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MIT VOLLER KRAFT ZURÜCK

Ich habe es gewusst. Alle haben wir es gewusst, als vor ziemlich genau einem Jahr die schwarz/gelbe Bundesregierung die radikale Energiewende ankündigte. Ausgerechnet die konservativen Unionsparteien und die den Turbokapitalismus fördernde FDP sollten ihrer Klientel auf die Füße treten wollen? Und ihre Sponsoren, die Automobilindustrie und die nicht weniger mächtigen Energiekonzerne, begnügen sich mit der passiven Rolle der geduldigen Zuschauer? Die Vorstellung war zu lachhaft um glaubhaft zu sein. Nun haben sie alle gleichzeitig die Maske fallen lassen. Frau Merkel ringt die Hände. Das RWE fürchtet den nächsten Winter wegen Stromausfälle, der neue Umweltminister sieht steigende Preise, und alle fürchten sinkende Gewinne.

Also geben sie uns zu verstehen, dass der Umschwung zur Ökowirtschaft ja das Ideal bleibt, aber leider, leider nicht machbar sei. Also wird es mehr Dreck geben, mehr Profit für alle, die den Dreck produzieren, der Atomausstieg wird verschoben, leider, leider; der gute Wille ist ja da, ehrlich, aber die Verhältnisse sind nun mal nicht so.

So viele Krokodilstränen, wie in diesen Wochen die Spree abwärts fließen, haben sie nur selten vergossen, die Landesväter und Landsmütter. Und das vor unser aller Augen, die wir seit einem Jahr auf das geheuchelte Bedauern bei der Kehrtwendung gewartet haben. Dennoch sind wir erschüttert wegen der dilettantischen Regie, mit der sie ihre Lügen von damals korrigieren wollen. Es stellt sich heraus: Nicht einmal das können sie überzeugend.

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HAMBURG

Wieder einmal für ein paar Tage in Hamburg, um zu überprüfen, ob die gebetsmühlenartig aufgestellte Behauptung, Hamburg sei die schönste Stadt Deutschlands, ihre Richtigkeit hat. Hat sie. Und wie!!! Die lokalpatriotische Einschätzung könnte man sogar als hanseatisches Understatement bezeichnen, wenn man die elegante Hafenstadt mit der elenden Großbaustelle Berlin vergleicht, oder dem neureichen München. Schon beim Anflug bestätigt sich dieser Eindruck, wenn man sieht, wie üppig und überall die schönsten und größten Baume die nicht weniger schönen Häuser unter ihre grünen Fittiche nehmen wie eine besorgte Glucke ihre Jungen. Oder – so er ihnen zu ebener Erde gegenüber steht – der Besucher erkennt, dass die scheinbare Glucke der stolze Rahmen ist, mit dem die edle Backsteinarchitektur sich herausgeputzt hat, als gelte es den 1. Preis der Stadtästhetik zu gewinnen. In der Hansestadt wirken kleinbürgerliche Siedlungen wie Villenviertel und distinguierte Straßen wie Hollywoodkulissen für eine Welt, die von den Großen Familien kontrolliert wird. Gastronomisch gesehen sind beide Städte gleich gut, nur bei den Grand Hotels hat Berlin die Nase vorn. Außer den beiden alten Dampfern „Vier Jahreszeiten“ und „Atlantik“ hat Hamburg merkwürdigerweise nichts Großartiges zu bieten, weil das Dritte im Bunde – mein Lieblingshotel „Park Hyatt“ – in der Mönckebergstraße mit ihren billigen Kettenläden versteckt liegt, wo eine spektakuläre Vorfahrt nicht möglich ist. Dafür sind die im Haus gruppierten Sitzgruppen fast raffiniert dekoriert und gemütlich sowieso. Hier wäre eigentlich der ideale Ort, um einen Journalistentisch zu installieren, wie im New Yorker „Algonquin“ (das Pressehaus ist keinen Kilometer entfernt.) Aber deutsche Journalisten sind keine Hedonisten; außerdem stehen sie zu sehr unter dem Druck der Verlagsleiter. Der beschlipste Gast in Businessgrau luncht hingegen auf der Sonnenterrasse. Wo er auch sitzt und sich auf ein modernes Menüs vorbereitet, wird ihm zunächst mit der Butter und dem Brot eine Mousse serviert, die aussieht wie eine Schokoladencreme, wobei es sich jedoch um einen nur schwach gesüßten Apfel-Balsamico mit Feigensenf handelt. Diese vortreffliche Kreation erinnert daran, dass die Küche des Hyatt immer schon mit einem Apfelgut im ‚Alten Land‘ zusammen arbeitete und ihr Restaurant „Apple“ nannte, was möglicherweise Steve Jobs nicht gefiel. Jedenfalls ist ein Essen im Park Hyatt nicht weniger zufriedenstellend als eine Nacht in einem der großen Gäs­tezimmer. Hamburger Feinschmecker wissen natürlich, dass sich auf der Großen Elbstraße das Gegenstück zur Lebensmittelabteilung des Berliner KaDeWe befindet. Es heißt „Das Frische Paradies“ und ist der Gourmet Markt schlechthin. Wer dort nicht findet, was er schon immer suchte, dem ist nicht zu helfen. Der Fluggast braucht allerdings noch Platz im Koffer; denn Lebensmittel sind im Handgepäck verboten. Hat er Zeit, kann er sich im Stadtteil Langenhorn (in Flugplatznähe) noch einmal vergewissern, dass die Gastronomie der Stadt neben einer passablen Qualität der Speisen auch pure Schönheit im Angebot hat. Die besteht im Gasthaus-Hotel Wattkorn (Tangstedter Landstr. 230) nicht unbedingt aus den Jagdtrophäen, mit denen ein schießwütiger Nimrod die Wände der Gasträume dekoriert hat. Sondern in dem wunderschönen Garten hinter dem reetgedeckten alten Bauernhaus. Man sitzt wie im nordischen Paradies und isst, was man im Norden so isst, um an der lokalen Mythologie teilzunehmen, die von Störtebeker, Nis Randers, Labskaus und Grünkohl bis zur Vierlander Ente reicht. Der gute Don Lechner hatte uns hingebracht und nicht zu viel versprochen: der Himmel war blau, die Ente saftig, und von der Weinkarte grüßten alle lieben Nachbarn vom Kaiserstuhl und der Pfalz. Zwar nur ein Ausflugslokal, aber eines, wie es in Deutschlands überschätztem Süden nicht existiert. Weil es in einen Hamburger Stadtteil eingebettet ist, wo die Lebensqualität zur Kaltmiete gehört wie hundertjährige Eichen und Sprossenfenster.

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WISSEN IST MACHT

Fast ein halbes Jahrhundert hinter den deutschen Koch- und Essgewohnheiten her, das hinterlässt Spuren.

Nicht nur, dass man dicker wird. Man wird auch schlauer, entdeckt neue Trends und folgt neuen Moden. Schließlich wird man das Opfer der eigenen Lust am guten Essen (das man überall propagiert) und kauft nur noch das Beste und Teuerste für die Küche.

Solange noch Geld für den Schneider übrig bleibt, der einen Dauerauftrag hat, Jacken und Hosen weiter zu machen, ist das gar nicht so übel.

Wirklich gewinnbringend sind aber erst die Erkenntnisse, die man kriegt, wenn man anderen Essern auf die Finger und in die Töpfe guckt.

Zum Beispiel beim inzwischen jährlich stattfindenden Koch­wett­bewerb für ZEIT-Leser, den ich vor dreißig Jahren voller Übermut gründete, und bei dem ich immer noch den Hobbyköchen über die Schulter schaue. Da gibt es viel zu Staunen und zu lernen.

Vor allen Dingen staune ich über das Niveau, auf dem die Kinder der einstmaligen Hawai-Toast-Fans sich heute bewegen, wenn es darum geht, einen Oktopus gar zu kriegen oder eine Sauce mit Gewürzen zu verfeinern, deren Namen ich noch nie gehört habe.

Sie haben wirklich viel gelernt. Vor allem was das Ökologische angeht, sind deutsche Verbraucher geradezu Weltmeister in der Rücksichtnahme auf aussterbende Arten, ob Fisch, Fleisch oder Fledermäuse:

(Deutscher Gast in Wien, klopft vorwurfsvoll auf die Speisekarte: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich damit ökologisch unkorrekt verhalten?“

Keller, deutet unter den Nebentisch: „Sie meinen wegen dem Hunderl da?“
Gast: „Ich hoffe nicht, dass Sie auch den noch auf die Karte setzen! Nein, ich meine die Fledermaus!“

In diesem Moment öffnet sich die Küchentür und man hört den Chor der Köche singen: „Die Fledermaus, die Fledermaus, die hängt uns längst zum Hals heraus“..

Kellner: „Werter Herr, so nennt man bei uns ein Fleischstück vom Lammschlögel!“

Gast: „Hätt’s mir denken können. So wie ihr auch unsere urdeutsche Kartoffel in einen Erdapfel umgetauft habt.“

Kellner: „Dafür habt’s Ihr unseren Inntaler Deppen zu Eurem Führer umgetopft.“

Gast: „Herr Ober, zahlen!!!“)

Nicht nur in der Küche unserer Nachbarn kennen wir uns aus, auch was die Hobbyköche in Südostasien in den Wok hauen und die Mongolen am Spieß braten, ist uns nicht mehr fremd. Mehr noch: wir haben die fremden Küchen schätzen gelernt. Wir wissen, was eine Tajine ist und woraus ein Doppelwhopper besteht. Zum kosmopolitischen Esser fehlt uns nur noch die Wertschätzung tierischer Innereien; haben aber mit der Vorliebe für Kaviar einen guten Anfang gemacht.

Sogar technische Detailkenntnisse sind in unseren Küchen vorhanden, ob es die Methode ist, große Fleischstücke bei 75 Grad viele Stunden zu braten, oder der Trick, rohe Wachteleier in strudelartig schnell drehendes Kochwasser gleiten zu lassen, damit man sie nach 3 Minuten als pochierte Eier herausfischen kann.

Auch beim Fischkochen sind unsere Hobbyköche dem Geheimnis der Perfektion auf der Spur. Das heißt, sie reduzieren die Hitze und verkürzen vor allem die Garzeit. Denn sie wissen: Ein Stück Fisch, ob groß oder klein, ob Zuchtfisch oder Merlin a la Hemingway, muss innen noch glasig sein. Einmal durchgekocht oder –gebraten, und er gehört in die Primitivküche der Hafenkneipen. Ausnahmen bilden nur Kleinfische wie Sardinen, während Fische, die ins heiße Öl kommen, noch kleiner sein müssen.

Doch sie wissen nicht nur beim Kochen Bescheid, auch im Einkaufswald irren sie nicht orientierungslos umher. Dass die Meere überfischt sind, ist ihnen bekannt, und speziell auf Thunfisch, Kabeljau und Steinbutt verzichten sie, um die Bestände zu retten. Mit einem Wort: Deutsche Hausfrauen und ihre kochenden Männer haben, wenn sie in der Küche stehen, ein ökologisches Bewusstsein.

Man muss es anerkennen: in vielfältiger Hinsicht sind wir die Musterknaben Europas. Nur die Schweizer vertrauen ihren Banken mehr als wir, und nur die Skandinavier trennen ihren Müll sorgfältiger.

Nicht verschwiegen werden soll aber unsere Geiz-ist-geil-Menta­lität, welche sich in unseren Ausgaben für gutes Essen manifestiert: gerade mal 10 % unseres Einkommens fürs Essen pro Monat.

Doch der gemeine Hobbykoch schreckt vor nichts zurück, wenn es um gesteigerten Genuss geht! Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sich zu einem Kochwettbewerb nur Leser anmelden, die kulinarisch aufgeklärt sind, und demgemäß sich nur eine sehr kleine Minderheit zum kritischen Konsum bekennt. Dennoch ist es überraschend zu sehen, wie ihnen alle negativen Daten der Nahrungsmittelindustrie präsent sind. Man möch­te jubeln über diesen Fortschritt in der Bewusstseins­bildung der Verbraucher – stünde ihr nicht die geballte Energie der Industrie gegenüber, die auf Grund ihrer Macht und Stärke die Kritik der Wissenden lässig ignorieren kann.

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DER SCHÖNSTE PLATZ….

III.

In der unlängst hier erschienenen 2. Folge der Traumkneipe des tollkühnen Seiteneinsteigers beschrieb ich La Merenda, das einzigartige Bistro in Nizza. Man kann es imitieren, so wie man auch die Reichskanzlei im Filmstudio nach­bauen kann. Aber der Erfolg dieser Miniatur ist schwer wiederholbar, weil er auf der Individualität von Dominique Le Stang beruht, der für die Treue seiner Stammkunden unverzichtbar ist, diese Mischung aus Bohéme und unangepassten Genießern.

Damit ist eine wichtige Eigenschaft genannt, die für das Gelingen einer Restaurantgründung unverzichtbar ist: Ein genussfreudiges Publikum, das seine Dankbarkeit gegenüber dem Wirt durch regelmäßiges Erscheinen bekennt.

Der Rest ist fast beliebig. Gäbe es da nicht einige Details, welche der Beliebtheit eines Lokals förderlich sind.

Da ist zunächst der äußerliche Eindruck. So kann eine Holzhütte an einem stillen See nicht weniger verführerisch sein, als die auf einer saftigen Alm. Mancher Großstädter isst seinen Nudelteller auch gerne in einem umgebauten Bus, einem sogenannten ‚Diner‘.

Aber die meisten Gastronomen in spe träumen eher von einem ebenerdigen Lokal mit kleiner Küche und maximal 45 Sitzplätzen. Das beherrscht der Koch mit seiner Partnerin zur Not auch allein, wenn ihnen eine arme Verwandte beim Spülen hilft.

In manchen Ländern erschweren die Behörden den Stapellauf des „Le Gourmet“ durch Auflagen, die den Denkmalschutz oder die Hygiene betreffen und einen Ortswechsel ratsam erscheinen lassen; denn monatelange Auseinandersetzungen mit schlecht be­zahlten Bürokraten können zer­mürbend sein. Zumal in Ländern, wo sie nicht bestechlich sind.

Danach gilt wie beim Antrittsbesuch des künftigen Schwie­gersohns: Der erste Eindruck ist der beste. Der setzt sich zusammen aus dem Zustand der Speisekarte und dem des Schaufensters, durch das man einen Blick nach innen werfen möchte. Geht aber aus vernünftigen Gründen fast nie. Weil ein kluger Wirt seine Gäste vor der Neugier der Spaziergänger schützt. Dazu verhängt er gerne die Fenster mit dicken Vorhängen. Grundfalsch!

Wer will schon seine Spinatsuppe mit dem pochierten Ei in einer Grabkammer der Ägypter löffeln? Draußen scheint die Sonne, und hier drinnen herrscht gedämpftes Kunstlicht. Das empfinden die meisten Menschen unbewusst als unnatürlich, als bedrückend. Also wird das (werden die) Fenster nur zur Hälfte abgedeckt. Am praktischsten mit einer Messingstange, in halber Höhe angebracht, an der undurchsichtige Gardinen hängen. Oberhalb der Stange kann das Markenzeichen des Lokals angebracht werden. Die freie Fensterfläche sollte aber erst dort beginnen, wo ein normal großer Passant nicht mehr hineinsehen kann.

Bei der Eingangstür darf der Einblick etwas großzügiger sein, weil dahinter kein Platz für einen Tisch ist. Vor der Tür hingegen muss Platz für die Raucher sein, welche erfahrungsgemäß mehrmals während eines Abendessens vor die Tür gehen, um ihrem Laster zu frönen, was ihnen innen wohl auf längere Zeit untersagt sein wird.

Daher ist es ratsam, vor der Tür die benötigten Aschenbecher aufzustellen. Eine freundliche Geste gegenüber den Nikotinsüchtigen ist das Anbringen einer Markise oder eines Glasdachs über dem Eingang. Denn nicht immer scheint die Sonne so, wie es die Maklerin versprochen hat.

Hier folgt eine persönliche Beobachtung: Je eleganter und teurer ein Restaurant ist, um so weniger Raucher flüchten beim Essen vor die Tür. Triebunterdrückung nennt man das seit Freud, der darin den Beginn aller Kultur sah. (Er war Zigarrenraucher und dachte bei Unterdrückung ausschließlich an Sex.)

Betritt der Gast Ihr neues Etablissement zum ersten Mal, sollte er nicht auf die Hilfe eines mit der Taschenlampe ausgerüsteten Kellners angewiesen sein, um sich im schummerigen Licht zurechtzufinden. Wenn er knutschen will, geht er mit seinem Schatz ins Kino, ist zu hoffen. Hat er aber den letzten Krieg noch erlebt, kann es passieren, dass ihn angesichts der Verdunkelung unbewusste Ängste befallen. Panikattacken im Feinschmeckerlokal sind weder für ihn noch die Umsitzenden appetitanregend.

Auch wenn alternative Sparkommissare vorwurfsvoll die Stirne runzeln: Sparen Sie nicht bei der Beleuchtung! Die Zeiten, dass tatsächlich ein Kellner seine Taschenlampe anknipste, wenn er die Rechnung brachte, wie bei Elaine’s in Manhatten, sind endgültig vorbei, seit sie den Kippenheimer Jockey Club in eine Sushi Bar verwandelt haben.

(wird fortgesetzt)

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DER SCHÖNSTE PLATZ….

II.

Es gibt zweifellos Feinschmecker, die gerne früh am Morgen aufstehen und nichts dagegen haben, noch nach Mitternacht Kasse machen, wenn es im eigenen Laden geschieht. Die werden sich durch meine Schilderung von den Pflichten eines Wirtes nicht beeindrucken lassen. Wer darüberhinaus auch keinen Horror davor hat, bei seiner Bank große Schulden zu machen, der lässt sich so leicht nicht davon abbringen, ein Lokal zu pachten oder eine Hütte zu kaufen, um seine Immobilie in ein Restaurant zu verwandeln, das spätestens in zwei Jahren mit dem ersten Michelinstern geschmückt wird. Wie er hofft.

Tollkühne Optimisten braucht das Land, warum würden sonst so viele die Piraten wählen?

Es ist nur folgerichtig, dass jemand, der bei jeder leerstehenden Ruine daran denkt, diese in ein Kleinrestaurant zu verwandeln, genaue Vorstellungen hat, wie es denn aussehen soll. Dafür gibt es zwei Muster.

Beide sind am besten in Paris zu besichtigen, wie in einem Jahrhunderte alten Katalog für Kneipeneinrichtungen. Keine andere Stadt bietet Beispiele der einen oder anderen Art von Gastronomie in solcher Fülle.

Ich nehme an, dass bei meinen Lesern die Kategorie der Luxusrestaurants nicht an erster Stelle steht. Obwohl, das ist nicht zu bestreiten, ein frisch gebackenes gastronomisches Juwel, durchgestylt und technisch perfekt, schneller die öffentliche Aufmerksamkeit erregt als ein schnuckeliges Bistro. Aber wer sich das zutraut, wird sich ohnehin mit Designern, Rechtsanwälten, Bankern und prominenten Köchen beraten haben. Der wird die Frage, welche Länge die Tischdecken haben müssen, an professionelle Berater delegieren.

Mir geht es hier um die andere Kategorie, der meine Sympathie gehört. Es ist das in Marktnähe gelegene Bistro.

Ein Drei-Sterne-Essen im Luxushotel ist zweifellos ein exorbitantes Vergnügen, vergleichbar mit ei­nem Abend in der Oper. Ich gestehe, dass es mir nicht wenig Spaß macht, diesen ungewohnten Luxus von Zeit zu Zeit zu genießen. Aber wirklich wohl ist mir erst im Bistro. Wo ich zwar wie in der Oper Ellbogen an Ellbogen mit andere Menschen sitze, allerdings unterscheidet sich die Geräuschkulisse wesentlich. Sänger und Musik kann ich mir meinem Geschmack entsprechend aussuchen.

Mit anderen Worten, ich sehe der aushängenden Partitur an, ob der Koch den richtigen Ton trifft, ob er meine Lieblingsnudeln im Repertoire hat und was der Spaß kosten wird.

Das ist das Stichwort für ein ganz wichtiges Detail meines Restaurants: die tägliche Speisekarte.

Dass sie täglich erneuert wird, ist selbstverständlich. Sozusagen eine vertrauensbildende Maßnahme. Auch wenn sie in einer Fremdsprache geschrieben sein sollte, sehe ich ihr an, was mich drinnen erwartet. Ist sie von der Sonne verblichen, hat sich gar eine sterbende Fliege hinter

die Glasscheibe gerettet, bleibt mir nur, ihr eine Blume nachzuwerfen und mich nach einem anderen Essplatz umzusehen.

Eine Speisekarte muss täglich neu geschrieben werden, um dem Gast zu signalisieren, dass hier mit frischen Produkten gekocht wird. Also keine vorbereiteten Menüs, keine eingefrorenen Fische und Steaks. Hat der Koch auch Innereien auf der Karte, bin ich fast beruhigt. Denn die lassen sich nur frisch zubereiten; außerdem muss er es können und wird es mögen, was für mich zwei Gründe mehr sind, seinem Etablissement einen Besuch abzustatten.

Besitzt der Koch die notwendige Geschmackssicherheit und verfügt Madame über ein verführerisches Lächeln, wenn sie die Teller an den Tisch bringt, sind bereits zwei Eigenschaften genannt, die das neue, kleine Restaurant populär machen. Dafür gibt es ein frappierendes Beispiel, dass viele meiner Leser kennen dürften: La Merenda, das kleinste, primitivste und gemütlichste Bistro Europas in Nizza.

Nicht größer als eine Garage, Hocker statt Bänke, Sackleinen unter der Decke verdeckt gnädig, was man nicht unbedingt sehen muss. Es gibt praktisch nur zwei Weine, rot und weiß, und ein tägliches Stammgericht, dass sich, soweit ich weiß, in dreißig Jahren nicht verändert hat. Sowie noch drei, vier andere Gerichte. Schluss. Der Weg zur unterirdischen Toilette ist abenteuerlich, Creditkarten werden nicht akzeptiert, und einen Tisch zu reservieren wird durch das fehlende Telefon nicht gerade erleichtert. La Merenda ist jeden Mittag und Abend ausgebucht, weil die schlichten Gerichte, die Dominique Le Stang (der früher dem Hotel Negresco 2 Sterne erkocht hat) in seiner winzigen Kombüse herstellt, außerordentlich lecker sind.

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BREMEN

Morgens hatte es geschüttet wie in Indien, tagsüber schien die Sonne heiß vom tiefblauen Himmel und gegen abend zogen wieder dunkle Wolken auf

„Bremer Wetter“, klagte einer der Tischgenossen, „das ist unser Handikap im Vergleich zu anderen Städten.“

„Das geht vorüber“, tröstete ich den Lokalpatrioten, „in zwanzig Jahren werden Sie hier Riesling anpflanzen. Dann haben Sie bald einen Weintourismus wie wir im Breisgau!“

„Und worauf beruht Ihr Optimismus?“, fragte eine elegante, dreifache Reederswitwe, die, wie mir vorher zugeflüstert wurde, mehr Containerschiffe besitzt als ein Beamter in der Mittagspause auf dem Papier versenken kann.

„Es ist der Klimawandel“, prophezeie ich. „Vorausgesetzt, dass die Bahn mitspielt.

Das erregt die Neugier der Weinfreunde, die sich im Club der Bremer zusammengefunden hatte, und ich rekapituliere die haarsträubende Fahrt mit dem ICE von Offenburg nach Bremen, mit den zahlreichen Verspätungen, dem Auskünfte verweigerndem Personal, den Zugausfällen, der überraschenden Verlegungen der 1.Klasse Wagons vom vorderen Ende zum hinteren, was einige ältere Passagiere zwang, den endlos langen ICE mit ihren Koffern entlang zu hasten. Reservierungen wurden außer Kraft gesetzt und überhaupt gelang es der Bahn glänzend, das tägliche Chaos auf den Schienen in Gang zu setzen, das wir dem Personalabbau verdanken, der uns Passagieren als notwendige Einsparung zugemutet wird.

Aber einmal angekommen, fühlt man sich in Bremen nur wohl. Die touristischen Attraktionen wie die phantastische Böttcherstrasse, das prachtvolle Renaissance-Rathaus und überhaupt die Stadtarchitektur, soweit sie im Krieg nicht zerstört bzw. danach restauriert wurde, ist von einer noblen Schönheit, die den putzigen Barock des Südens an Würde bei weitem überstrahlt.

Dazu gehört auch der Aufenthalt im Parkhotel Bremen, das zu den angenehmsten Grand Hotels der Bundesrepublik zählt. Es besitzt jenen Luxus, den wir hanseatisch nennen. Das heißt, es ist durch und durch solide, ohne protzig zu sein. Wo in anderen, ähnlichen Häusern das Gold blitzt und glänzt, beeindruckt im Parkhotel das Traditionelle.

In Bremen ist viel altes Geld, wissen die Taxifahrer zu berichten, während der Gast überlegt, wie die Bremer Stadt­musikanten in das Bild von den meerbeherrschenden Handelsflotten der reichen Familien passen.

Aber irgendwie verblasst dieser sozialkritische Gedanke hinter dem Rauschen der Fontäne im großen Teich vor dem Hotel, wo man sich dem Nichtstun auf der großen Terrasse über dem gepflegten Park mit leichtem Herzen hingibt.

Die Küche ist ebenso engagiert wie seriös, hat aber nicht mehr das 2-Stern-Niveau des vor zwei Jahren gegangenen Küchenchefs, dessen kulinarische Vorstöße in die Avantgardküche eine Attraktion eigener Güte darstellten. Dennoch fühlt man sich in diesem Haus mit seinen großen, hellen Zimmern bestens aufgehoben.

Bremen hatte außer dem Parkhotel nie ein gastronomisches Glanzlicht, wenn man von Grasshoff einmal absieht, diese gelungene Imitation eines Pariser Bistros, wo die Gäste seit Jahren glücklich in der Dekoration eines Feinkostladens sitzen und Königsberger Klopse und andere Beispiele der klassischen Küche essen.

Und das Trinken nicht zu vergessen! Die Bremer Hedonisten stört die Bedeutung des Grünkohls als regionales Traditionsessen nicht im geringsten. Ob sie dem von mir wenig geschätzten Wintergemüse mit Schnaps, Bier oder Portwein zu Leibe rücken, habe ich nie erkunden wollen. Die Weinkarten jedenfalls sind hier in Deutschlands Norden beeindruckend, das zuständige Personal ist äußerst sachverständig. Trotzdem überrascht es, ein so eindrucksvolles Prunkstück zu entdecken wie den großen Glasschrank im Park Hotel, der gefüllt ist mit den hellgelben bis hellbraunen Weinen eines einzigen Weinguts: hier lagern mehr Jahrgänge des Château d’Yquem, als die meisten Weintrinker normalerweise auch nur zu sehen bekommen. Da überrascht es dann kaum noch, dass der Ratskeller im Alten Rathaus (wo man in Nischen sitzen kann wie in Beichtstühlen) sich rühmt, den größten Bestand an deutschen Weinen zu besitzen. Wer dem begeisterten Kellermeister und Wein-Freak Karl-Josef Krötz nur zehn Minuten zuhört, wird nicht wagen, daran zu zweifeln.

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BERNER LECKEREI 2

Berns aufregendste Gastronomie befindet sich in einem merkwürdi­gen Gebäude. Es heißt Hotel Kursaal, ist riesig und sieht aus wie ein Erholungsheim für Gewerkschaftsmitglieder. Auch wenn man unten einen Lift zum „Restaurant Meridiano“ gefunden hat, wel­ches sich im 6. Stock auf dem Dach befindet, bedeutet das noch lange nicht, dass man den Gipfel erreicht hätte. Wegen Um­­bauar­beiten mussten wir die Strecke vom 5. bis zum 6. Stockwerk zu Fuß zurücklegen, was sich einfacher anhört, als es war. Denn es ver­langte einen Umweg über die Eigernordwand und das Mat­ter­horn, wie mir schien. Außerdem besitzt das Restaurant Meridiana den Charme einer, nun ja, Gewerkschaftskantine.

Wir hatten das Glück, an einem sonnigen Tag von unserem Tisch gleichzeitig die Alpen des Berner Oberlands sehen zu können, so­wie das komplette Ensemble der zum Weltkulturerbe ernannten, entzückenden Berner Altstadt. Insofern beglückwünschten wir uns zu der gelungenen Ouvertüre. Doch dann begann das Theater.

Wir wurden gebeten, eine Hand flach auf den Tisch zu legen. Mit einem heißen Waschlappen, wie ihn die Japaner serienmäßig in ihre Hondas und Toyotas einbauen, reinigten wir sodann eine Stelle des Handrückens. Jetzt trat der Restaurantdirektor in Aktion. Er be­strich die gesäuberte Stelle mit einem grünen Mus. Darauf platzier­te er mit einer Pinzette ein winziges, dünnes, weißes Quadrat, wel­ches entweder aus dem Aquarium stammte oder vom Gärtner. Auch die Herkunft der danach folgenden braunen, runden Scheibe in Linsengröße blieb zunächst im Dunkeln. Der junge Herr im dunk­len Abzug arbeitete jedenfalls mit der Präzision eines Budapester Zahnarztes und türmte Stockwerk auf Stockwerk, bis wir jeder ei­n buntes Türmchen von 1 bis 2 Zentimeter Höhe auf der Hand ba­lan­cierten. Das war der Gruß aus der Küche.

Wir wurden aufgefordert, dieses Nano-Kunstwerk aufzulecken.

Das war der Kreuzweg, an dem ich mich zu entscheiden hatte. Entweder mit der Serviette abwischen oder auflecken. Entweder das Lokal mit einer wortlosen Geste an die Stirn verlassen, oder der Gebrauchsanweisung folgen.

Wahrscheinlich belauerte mich in diesem Moment der komplette Service mit ange­haltenem Atem. Würde Siebeck, der immer wieder gegen den Ori­ginalitätsfimmel der avantgardistischen Köche ge­wet­­tert hatte, würde er einen Wutanfall kriegen, oder auflecken, was die Moderne Küche ihm da zumutete?

Ich leckte.

Verhaltensforscher, diese Maulwürfe im Unterbewussten, würden wahr­­scheinlich nach langem Grübeln erklären können, warum ich das tat. Vielleicht wollte ich den Aufstieg in den 6. Stock die­ses merkwürdigen Hauses nicht umsonst gemacht haben. Vielleicht war es ein erster Blick in die vorzügliche Weinkarte, der mich zum Bleiben bewog. Wahrscheinlich war es nur die professionelle Neu­gier, die meiner Zunge den Befehl gab, nicht zurückzuschrecken.

Also leckte ich meinen Handrücken sauber, registrierte, was sich in meinem Mund abspielte und kam zu der Erkenntnis: es schmeckt himmlisch!

Natürlich fiel mir sofort das Argument ein, mit der ein Pizzafreund reagieren würde: Hamses nich ne Nummer größer?

Diese ‚Nummer Größer‘ stellte ich mir vor: es funktionierte nicht. Unmöglich, dieses subtile Aroma in größerem Maßstab zu wieder­ho­len; es wäre eine unverzeihliche Vergröberung. Ein zweiter Lutsch­turm, und der überraschende Geschmack von Limone, Zwie­bel, Obst, Rauchton, Wasabi, und weiss der Teufel, was der Kü­chen­­chef da gebündelt hatte, dieser zweite Versuch würde das Original banalisieren.

Mir blieb nichts übrig, als begeistert zu sein über die Perfektion, mit der hier die bunte und scheinbar wahllose Vielfalt einer Logik folgt. Es ist die Logik der modernen Küche.

Worin besteht diese Logik?

Sie unterscheidet sich in Nichts von der Logik jeder guten Küche, egal ob alt oder jung. Es muss gut schmecken.

Das ist der entscheidende Punkt, der aus der Uranspaltung erst die Atombombe möglich macht.

Das ist auch die entscheidende Qualität der Küche des Markus Arnold. Alles was dieser Tausendsassa sich hat einfallen lassen, um seine (ziemlich teueren) Menüs unverwechselbar der Avantgarde­kü­che zuzuordnen, ist in geschmacklicher Hinsicht so hieb- und stichfest gemacht, als habe Markus Arnold sein Rüstzeug bei Hae­berlin oder Wohlfahrt gelernt.

Der Rest unserer Menüs ist damit schon beschrieben. Alle enthielten einen Überraschungsmoment, ob das Heilbuttstücke waren, die er mit gemahlenem Räucherspeck bestäubt hat, eine Taube aus der Bresse, die nur aus zwei Bruststreifen bestand, welche fast zu schade waren, um zerkaut zu werden, oder ein grünes Ei als Dessert, das durch einen energischen Schlag mit dem Löffel zersprang und seinen süßen Inhalt auf dem Teller ausbrei­tete – alles Kunststücke, die albern wären, hätte nicht jedes Detail einen so delikaten Geschmack gehabt.

Dieser zurückhaltende junge Küchenchef über den Dächern von Bern demonstriert, dass sich moderne Küche sogar als Kinderspiel­zeug darstellen lässt, wenn sie nur einen logischen und unwider­steh­lichen Geschmack hat. Hervorragende Weinberatung.

 

(„Meridiano“, Kornhausstrasse 3, T: +41-(0)31.339.55.00)

 

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BERNER LECKERLI 1

Man sollte öfter in die Schweiz fahren. Das Land hat liebenswür­dige Eigenschaften, die man woanders selten oder gar nicht findet. Dazu gehören nicht nur Heidi und der Alm Öhi, sondern vor allem die Grand Hotels, welche kein Reisender missen möchte, der von der fünften Etage beobachten will, wie das Volk auf dem Haupt­platz der Stadt seine Wut artikuliert. Das war auf dem Tahir Platz so, so war es in Athen, ist aber hier am Bahnhofs­platz in Bern ganz anders: Das Schweizer Volk ist nicht wütend.

Niemand braucht hier mehr als eine Stunde, um mit dem Skistock am Fuße eines oder mehrerer Hochgebirge zu stehen. Das beruhigt kolossal. (Bei uns steht man höchstens am Fuße der Bavaria, wenn man in Mün­chen landet, oder neben der Berolina in Berlin, womit aber Frau Mer­kel nicht gemeint ist.)
Die Schweiz sei sehr teuer, klagen Reisende, die in Hinterasien soeben einen Bernhardiner am Spieß für 16 Euro (2 Personen) gegessen und noch einen Maßanzug gratis dazu bekommen haben.Das ist zugegebenermaßen in der Schweiz nicht möglich, weil die besagte Hundesorte ständig mit dem Rumfässchen unter­wegs ist, um gefährdete deutsche Touristen zu retten, die ihr Schwarzgeld in Gletscherspalten versteckt haben.

Überhaupt kümmert sich die Schweiz rührend um Ihre Gäste. Im Berner Grand Hotel Schweizerhof zeigte man mir als erstes eine Suite mit dem Namen „Gym“, was mich in nicht geringen Schre­cken versetzte. Denn hinter der Tür standen riesige Hirschkäfer in Lauerstellung, einer hatte gerade einen Hotelgast gefangen, dem der Angstschweiß das T-Shirt durchnässte. Derartige Begegnungen sind, wie ich erfuhr, bei Hotelgästen sehr beliebt.

Ich flüchtete in die Lobby, wo Bankbeamte Champagner tranken, weil der Schweizer Franken gegenüber dem Euro wiederum 0,4 Rappen zugelegt hatte. Da ist es geradezu ein Wunder, dass der Rappe nicht das Berner Wappentier ist, sondern der Bär. Man kann es in der Innenstadt nicht übersehen, welche dicht mit Bären- und Nationalfahnen beflaggt ist wie an Blochers Geburtstag.

Der Schweizer Hof hat einen neuen Besitzer. Er wohnt in Katar und hat das denkmalgeschützte Haus vier Jahre lang restauriert, bis es die komplizierteste Zimmerbeleuchtung diesseits der Sahara besaß. Das Fräulein vom Empfang, das uns unser Zimmer zeigte, brauchte eine geschlagene halbe Stunde, um zu erklä­ren, mit welchem Knopfdruck sich die Bodenbeleuchtung im Bad dim­mern lässt, der Fernsehapparat ausgeschaltet wird und wie der Licht­schalter am Bett gleichzeitig sechs Funktionen überneh­men kann, von der Fernbedienung der Fenstervorhänge bis zur Blut­druckmes­sung beim Koitus.

Man merkte sofort, hier wütet die Moderne.

Obwohl alles bestens funktionierte und nicht unpraktisch war, und die Regendusche einen indischen Monsun zu imitieren in der Lage ist, rettete ich mich in den schönsten Raum des Hauses, in Jack’s Brasserie. Das hübsche Restaurant heißt so, weil auf der Speise­karte ein Kalbskopf angeboten wird, und Kugellampen den Ni­schen- und Lo­genplätzen das vertraute Flair eines Pariser Edel­bistros verleihen, sogar die Namensschildchen der Stammgäste an den Polsterbän­ken fehlen nicht.

Außer dem Kalbskopf (der nicht weich genug gekocht war), gab es aus der Rustikalküche nur noch Wiener Schnitzel, der Rest verriet einen ungewöhnlichen Ehrgeiz für eine Brasserie. Sehr delikat war eine Konstruktion aus geräuchertem Stör, eine andere enthielt Foie gras, und ich aß einen vegetarischen Teller (überglänztes Marktge­mü­se), der ganz vorzüglich war.

Überaus ambitioniert ist Jacky’s Weinangebot. Es verrät das Hobby des Direktors, Michael Thomann, der ein großer Weinfreund und ken­ner ist.

So ist es auch kein Wunder, dass man vom jugendlichen Sommelier sehr fachmännisch beraten wird, wie überhaupt das Personal des Hotels mit einer außerordentlichen Freundlichkeit ausgestattet ist, was bitte nicht darauf zurückzuführen sein darf, dass im Gastrono­mie­ge­werbe überwiegend Nichtschweizer arbeiten.

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DER SCHÖNSTE PLATZ…

Ein Lehrstück für Träumer vom eigenen Restaurant

I.

Wer sich nie in die Rolle des Kneipenwirts versetzte, wer nie der Realisierung seiner kulinarischen Träume näher kam denn als Gast, der kann kein wahrer Feinschmecker sein.

Was nicht bedeutet, dass wahre Feinschmecker ununterbrochen daran denken, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Aber viele tun es, und es sind nicht die geringsten unter den Gourmets, die dabei gescheitert sind.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass auf den Entschluss, ein eigenen Restaurant zu eröffnen, die Pleite so automatisch folgt wie der Donner auf den Blitz: Gestern erst stand es in der Zeitung, dass Isolde und Viktor in Kreuzberg eine trendige Kneipe eröffnet haben, bei welcher Gelegenheit neben dem regierenden Bürgermeister auch Stars von Film und Fernsehen gesehen wurden, kaum also hatte der jüngste Spross der Berliner Gastronomie seine vorwitzige Nase in die märkische Luft gesteckt, als auch schon der Gerichtsvollzieher kam und dem hoffnungsvollen Spuk ein Ende bereitete. (An dieser Stelle lässt sich die Landesfahne mühelos durch andere Fähnchen ersetzen, wobei Süd, Ost oder Nord keine Rolle spielen. Alle gutgemeinten Anfänge gehen schief.)

Ich gestehe freimütig, mehrmals mit diesem süßen Gedanken gespielt zu haben. Zum ersten Mal am Beginn der acht­ziger Jahre. Ich fuhr durch die wunderschöne Landschaft nördlich von New York, begeistert nicht nur von der bunten Färbung der Natur durch den Indian Summer und die kleinen Ortschaften mit ihren entzückenden Villen aus Holz, sondern auch erstaunt von der bescheidenen Lebensqualität, mit der die Einwohner sich offenbar abgefunden hatten. Damit meine ich den kulinarischen Standard, der überhaupt nicht zu den gepflegten Häusern und der dekorativen Natur zu passen schien. Um ein halbwegs passables Restaurant in den Berkshire Hills zu finden, gurkte ich ergebnislos durch drei Staaten Neuenglands. Dabei war zu spüren – jedenfalls hatte ich den Eindruck – dass hier ein wirtschaftlicher Boom bevorstand, waren doch die kleinen Ortschaften Wohnmöglichkeiten, wie sie eine anspruchsvolle Klientel suchen würde. Ich verstand zwar nichts von Aktienkursen, aber ein gelegentlicher BMW vor einem der bunten Holzhäuser genügte, um meine pythischen Instinkte zu aktivieren. (Tatsächlich bewahrheitete sich meine Ahnung vom Aufschwung durch die Stadtflucht der New Yorker Börsianer, die hier ihre schicken Wohnsitze suchten.) Damals lagen die Immobilienpreise in New England sogar für einen deutschen Journalisten noch im Bereich des Möglichen. Folgerichtig dachte ich bei jedem passenden Gebäude: Hier ein Kleinrestaurant aufmachen, das müsste eine Goldgrube sein!

Beim Abendessen im Hotel, das, obwohl sorgfältig nach europäischen Maßstäben ausgesucht, meistens erschütternd schlecht war, berieten wir fast täglich die Möglichkeiten eines künftigen Restaurants nach unseren Vorstellungen. Und immer kamen wir glücklicherweise zu dem folgenschweren Entschluss Keep off! It’s gonna be a desaster!

Dabei dachte ich in erster Linie nicht einmal an die fehlenden Gäste, sondern an die ungewohnte Arbeit: Im Morgengrauen zu einem entfernten Großmarkt fahren, dann das Mittagessen vorbereiten, danach Restaurant und Küche säubern, aufs neue Kochen für den Abendservice, der erst zu Ende sein würde, wenn der letzte betrunkene Gast endlich in den Wäldern von Connecticut verschwindet. Danach setzt der Wirt (das wäre ich!), sich hin und macht Kasse und bereitet den Einkaufszettel für den nächsten Morgen (5 Uhr?!) vor. Diesen Stress verglich ich rechtzeitig mit meinem angenehmen Leben als freier Journalist, und da fiel die Entscheidung gegen ein Dasein als Wirt nicht schwer.

In diese Situation geriet ich in den nächsten Jahrzehnten immer wieder einmal, bei der Entdeckung eines romantischen Herrenhauses in Südfrankreich, das für wenig Geld zu kaufen war und, in eine Auberge nach meinem Geschmack umgebaut, in der Region eine kulinarische Lücke füllen würde.

Einmal war es eine imposante Zypressenallee, die direkt auf mein künftiges Restaurant führte, ein anderes Mal wollte ein Turmhaus mit Aussichtsterrasse in einem Piratennest aus dem 15. Jahrhundert von mir unbedingt in eine einmalige Gourmetoase verwandelt werden.

Immer hat mich meine gute Fee gerettet, indem sie mir zurief „Lass die Finger davon, du Idiot“.

Da ich der Bitte einer klugen Frau nicht widerstehen kann,

ließ ich die Finger davon und schlief morgens so lange wie ich wollte.

(wird fortgesetzt)

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FRITZ KELLER

Der Schwarze Adler in Oberbergen hatte eingeladen. Fritz Keller, dem Gastronomen, Winzer, Präsident des Freiburger Fussballclubs und Bruder des Franz Keller, welcher in Hat­tenheim ein originelles Wirtshäuser besitzt, ist verdientermaßen die Brillat-Savarin Plakette ver­liehen worden. An die 300 geladenen Gäste feierten in dem endlos langen Stollen zwischen Weinkisten, Weinflaschen und Weingläsern, sowie im renommierten Gasthof, bis die letzte Wurst gebraten war.

Am selben Tag wurden in den Innenstädten Deutschlands 20 Millionen Exemplare des Korans verschenkt.

Eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen gab es nicht.

Hätte es aber geben können, wenn der Guide Michelin gleichzeitig 20 Millionen Exemplare seiner roten Feinschmeckerbibel auf den Marktplätzen deutscher Ortschaften verschenkt hätte. Hat er aber nicht.

Das war sehr klug. Denn mindestens was die in Oberbergen feiernden Genussmenschen angeht, muss davon ausgegangen werden, dass sie alle längst einen Guide Michelin im Handschuhfach hatten. Es wäre nur eine Papierverschwendungsaktion gewesen.

Bei der Feier im Schwarzen Adler wurde nichts verschwendet außer Regenschirmen. Die hatte der fürsorgliche Gastgeber für den Fall eines Aprilschauers containerweise eingekauft, um seinen Gästen den Weg zu den Parkplätzen trockenen Fußes zu ermöglichen.

Aber es blieb alles trocken, das Wetter und die Weine, der Humor der Festredner, und nur die Nichteingeladenen müs­­sen Tränen geweint haben, als sie anderntags erfuhren wie gesellig und hedonistisch ohne sie gefeiert worden war.

Fritz Keller wurde mit der Plakette des alten Zitatenbastlers („Der Mensch ist, was er isst“) geehrt wegen der beispielhaften Qualität seines Restaurants und der außerordentlichen seiner Weine. Die Weißburgunder S und Spätburgunder der A Klasse gehören seit Jahren zu den besten Weinen des Kaiserstuhls, die Weinkarte zu der interessantesten in der Deutschen Gastronomie, weil sie nicht nur junge und spritzige Weine mit pubertärer Harmlosigkeit beinhaltet, sondern – ein Seltenheit – auch gereifte Sorten der letzten zehn Jahre. In der Küche bietet der Schwarze Adler klassische französische Gerichte der Region Lyon in moderner Form – allemal ein kulinarisches Großereignis.

(Vogtsburg-Oberbergen, T: 07662-933010, MI u. DO geschl.)

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