SUCH DEN GRÜNEWALD

Frau HoffmannSeit einigen Wochen werden die Medien von einem Thema beherrscht. Es heißt: „Frankreich, und wie die Wirtschaft den Bach hinunter geht“. Wir frankophonen Feinschmecker lesen es mit Bestürzung. So schlimm wird’s wohl nicht sein, denken wir, und erinnern uns an die Froschschenkel, die im Aigle d’Or auf der Speisekarte stehen. Wir denken verzückt an den einmaligen Münster, den das hübsche Hotel de la Ferme in Osthouse seinen Gästen zum Frühstück serviert, und beruhigen uns mit dem Gedanken, dass ein Land, das solche Edelkäse bereits am frühen Morgen anbietet, so arm nicht dran sein kann. Dann steigen wir ins Auto, weil es gilt, einem jungen Freund weitere Kostbarkeiten des Elsass zu zeigen. Wir nehmen Kurs auf Kolmar, denn dort wartet der Isenheimer Altar, das oberrheinische Hauptwerk der gotischen Malerei, das nur mit der Mona Lisa zu vergleichen ist, wenn man seine kunstgeschichtliche Bedeutung würdigen will.

Unvermeidlich muss man das Meisterwerk des Mathias Grünewald aus dem Jahr 1506 erst mal finden. Das ist ziemlich schwierig, weil der berühmte Altar für einige Jahre in einem anderen Gebäude untergebracht wurde; der Tourismusverband es jedoch nicht für notwendig hält, durch Plakate oder sonstige Hinweise darauf aufmerksam zu machen.

Es ist aber sehr wohl notwendig, denn genau so gut hätten sie das renommierte Kunstwerk im Brasilianischen Regenwald verstecken können. Wer nur wegen des Grünewald-Altars nach Kolmar fährt, muss früh aufstehen. Erst gilt es, ein Parkhaus zu finden. Dabei ist ihm kein Tourismus Manager behilflich. Auch als Flaneur in der Altstadt findet man weder Trost noch den Altar. Nicht ein Plakat, nicht ein Wegweiser lassen ahnen, dass man sich kurz vor einem der größten Kunstwerke der Welt befindet. So ist es keine Wunder, dass die erste Auskunft, die man um 11.40 Uhr an der endlich gefundenen Museumskasse erhält, den Terminkalender des Tages völlig durcheinander bringt: Von 12.00 bis 14.00 Uhr geschlossen.“ Was auf gut Deutsch bedeutet, dass schon 20 Minuten vor der Mittagspause, keine Eintrittskarten mehr verkauft werden.

Man reibt sich die Augen. Da besitzt eine Kleinstadt eines der größten Kunstwerke der Welt und macht es angereisten Besuchern schwer bis unmöglich, es zu besichtigen. Weil sie mehr als zwei Stunden Mittagspause feiern, als wäre es der 1. Mai.

Der Tourist, sich an frühere Besuche erinnernd, weiß, dass es in der Stadt ein paar ganz originelle Restaurants gibt, bzw. gab, und hofft, die unfreiwillige Wartezeit einigermaßen zivilisiert verbringen zu können. Doch ein zaghafter Einblick in die jeweiligen Guides hatte mich gewarnt: Wo solche Zivilisation einst möglich war, sind entsprechende Restaurants im Winter geschlossen.

Um dieser Enttäuschung noch den Schock hinzuzufügen, be­darf es nur eines kurzen Spaziergangs durch die Altstadtgas­sen. Was früher einer Gourmet-Messe glich, wo jedes zweite Haus dem Feinschmecker verlockende Schaufenster darbot, von der Boulangerie zur Charcuterie, vom Metzger zum Schokoladenkocher, hat sich die Billigwelt asiatischen Schunds breitgemacht. Heute kann man von Kolmar sagen, dass die Stadt vielleicht ein paar krumme Häuser aus der Zeit Dürers mehr hat als andere Städte, welche aber nichts enthalten, was auf den Digitalkonsumenten noch einen Reiz aus­üben könnte.

Weil alle Innenstädte inzwischen so aussehen – egal, ob sie einen Markstein der Hochgotik enthalten oder nicht – ist es der routinierte Reisende gewohnt, seine Tränen über den Untergang der gepflegten Gastronomie zurückzuhalten. Er geht also in ein schäbiges Bistro und überbrückt die Wartezeit mit einem Dutzend mittelmäßiger Austern.

Wenn seine Zeit gekommen ist, entdeckt er, dass der Altar in einem großen Raum steht, statt wie früher in einem engen Bogengang, während das berühmte Kunstwerk geradezu dilettantisch beleuchtet ist.

Wenn eine Stadt, die vom Tourismus lebt und ihn nur durch den Verkauf von Ansichtskarten ehrt, darf sie sich nicht wun­­dern, wenn es in den Medien heißt, die Wirtschaft ginge den Bach hinunter.

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Charles Milton Ling |

    Furchtbar. Ganz furchtbar. Ich liebe Colmar seit meiner Studienzeit in Freiburg (1974-77) und leide mit Ihnen.

  2. Klaus Dieter Bätz |

    Lieber W.S., suchen Sie den Grünewald doch mal im Bad Mergentheimer Ortsteil Stuppach (252 km von Mahlberg …). Die Stuppacher Madonna ist a) weniger morbid als der Isenheimer Altar und b) kostenlos anzuschauen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Stuppacher_Madonna
    Und in Tauberfranken läßt sich’s auch nicht schlecht leben und speisen, wie zu hören ist.
    Nochmal 200 Autobahnkilometer nach Osten, und Sie sind in Lindenhardt, wo in der Pfarrkirche auf der Rückseite des Hauptaltars ein Grünewald-Trryptichon zu sehen ist.

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