SAUBERMANNS RACHE

Zur Identität der Deutschen gehört neben dem Dinkelbrot auch der Denunziant. Ohne die Hilfe von abertausend Denunzianten hätten die STASI und vorher die GESTAPO nicht ein ganzes Volk so terrorisieren können, wie sie es im vorigen Jahrhundert taten. Abertausend missgünstige Augen die alles beobachteten, was der Nachbar tat, abertausend bösartige Nasen, die alles beschnüffelten, was sie nichts anging.

Aber wenn man auch sagen kann, dass Denunzianten noch nie so aktiv und nie so wirkungsvoll agierten wie im Tausendjährigen Reich und in der DDR, so ist der hässliche Ver­­rat durch den Nachbarn an die Obrigkeit keine Erfindung des technischen Zeitalters.

Die Hexenverbrennungen des Mittelalters waren fast ausschließlich auf Denunziationen zurückzuführen. Hatte die Bäuerin zwei gesunde Ziegen, deren tägliche Milchproduktion der neidischen Nachbarin missfiel, so genügte dieser  eine Meldung bei der Inquisition, wonach es bei der Bäuerin nicht mit rechten Dingen zugehe. Daraufhin wurde diese in die Folterkammer gesteckt, wo sie früher oder später gestand, eine Hexe zu sein. Der Scheiterhaufen war ihr sicher.

Im Biedermeier, der angeblich so gemütlichen Epoche nach dem Sieg über Napoleon, war Deutschland (das sich damals noch nicht so nannte) von Denunzianten durchsetzt wie Karl Mays Bärentatze von gierigen Maden.

Waren es anfangs vielleicht nur Missgunst und der Abscheu vor des Nachbarn rote Haare, der den Denunzianten zur Polizei schleichen ließ, so genügten mehr und mehr schon eine fremde Lebensart, um im Denunzianten Hass aufkommen zu lassen. Dieser Fremdenhass sorgte gemein­sam mit dem in Deutschland latenten Antisemitismus für eine emotionale und ideologische Basis, welche dem Denunzianten ideale Lebensbedingungen bot.

Gleichzeitig versorgte die öffentliche Meinung ihn zunehmend mit Kriterien, die es ihm erlaubten, jeden Nachbarn anzuschwärzen, den er als „Nestbeschmutzer“ einordnete, als „undeutsch“ beurteilte, als „abartig“ oder als „westlich dekadent“.

Ich selber habe erlebt, wie mein Vater, der ein gescheiterter Architekt und Nazi war, bei Spaziergängen durch unser bürgerliches Wohnviertel Häuser mit Flachdächern als ‚undeutsch‘ bezeichnete und hinzufügte: „Wahrscheinlich jüdischer Bauherr.“

Jetzt hat eine Behörde den Schnüfflern ein neues Ziel verschafft. Es ist die Hygiene, was wirklich nicht wundert. Der Wahn, keimfrei zu essen und auch sonst die Annehmlichkeiten des modernen Lebens ohne Viren und Bakterien zu ge­nießen, hat deutsche Konsumenten in opferbereite Hypochonder verwandelt.

Dies machte sich das Verbraucherschutzministerium (CSU) zunutze, indem es die grün-gelb-rote Qualitätsampel, die es den Lebensmittelproduzenten ersparte, den Gasthäusern und Restaurants vorschrieb. Beurteilen soll die mehr oder weniger zufriedenstellende Sauberkeit eines Restaurants der Kunde, dessen persönlicher Eindruck somit über die Bewertung eines Gastronomiebetriebs entscheidet.

Gott bewahre uns vor den Saubermännern!

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