stil der Hochküche bestimmt.

Letzten Endes ist es das, was Kochkunst demonstrieren soll: Die Perfektion der Arbeit in einer Profiküche, die sich von jeder anderen Küche abhebt und dadurch die Kochkunst bereichert.

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INZWISCHEN……….

Frau HoffmannVierzehn Tage sind eine lange Zeit für YouTube Addicts, habe ich mir sagen lassen. Ich hingegen – von YouTube weiter entfernt als von einer Tube Tomatenketchup – fand die erzwungene Pause ganz erholsam. Solange hat es nämlich gedauert, bis jemand von der Telekom kam und das von einem YouTube-Fan angerichtete Chaos an meinem Rechner zu reparieren. Dass ich seitdem auch stolzer Besitzer eines neuen Routers bin und wir alle eine neue Regierung haben, wurde vom deutschen Volk mehrheitlich begrüßt, wenn nicht gar bejubelt. Sie mögen’s nun mal lieber ruhig, die Deppen, weil sie sich nicht daran erinnern, wie es immer endete, wenn sie mehrheitlich gejubelt haben.

Nun bleibt uns also eine 1-Mann-Opposition in Gestalt des netten Herrn Gysi, der nur noch Veganer werden muss, um als Bundeskanzler gewählt zu werden. Er sollte sich allerdings mit dem Tofubacken beeilen, denn der nächste Küchentrend liegt schon in der Luft.

Was das Knacken von Nüssen ersetzen wird, ist das gute, alte Brot. Die Beschreibungen vom Brotbacken im eigenen Herd stapelten sich unter den Weihnachtsbäumen der letzten Wochen, dass für die Tofubibeln kaum noch Platz blieb. Brot ist den Deutschen so heilig wie den Belgiern das Bier. Jeder zweite Belgier braut sein eigenen Bier, erfuhr ich Weihnachten, als ein aus Antwerpen angereister Gast seinen Kofferraum entlud, der mit Bierflaschen gefüllt war wie meiner manchmal mit Wein. Gottseidank blieb noch genug Platz für einige Filets Pferdefleisch, so dass wir den Tisch noch einmal für ein vorzügliches Mahl decken konnten. Das Brot, das dazu gereicht wurde, stammte aus einer nahen Bäckerei, vor der die Kunden Schlange stehen, wie ich sie nie vor einem Veggi-Shop habe Schlange stehen sehen. Das lässt mich hoffen, dass die anämische Kost aus den Charts verschwindet. Denn ob man extrem teuere Gemüsemenüs in der Spitzengastronomie toleriert oder die bescheidenen Tofuklopse entbehrungsbereiter Hausfrauen erduldet, viel Inspirationen haben beide nicht ans Essen gebracht, mögen unsere Mütter auch die Petersilie künftig nur mit Tatort-Handschuhen anfassen.

Ob das Brot, selbstgebacken oder nicht, ein kulinarischer Ersatz werden wird, ist nicht sicher. Die zeitsparende Technik setzt auch den Knethaken in Betrieb und hat Fertig-Back­mischungen im Gefolge. Nicht zufällig liegt die größte und erfolgreichste Aromafabrik auf deutschem Boden. Die dortigen Ingenieure sorgen dafür, dass sich ein Dinkelbrot unmissverständlich von Brot einer anderen Getreidesorte unterscheidet. Oder dafür, dass ein deutscher Rotwein das exotische Pflaumenaroma besitzt, das wir an einem Pomerol schätzen.

Merkwürdigerweise gehört eine unserer Spezialitäten nicht zu den populären Produkten made in Germany. Das ist der Pumpernickel. Er hat seinen Auftritt höchstens bei einer Platte Austern, wo er, mit einer obskuren Käsesorte scheibchenweise gefüllt, als kleiner Würfel eine unerklärliche Rolle spielt.

Deutsche Aromen tragen auch zu dem lukrativen Aufschwung bei, den sich unsere Wirtschaft vom kommenden Jahr verspricht. So soll es künftig nicht mehr vorkommen, dass das Interieur eines großen BMW genau so duftet wie die S-Klasse von Mercedes. Die Chinesen mit ihrer tausendjährigen Schnüffeltradition legen Wert auf solche Unterschiede.

Davon werden zweifellos auch unsere Bäcker lernen, so dass ihre Reform-Brote nicht mehr aussehen, als wäre in der Back­stube eine Tüte mit Vogelfutter geplatzt. Ob sie anders schmecken werden als 2013 ist dem Konsumenten weniger wichtig. Wenn nur BIO dransteht, kann es auch Kommissbrot sein.

Was aber, wenn eine Kneipe „Schlachterbörse“ heißt wie die Spelunke, in die ich in Hamburg geraten bin? Winzige Halb­etagen, vollgestopft mit dem Kitsch der letzten 40 Jahre und Stammgästen, welche die Speisekarte mit der Erwartung lesen, die man sonst nur auf dem Petersplatz in Rom beobachtet, wenn die Gläubigen dem Papst seinen Segen von den Lippen ablesen. Denn hier, in der Kampstraße 42, im berüchtigten Schanzenviertel, liegt meine originellste Entdeckung des vergangenen Jahres. Nämlich die schlichte Schlachterbörse, deren Besitzer den Ehrgeiz haben, ihren Hamburger Kunden das beste Fleisch zu bieten, für das je ein Tier geschlachtet wurde. Und das ist tatsächlich wunderbar zart und saftig und voller Aromen.

Im Gegensatz zu den trockenen und harten Geflügelstücken, für die in der schicken Milchstraße das „Anna Sgroi“ unerklärlicherweise einen frischen Michelinstern erntete.

Da lobe ich mir die Anstrengungen, die zwei unserer Spitzenköche kontinuierlich unternehmen, um ihren hohen Rang zu rechtfertigen. Ich meine damit Sven Elverfeld vom „Aqua“ in Wolfsburg und Christian Jürgens von der „Überfahrt“ in Rottach-Egern. Obwohl Jürgens seinen dritten Stern erst in diesem Herbst bekam, besaß er schon immer die Souveränität eines Meisterkochs, wie sie auch Elverfeld in der Wolfsburger „Autostadt“, im Hotel „Ritz Carlton“ seit Jahr und Tag demonstriert. Beide sind herausragende Küchenchefs im deutschen 3-Sterne-Team, eigenständig und hemmungslos kreativ. Solange unsere Gastronomie mit solchen Spitzenleistungen aufwarten kann, kommt es nicht darauf an, dass sich der Rote Führer zu sehr auf den Südwesten des Landes konzentriert, der unter der Last der Sterne bereits Anzeichen von Müdigkeit zu erkennen gibt. Anders als in der Politik richtet Mittelmaß in der Kochkunst keine großen Schäden an. Das Publikum wurde rechtzeitig auf regionale Kost eingeschworen. Provinzialismus schreckt niemand mehr.

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KNOSPENDE LANDSCHAFTEN (2)

Frau HoffmannMan könnte fragen; was geht uns heute die sächsische Hofküche um 1900 an? Gab es da etwas Besonderes? Doch, das gab es. Es war die Kontinuität der Feinen Küche, wie sie zu allen Zeiten von der Oberschicht geprägt wurde. Das heißt, die Arme-Leute-Küche der Bevölkerung war erkennbar daran, dass sie primitiv und anspruchs­los war, ohne ausgeprägtes Profil und sogar ohne Identität, während die Hofküche wie alle Hofküchen im 19. Jahrhundert unverwechselbar war, weil sie auf raren und teueren Produkten basierte. Also genau so, wie sich heute die Küchen der Kantinen von Feinschme­cker-Restaurants unterscheiden.

Diese Erkenntnis mag überraschen, widerspricht sie doch dem Glauben an den Fortschritt der Küchenmode, sowie dem der Kochtechnik. Aber wo damals wie heute das Hauptprodukt eines Menüs entscheidend war für den Ruhm der jeweiligen Küche, müssen auch andere Elemente eine Rolle gespielt haben als Fingerfertigkeit und Res­pekt vor den Traditionen. Und zwar ein individueller Ehrgeiz bei den Köchen, neben ihrem Bestreben, der Konkurrenz eins auszuwischen. Wobei weder einmal die Kochkunst beim Wort genommen wird.

Ohne die Idiosynchrasien einzelner hätte sie nie ihr derzeitges Niveau erreicht. Gesellschaftspolitische Zusammenhänge sind wichtig für das Befinden eines Volkes; mit Revolutionen und ideologischen Programmen kann man ein Land zwar elektrifizieren, aber eine Kunst von Dauer schafft man damit nicht. Dazu bedarf es nach wie vor der verrückten Visionen einzelner Individuen, Künstler genannt. Und wenn die für ihre Kunst nicht mehr verlangen, als ein brennendes Feuer, gut gemästetes Schlachtvieh und den einen oder anderen Löffel voll Salz, so muss man sie nur sich selbst überlassen, und die Kochkunst macht einen Schritt nach vorne.

So wie Rembrandt nur ein geheiztes Atelier brauchte, nebst Farbe und Pinsel, um Großes zu schaffen.

Mehr ist von der Kunst nicht zu erwarten. Wenn man sich darüber im Klaren ist, stören auch die unvermeidlichen Irrwege nicht, die Sackgassen und der berufsbedingte Größenwahn nicht.

In Dresden wird einem das eingebläut, bevor man das erste Gasthaus betreten hat. Weil es dort so viele Museen und Lagerhäuser für die Kunst des Barock gibt. Viel schwülstiger Kitsch ist dabei, wie überall, wo hübsche Stücke der Handwerkskunst in Gruppen herumstehen und auf Bewunderer warten

„Kastenmeiers“ am Tzschirnerplatz darf dabei nicht unerwähnt bleiben, weil es zu den raren Lokalen gehört, die täglich mittags und abends geöffnet sind. Wenn dort die Garzeiten der Fische nach Sekunden gemessen wür­­den anstatt nach Minuten, wäre man in dieser Neueröffnung der Moderne ein hoffnungsvolles Stück näher. Das ist der Fall im 5. Stockwerk eines schmalen Hauses im Stadtzentrum. Im „Moritz“ des kleinen aber eleganten Hotels Suitess (An der Frauenkirche 13) kann man an schönen Abenden auf der Dachterrasse so essen, wie man es bei Beans&Beluga erwartet. Die auch hier modisch-mini­malistische Küche ist jedoch längst nicht so überdekoriert wie im Weißer Hirsch genannten Wohnviertel an der Bautzner Landstraße. Erstaunlich bescheiden sind die Preise im Anblick der Frauenkirche.

Die der Museen sind es generell nicht. Aber erstaunlich ist schon, was man für Geld in den barocken Räumen be­sichtigen kann. Ich übergehe hier höflich die Kuriositätensammlung der sächsischen Kurfürsten und Könige im Grünen Gewölbe, die unweigerlich daran erinnert, dass es in der Neuzeit jüdische Sammler waren, die moderne Kunst sammelten und nicht der Adel. Der begnügte sich mit Grundbesitz.

Aber sogar der Vatikan hatte manchmal einen speziellen Geschmack. Das erkennt der Besucher im Albertinum, wo die „Indianer“ ausgestellt sind, ein Leihgabe aus Rom. Dabei handelt es sich um einen kilometerlangen Gipsfries mit Szenen aus dem Leben nordamerikanischer Ureinwohner, wobei sich gegenseitig skalpierende Rothäute vom Künstler besonders naturalistisch abgebildet wurden. Er hieß

Ferdinand Pettrich und stammte aus Dresden, lebte aber in Rom, der Stadt in der sich auch Goethe wohlfühlte, welcher jedoch – im Gegensatz zum neoklassischen Bildhauer – nach einigen Litern Frascati nach Weimar zurückkehrte.

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KNOSPENDE LANDSCHAFTEN (1)

Frau HoffmannAls vor fast einem Vierteljahrhundert die Mauer fiel, als die unerwartete Wende das Leben aller Deut­schen ver­änderte, hielten wir Wunder für möglich. Man versprach uns blühende Landschaften, was wir mit der in Westdeutschland erreichten gastronomischen Blüte gleich­setzten. Das war ein Fehler, denn die Bedürfnisse der befreiten Brüder und Schwestern richteten sich keines­wegs auf eine Verbesserung ihrer Suppen, als vielmehr auf nützliche Dinge, zu wessen Nutzen sie auch produ­ziert sein mochten.

Jedenfalls waren es nicht die Feinschmecker, die in ers­ter Linie von der Privatisierung der Gastronomie profi­tier­­ten. Auch in zweiter Linie nicht. Erst nach ungefähr zwanzig Jahren setzte zaghaft ein, was in den westli­chern Provinzen der Stolz ganzer Regionen ist: es ent­standen interna­tional anerkannte Gourmet-Restaurants der Oberklas­se.

Das Wort ‚zaghaft‘ illustriert präzise die nicht mehr so neue Situation. Es keimt eigentlich überall, aber zur prächtigen Blüte reicht es nicht. Berlin ist das beste Beispiel. Unsere Metropole ist in aller Welt beliebt, zieht entsprechend viele Besucher an, hat prächtige Luxusho­tels und nicht wenige elegante Restaurants. Aber zu drei Michelinsternen hat es bisher nicht gereicht.

Das muss verwundern, da wir doch auf der Skala der bes­ten europäischen Restaurants einen stolzen zweiten Platz (nach Frankreich) besetzen.

Aber Berlin und die angeschlossenen Ostgebiete verweigern die notwendigen Spitzenleistungen. Nach über zwan­­­zig Jahren der Eingliederung in unser westliches Konsummilieu, wäre es nicht verwunderlich, wenn die Menschen jenseits der Elbe nicht nur die gleichen Autos führen wie wir auf der westlichen Seite (was sie brav tun), sondern auch unsere gastronomischen Ansprüche übernommen hätten. Aber davon kann keine Rede sein.

Nach wie vor kann man in ungewohnter Bequemlichkeit über die neuen, dreispurigen Autobahnen fahren, ohne das Gefühl zu haben, rechts und links ein paar erstklassige Gasthäuser zu verpassen oder gar eine jener Adres­sen, die jeder Feinschmecker auf der Wunschliste seiner Sehnsüchte stehen hat.

Auch der soeben erschienene Michelin 2014 ändert daran nichts Wesentliches. Eine hartnäckige Armut kann es nicht sein. Dazu hat uns Frau Merkel zu oft versichert, dass wir (wir Gesamtdeutsche) mit unserem Wohlstand ein beneidetes Vorbild in ganz Europa seien.

Haben also die Investoren – die überall gebraucht werden, wo neue Wohnblocks, neue Industrien und neue Betonhalden entstehen – haben diese Spürnasen des kom­menden Wohlstands eine schlechte Witterung in den Esszimmern und Kantinen der neuen Länder registriert? Etwa eine puritanische Genussfeindlichkeit? Oder sind sie gar von ideologischer Sturheit befallen, wonach einem Land, das einmal kommunistisch geprägt war, nie mehr zu trauen sei?

Dem widerspräche das Beispiel der hoch gelobten Gastronomie Westdeutschlands, welche sich überwiegend aus kleinen Familienbetrieben entwickelt hat, mithin durch private Anstrengung erfolgreich wurde.

Oder existiert tatsächlich der in Familien nicht seltene Vorbehalt gegenüber einem Verwandtschaftszweig („Tante Gusti und ihre Mischpoke sind doch halbe Zigeuner“), der für alles Fremdartige eine ebenso ungerechtfertigte wie gehässige Begründung abgibt?

In unserem Fall wäre das dann die Gleichsetzung Preu­ßens mit Sibirien einschließlich der daraus folgenden Anspruchslosigkeit in Sachen des guten Geschmacks. Also ein deutsches Erzübel.

Das wäre die schlimmste aller Erklärungen für einen Man­gel, der in den Augen der meistens gar nicht erkennbar ist. Aber diese Kolumne richtet sich bekanntlich nicht an die meisten, sondern an die wenigen, für die die Lebensweise ihres Volkes ein Politikum ist.

Meine letzten Recherchen im gastronomischen Osten vor ungefähr einem Jahr führten mich nach Sachsen, wo ich die unterschiedlichsten Betriebe kennen lernte. Jetzt bin ich wieder in Dresden, was hier „liebevoll“ als Elbflorenz bezeichnet wird. Wie sie den Arno mit der Elbe verwechseln können und die Renaissance mit dem Barock, ist mir nicht klar geworden. Aber was besagt das schon. Ob Lorenzo di Medici oder August der Starke, ob Uffizien oder das Grüne Gewölbe, die Manager des Tourismus‘ beglückwünschen sich zu den Schatzkammern, die in beiden Gebäuden installiert sind. Ich kann nur den Florentinern dazu gratulierenen, dass sie Savonarola, den Verkünder der Bescheidenheit, verbrannt haben. Hier in Dresden ist zwar mehr verbrannt, darunter sehr viel barocker Protz, aber die Bescheidenheit hat überlebt. Echt preußisch eben.

Das wird deutlich an der einzigen Adresse der populären Stadt an der Elbe, die einen Michelinstern vorweisen kann, „Bean&Beluga“. Wir waren an einem Donnerstag Abend dort und die einzigen Gäste. Das lag, wie wir vermuteten, nicht an technischen Mängeln der Köche (obwohl die Konsequenz, mit der die minimalistischen Hauptprodukte auf den Tellern bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wurden, durchaus abschre­ckend wirken kann), sondern eher an einer stilistisch fragwürdigen Eigenart dieses Gourmet-Lokals: es ist durchgehend schwarz angestrichen. Außerdem ist der Speiseraum ein schmaler Schlauch, so dass man sich vorkommt wie im Tunnel unter dem Ärmelkanal; nur der Service isr, zugegebenermaßen, ein bißchen langsamer als ein ICE. Ein extrava­­gantes Auswahlprinzip bei der Speisekarte erleichtert dem Gast die Wahl keineswegs. So genügt die angewandte Originalität bei der Konstruktion der Miniportionen noch lange nicht, den Wunsch nach einer Wiederkehr zu wecken.

Im Augustiner an der Frauenkirche, einem Ableger der Münchener Brauerei, sucht man erst gar nicht nach Erklärungen, weder für die gute Laune der lärmenden Gäste, noch für das gigantische Ausmaß eines Germknödels mit Portweinpflaumen. Überhaupt kann von Zeit zu Zeit ein Besuch in einer dieser populären Gaststätten nicht schaden, damit sich Feinschmecker ein Bild machen können von den ungeheuren Mengen an extrem nahr­haften Lebensmitteln, die sich deutsche Verbraucher nicht nur in Dresden einverleiben. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass der konfektionierte Billigfraß in innerstädtischen Gaststätten längst nicht mehr so hundsgemein schmeckt wie noch vor zwanzig Jahren. Das ist jedoch kein Etappensieg der Kochkünstler, sondern verrät nur die enge Zusammenarbeit der Gastronomie mit den deutschen Aromafabriken, die zu den erfolgreichsten der Welt gehören.

Wieviel fröhlicher schlägt das Herz des Wandersmanns, wenn er ein Rasthaus findet, in dessen Küchen gearbeitet wird, wie es sich der grüne Naturfex erhofft, nämlich nur mit regionalen Produkten, tierfreundlich und der Jahreszeit gemäß, wo ein eigener Gemüse- und Kräutergarten garantiert, dass gentechnisch veränderte Pflanzen keinen Zutritt haben und sogar auf der Weinkarte bio-dyna­misch produzierte Weine in der Mehrzahl sind. Schließlich ist es in solchen Betrieben nicht ungewöhnlich, dass das im Ofen schmorende Tier einen Kosenamen bei jenen hatte, die gerade dabei sind, seine Einzelteile in schmackhafte Portionsstücke zu verwandeln.

So einen Saftladen fand ich bei meiner letzten Reise in Hartmannsdorf bei Chemnitz mit dem programmatischen Namen „Laurus-Vital. Ich war jetzt mehr als neugierig: Was mochte aus ihm geworden sein? Hatte er einem Computerladen weichen müssen? Oder einem Billig-laden mit chinesischem Kinderspielzeit?

Was ich sah, grenzte an ein Wunder: Bunte Fahnen kündeten das Restaurant von weitem an; dieselben Leute von einst werkelten in der Küche, der Essraum war vergrößert, eine angegliederte Kochschule unterrichtete Gäste im richtigen Umgang mit der essbaren Natur. (Tel 03722-505.210; Limbacher Str. 129, 09232)

Das Laurus Vital ist eine Erfolgsmeldung, wie sie in unserer Zeit noch selten ist, deshalb aber um so erfreulicher.

Erfreulich war auch eine Initiative des Landes Sachsen für eine umfassende Dokumentation im Dresdner Stadtarchiv zum Thema Die Hofküche um 1900. Der Historiker Professor Josef Matzerath hatte sie mit seinen akademischen Gehilfen mit bewundernswerter Gründlichkeit zusammenge­tra­­gen, so dass das geballte Wissen über die Hofküche des letzten Königs der Sachen drei prächtige Bände füllte (Thorbecke Verlag), deren wissenschaft­­­­­licher und kulinarischer Wert einmalig ist.

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STERNENREGEN

Frau HoffmannDer neue Guide Michelin hat wieder Freude bei unseren Gastronomen verbreitet. Sie werden immer besser, die Kneipen, Gasthäuser und Restaurants. Sogar eine neu Gourmet-Adresse (3 Sterne) ist hinzugekommen. Es handelt sich erwartungsgemäß um das Restaurant Überfahrt in Rottach-Egern, wo Christian Jürgens seine intelligent-moderne Küche praktiziert. Die Überfahrt gehört zu den vielen besternten Hotels der Althoff Gruppe, was nicht unerwähnt bleiben sollte, da es die Leidenschaft des Herrn Althoff für Höchstqualität rechtfertigt.
Persönlich freut mich, dass in meiner Nachbarschaft drei weitere 1-Stern-Restaurants entstanden sind, so dass die Häufung von Kulinar-Adressen in und um Freiburg – mit Alfred Klink im Colombi Hotel an der Spitze – die Legende vom Badischen Schlaraffenland weiter erhärtet. Es sind dies Der Rabe in Horben, und sHerrehus im Schloss Reinach. Persönlich befriedigend ist aber der Stern für das Ammolite im Europapark in Rust. Wem ich auch die Edel-Adresse im dortigen Hotel Bell Rock empfahl, tippte sich an die Stirn: Im Europapark? Haha.
Doch wie auch der beste Kuche die Suppe versalzen kann, so ist den Michelinleuten anzukreiden, dass sie seit zwei oder drei Jahren ihrem Roten Guide nur einen weichen Einband spendieren, was auf Reisen sehr unpraktisch ist. Vollends hirnrissig ist jedeoch der Verzicht auf das Lesezeichen. Das wirkt wie ein Winterreifen ohne Profil.

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