HAMBURG

Wieder einmal für ein paar Tage in Hamburg, um zu überprüfen, ob die gebetsmühlenartig aufgestellte Behauptung, Hamburg sei die schönste Stadt Deutschlands, ihre Richtigkeit hat. Hat sie. Und wie!!! Die lokalpatriotische Einschätzung könnte man sogar als hanseatisches Understatement bezeichnen, wenn man die elegante Hafenstadt mit der elenden Großbaustelle Berlin vergleicht, oder dem neureichen München. Schon beim Anflug bestätigt sich dieser Eindruck, wenn man sieht, wie üppig und überall die schönsten und größten Baume die nicht weniger schönen Häuser unter ihre grünen Fittiche nehmen wie eine besorgte Glucke ihre Jungen. Oder – so er ihnen zu ebener Erde gegenüber steht – der Besucher erkennt, dass die scheinbare Glucke der stolze Rahmen ist, mit dem die edle Backsteinarchitektur sich herausgeputzt hat, als gelte es den 1. Preis der Stadtästhetik zu gewinnen. In der Hansestadt wirken kleinbürgerliche Siedlungen wie Villenviertel und distinguierte Straßen wie Hollywoodkulissen für eine Welt, die von den Großen Familien kontrolliert wird. Gastronomisch gesehen sind beide Städte gleich gut, nur bei den Grand Hotels hat Berlin die Nase vorn. Außer den beiden alten Dampfern „Vier Jahreszeiten“ und „Atlantik“ hat Hamburg merkwürdigerweise nichts Großartiges zu bieten, weil das Dritte im Bunde – mein Lieblingshotel „Park Hyatt“ – in der Mönckebergstraße mit ihren billigen Kettenläden versteckt liegt, wo eine spektakuläre Vorfahrt nicht möglich ist. Dafür sind die im Haus gruppierten Sitzgruppen fast raffiniert dekoriert und gemütlich sowieso. Hier wäre eigentlich der ideale Ort, um einen Journalistentisch zu installieren, wie im New Yorker „Algonquin“ (das Pressehaus ist keinen Kilometer entfernt.) Aber deutsche Journalisten sind keine Hedonisten; außerdem stehen sie zu sehr unter dem Druck der Verlagsleiter. Der beschlipste Gast in Businessgrau luncht hingegen auf der Sonnenterrasse. Wo er auch sitzt und sich auf ein modernes Menüs vorbereitet, wird ihm zunächst mit der Butter und dem Brot eine Mousse serviert, die aussieht wie eine Schokoladencreme, wobei es sich jedoch um einen nur schwach gesüßten Apfel-Balsamico mit Feigensenf handelt. Diese vortreffliche Kreation erinnert daran, dass die Küche des Hyatt immer schon mit einem Apfelgut im ‚Alten Land‘ zusammen arbeitete und ihr Restaurant „Apple“ nannte, was möglicherweise Steve Jobs nicht gefiel. Jedenfalls ist ein Essen im Park Hyatt nicht weniger zufriedenstellend als eine Nacht in einem der großen Gäs­tezimmer. Hamburger Feinschmecker wissen natürlich, dass sich auf der Großen Elbstraße das Gegenstück zur Lebensmittelabteilung des Berliner KaDeWe befindet. Es heißt „Das Frische Paradies“ und ist der Gourmet Markt schlechthin. Wer dort nicht findet, was er schon immer suchte, dem ist nicht zu helfen. Der Fluggast braucht allerdings noch Platz im Koffer; denn Lebensmittel sind im Handgepäck verboten. Hat er Zeit, kann er sich im Stadtteil Langenhorn (in Flugplatznähe) noch einmal vergewissern, dass die Gastronomie der Stadt neben einer passablen Qualität der Speisen auch pure Schönheit im Angebot hat. Die besteht im Gasthaus-Hotel Wattkorn (Tangstedter Landstr. 230) nicht unbedingt aus den Jagdtrophäen, mit denen ein schießwütiger Nimrod die Wände der Gasträume dekoriert hat. Sondern in dem wunderschönen Garten hinter dem reetgedeckten alten Bauernhaus. Man sitzt wie im nordischen Paradies und isst, was man im Norden so isst, um an der lokalen Mythologie teilzunehmen, die von Störtebeker, Nis Randers, Labskaus und Grünkohl bis zur Vierlander Ente reicht. Der gute Don Lechner hatte uns hingebracht und nicht zu viel versprochen: der Himmel war blau, die Ente saftig, und von der Weinkarte grüßten alle lieben Nachbarn vom Kaiserstuhl und der Pfalz. Zwar nur ein Ausflugslokal, aber eines, wie es in Deutschlands überschätztem Süden nicht existiert. Weil es in einen Hamburger Stadtteil eingebettet ist, wo die Lebensqualität zur Kaltmiete gehört wie hundertjährige Eichen und Sprossenfenster.

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