Ein Lehrstück für Träumer vom eigenen Restaurant
I.
Wer sich nie in die Rolle des Kneipenwirts versetzte, wer nie der Realisierung seiner kulinarischen Träume näher kam denn als Gast, der kann kein wahrer Feinschmecker sein.
Was nicht bedeutet, dass wahre Feinschmecker ununterbrochen daran denken, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Aber viele tun es, und es sind nicht die geringsten unter den Gourmets, die dabei gescheitert sind.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass auf den Entschluss, ein eigenen Restaurant zu eröffnen, die Pleite so automatisch folgt wie der Donner auf den Blitz: Gestern erst stand es in der Zeitung, dass Isolde und Viktor in Kreuzberg eine trendige Kneipe eröffnet haben, bei welcher Gelegenheit neben dem regierenden Bürgermeister auch Stars von Film und Fernsehen gesehen wurden, kaum also hatte der jüngste Spross der Berliner Gastronomie seine vorwitzige Nase in die märkische Luft gesteckt, als auch schon der Gerichtsvollzieher kam und dem hoffnungsvollen Spuk ein Ende bereitete. (An dieser Stelle lässt sich die Landesfahne mühelos durch andere Fähnchen ersetzen, wobei Süd, Ost oder Nord keine Rolle spielen. Alle gutgemeinten Anfänge gehen schief.)
Ich gestehe freimütig, mehrmals mit diesem süßen Gedanken gespielt zu haben. Zum ersten Mal am Beginn der achtziger Jahre. Ich fuhr durch die wunderschöne Landschaft nördlich von New York, begeistert nicht nur von der bunten Färbung der Natur durch den Indian Summer und die kleinen Ortschaften mit ihren entzückenden Villen aus Holz, sondern auch erstaunt von der bescheidenen Lebensqualität, mit der die Einwohner sich offenbar abgefunden hatten. Damit meine ich den kulinarischen Standard, der überhaupt nicht zu den gepflegten Häusern und der dekorativen Natur zu passen schien. Um ein halbwegs passables Restaurant in den Berkshire Hills zu finden, gurkte ich ergebnislos durch drei Staaten Neuenglands. Dabei war zu spüren – jedenfalls hatte ich den Eindruck – dass hier ein wirtschaftlicher Boom bevorstand, waren doch die kleinen Ortschaften Wohnmöglichkeiten, wie sie eine anspruchsvolle Klientel suchen würde. Ich verstand zwar nichts von Aktienkursen, aber ein gelegentlicher BMW vor einem der bunten Holzhäuser genügte, um meine pythischen Instinkte zu aktivieren. (Tatsächlich bewahrheitete sich meine Ahnung vom Aufschwung durch die Stadtflucht der New Yorker Börsianer, die hier ihre schicken Wohnsitze suchten.) Damals lagen die Immobilienpreise in New England sogar für einen deutschen Journalisten noch im Bereich des Möglichen. Folgerichtig dachte ich bei jedem passenden Gebäude: Hier ein Kleinrestaurant aufmachen, das müsste eine Goldgrube sein!
Beim Abendessen im Hotel, das, obwohl sorgfältig nach europäischen Maßstäben ausgesucht, meistens erschütternd schlecht war, berieten wir fast täglich die Möglichkeiten eines künftigen Restaurants nach unseren Vorstellungen. Und immer kamen wir glücklicherweise zu dem folgenschweren Entschluss Keep off! It’s gonna be a desaster!
Dabei dachte ich in erster Linie nicht einmal an die fehlenden Gäste, sondern an die ungewohnte Arbeit: Im Morgengrauen zu einem entfernten Großmarkt fahren, dann das Mittagessen vorbereiten, danach Restaurant und Küche säubern, aufs neue Kochen für den Abendservice, der erst zu Ende sein würde, wenn der letzte betrunkene Gast endlich in den Wäldern von Connecticut verschwindet. Danach setzt der Wirt (das wäre ich!), sich hin und macht Kasse und bereitet den Einkaufszettel für den nächsten Morgen (5 Uhr?!) vor. Diesen Stress verglich ich rechtzeitig mit meinem angenehmen Leben als freier Journalist, und da fiel die Entscheidung gegen ein Dasein als Wirt nicht schwer.
In diese Situation geriet ich in den nächsten Jahrzehnten immer wieder einmal, bei der Entdeckung eines romantischen Herrenhauses in Südfrankreich, das für wenig Geld zu kaufen war und, in eine Auberge nach meinem Geschmack umgebaut, in der Region eine kulinarische Lücke füllen würde.
Einmal war es eine imposante Zypressenallee, die direkt auf mein künftiges Restaurant führte, ein anderes Mal wollte ein Turmhaus mit Aussichtsterrasse in einem Piratennest aus dem 15. Jahrhundert von mir unbedingt in eine einmalige Gourmetoase verwandelt werden.
Immer hat mich meine gute Fee gerettet, indem sie mir zurief „Lass die Finger davon, du Idiot“.
Da ich der Bitte einer klugen Frau nicht widerstehen kann,
ließ ich die Finger davon und schlief morgens so lange wie ich wollte.
(wird fortgesetzt)