WISSEN IST MACHT

Fast ein halbes Jahrhundert hinter den deutschen Koch- und Essgewohnheiten her, das hinterlässt Spuren.

Nicht nur, dass man dicker wird. Man wird auch schlauer, entdeckt neue Trends und folgt neuen Moden. Schließlich wird man das Opfer der eigenen Lust am guten Essen (das man überall propagiert) und kauft nur noch das Beste und Teuerste für die Küche.

Solange noch Geld für den Schneider übrig bleibt, der einen Dauerauftrag hat, Jacken und Hosen weiter zu machen, ist das gar nicht so übel.

Wirklich gewinnbringend sind aber erst die Erkenntnisse, die man kriegt, wenn man anderen Essern auf die Finger und in die Töpfe guckt.

Zum Beispiel beim inzwischen jährlich stattfindenden Koch­wett­bewerb für ZEIT-Leser, den ich vor dreißig Jahren voller Übermut gründete, und bei dem ich immer noch den Hobbyköchen über die Schulter schaue. Da gibt es viel zu Staunen und zu lernen.

Vor allen Dingen staune ich über das Niveau, auf dem die Kinder der einstmaligen Hawai-Toast-Fans sich heute bewegen, wenn es darum geht, einen Oktopus gar zu kriegen oder eine Sauce mit Gewürzen zu verfeinern, deren Namen ich noch nie gehört habe.

Sie haben wirklich viel gelernt. Vor allem was das Ökologische angeht, sind deutsche Verbraucher geradezu Weltmeister in der Rücksichtnahme auf aussterbende Arten, ob Fisch, Fleisch oder Fledermäuse:

(Deutscher Gast in Wien, klopft vorwurfsvoll auf die Speisekarte: „Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich damit ökologisch unkorrekt verhalten?“

Keller, deutet unter den Nebentisch: „Sie meinen wegen dem Hunderl da?“
Gast: „Ich hoffe nicht, dass Sie auch den noch auf die Karte setzen! Nein, ich meine die Fledermaus!“

In diesem Moment öffnet sich die Küchentür und man hört den Chor der Köche singen: „Die Fledermaus, die Fledermaus, die hängt uns längst zum Hals heraus“..

Kellner: „Werter Herr, so nennt man bei uns ein Fleischstück vom Lammschlögel!“

Gast: „Hätt’s mir denken können. So wie ihr auch unsere urdeutsche Kartoffel in einen Erdapfel umgetauft habt.“

Kellner: „Dafür habt’s Ihr unseren Inntaler Deppen zu Eurem Führer umgetopft.“

Gast: „Herr Ober, zahlen!!!“)

Nicht nur in der Küche unserer Nachbarn kennen wir uns aus, auch was die Hobbyköche in Südostasien in den Wok hauen und die Mongolen am Spieß braten, ist uns nicht mehr fremd. Mehr noch: wir haben die fremden Küchen schätzen gelernt. Wir wissen, was eine Tajine ist und woraus ein Doppelwhopper besteht. Zum kosmopolitischen Esser fehlt uns nur noch die Wertschätzung tierischer Innereien; haben aber mit der Vorliebe für Kaviar einen guten Anfang gemacht.

Sogar technische Detailkenntnisse sind in unseren Küchen vorhanden, ob es die Methode ist, große Fleischstücke bei 75 Grad viele Stunden zu braten, oder der Trick, rohe Wachteleier in strudelartig schnell drehendes Kochwasser gleiten zu lassen, damit man sie nach 3 Minuten als pochierte Eier herausfischen kann.

Auch beim Fischkochen sind unsere Hobbyköche dem Geheimnis der Perfektion auf der Spur. Das heißt, sie reduzieren die Hitze und verkürzen vor allem die Garzeit. Denn sie wissen: Ein Stück Fisch, ob groß oder klein, ob Zuchtfisch oder Merlin a la Hemingway, muss innen noch glasig sein. Einmal durchgekocht oder –gebraten, und er gehört in die Primitivküche der Hafenkneipen. Ausnahmen bilden nur Kleinfische wie Sardinen, während Fische, die ins heiße Öl kommen, noch kleiner sein müssen.

Doch sie wissen nicht nur beim Kochen Bescheid, auch im Einkaufswald irren sie nicht orientierungslos umher. Dass die Meere überfischt sind, ist ihnen bekannt, und speziell auf Thunfisch, Kabeljau und Steinbutt verzichten sie, um die Bestände zu retten. Mit einem Wort: Deutsche Hausfrauen und ihre kochenden Männer haben, wenn sie in der Küche stehen, ein ökologisches Bewusstsein.

Man muss es anerkennen: in vielfältiger Hinsicht sind wir die Musterknaben Europas. Nur die Schweizer vertrauen ihren Banken mehr als wir, und nur die Skandinavier trennen ihren Müll sorgfältiger.

Nicht verschwiegen werden soll aber unsere Geiz-ist-geil-Menta­lität, welche sich in unseren Ausgaben für gutes Essen manifestiert: gerade mal 10 % unseres Einkommens fürs Essen pro Monat.

Doch der gemeine Hobbykoch schreckt vor nichts zurück, wenn es um gesteigerten Genuss geht! Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sich zu einem Kochwettbewerb nur Leser anmelden, die kulinarisch aufgeklärt sind, und demgemäß sich nur eine sehr kleine Minderheit zum kritischen Konsum bekennt. Dennoch ist es überraschend zu sehen, wie ihnen alle negativen Daten der Nahrungsmittelindustrie präsent sind. Man möch­te jubeln über diesen Fortschritt in der Bewusstseins­bildung der Verbraucher – stünde ihr nicht die geballte Energie der Industrie gegenüber, die auf Grund ihrer Macht und Stärke die Kritik der Wissenden lässig ignorieren kann.

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  1. Anna Skibowski |

    Sehr geehrter Herr Siebeck,

    danke für diesen Blog. Sie begleiten mich schon so lange auf meinem kulinarischen Weg. Als Studentin in den 80ziger Jahren kochte ich immer wieder gerne Ihre Lauchtorte und konnte damit bei meinen ausschließlich Nudelkochenden Kommilitonen durchaus punkten. Inzwischen kann ich sehr viel mehr und freue mich nun Sie hier ungekürzt zu lesen.

    Ihnen alles Gute, mit freundlichen Grüßen

    Ihre Anna Skibowski

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