AN DER WATERKANT

Elke war da. Ich traf sie gleich im Eingang, was ein Glücksfall war; denn viele Kollegen, die ich zu treffen hoffte, bekam ich nicht zu Gesicht. Das lag an den mindestens fünfhundert anderen Gesichtern, die sich in der schönen Halle des Alten Hauptzollamtes in der Hamburger Speicherstadt versammelt hatten und sich über Sekt und Kannapees hermachten. Für welche Elke Bunse in diesem Jahr nicht verantwortlich war, weil sie dem unsinnigen Brauch geopfert wurde, wonach ältere Angestellte, die langjährige Erfahrung mit Kannapees und anderen Dingen haben, in Pension geschickt werden, wo ihre Erfahrungen nutzlos sind.

Als ich erfuhr, dass für mich am Ehrentisch ein Platz reserviert sei, wo das Partygetöse am lautesten war, möglicherweise gar einen Ehrenplatz neben dem Chefredakteur, der so bemüht gewesen war, mich von der Mitarbeit zu befreien, bestellte ich ein Taxi und einen Tisch bei Ali Güngörmüs, dem Küchenchef vom Le Canard Nouveau an der Elbchausse.

Gott, war das ein grandioses Essen! Ich protestierte nicht einmal, als Ali mir zwei zusätzliche Gänge in mein 3 Gänge-Menü einbaute, was ja auch eine Art von Bestechung ist, obwohl ich es noch nicht zum Bundespräsidenten geschafft habe. So genoss ich insgesamt fünf unvergleichliche Köstlichkeiten, die, wenn ich sie beim Namen nennen würde, sich so normal wie gewöhnliche Spitzenkreationen eines Meisterkochs anhörten. In Wirklichkeit waren es Wunderwerke an Raffinesse, deren elegante Würzung einen großen Meister verriet. Besser habe ich in Hamburg nie gegessen, obwohl ich die Restaurants der Hansestadt eigentlich sehr gern habe.

Am nächsten Tag aß ich zwei Stunden mit Madeleine J. im ehemaligen Mühlenkamper Fährhaus zu Mittag, das heute  Küchenwerkstatt heißt und einen Michelinstern hat. Das frühere Traditionslokal der konservativen Kaufleute haben sie im vorderen Teil vom Plüsch befreit, so dass es dort aussieht wie in einer Vegetarierkrippe, dafür aber die Küche dermaßen modernisiert, dass man sich über Gäste wundert, die nicht an ihrem iPhone herumfummeln.

Sie kochen dort wirklich außerordentlich professionell, man könnte sogar sagen, ganz vorzüglich; man darf sich nur nicht an die Kochkunst des Ali Güngörmüs erinnern.

Unser Gesprächsthema waren aber keine Details aus Hamburger Küchen, sondern das Hamburger Hotel „Reichs­hof“ am Bahnhof, in welchem Berliner Verlagsangehörige von der ZEIT untergebracht werden, wenn sie das Mutterhaus besuchen. Das mir zugewiesene Doppelzimmer empfand ich als nicht standesgemäß, deshalb gaben sie mir den Sankt-Pauli-Zimmer genannten Fußballtempel. Ich weiß nicht, wie viele Fans vom F.C. Sankt Pauli 1910 dies hier lesen, aber jeder einzelne wird mich mit wehem Herzen beneiden, wenn ich beschreibe, dass über dem Doppelbett ein riesiges Vereinsemblem hing wie in französischen Hotels ein Druck mit galanten Damen von Fragonard, und dass die­ses Emblem sich als nor­maler Aufkleber auf 29 Kacheln des kleinen Duschbads wiederholte. Neunundzwanzig Mal „FC Sankt Pauli 1910“ im roten Kreis während man sich die Zähne putzt, da wird man zwangsläufig zum Fan. Hinzu kommt, dass neben dem Lichtschalter am Eingang ein zweiter Schalter die Vereinshymne erklingen ließ, mit der die Fußballer ihren Einzug in die Arena begleiten. Überdies enthielt der kurze Gang hinter der Zimmertür unter Glas geschützte Devotionalien der beliebten Elf wie Fotos, ein Trikot und Notizen vom Jubiläumsspiel des Jahres 2010. Wunderbarerweise schlief ich in der Nacht, ohne den begeisterten Tooor-Jubel der Fans zu träumen.

Ein fast mythisches Symbol für die Stadt Hamburg ist das Restaurant „Cölln’s“ in der Brodschrangen 1. In diesem Restaurant hat schon Bismarck gegessen, und zwar immer dasselbe: 2 Dutzend Austern und danach eine Seezunge. Sie nannten ihn den Eisernen Kanzler, wohl weil er einen eisernen Magen hatte. Der ist auch heutigen Gästen zu wünschen, vor allem dann, wenn sie wie ich Austern essen, sogenannte „überbackene“, eine Spezialität des Hauses. Das Spezielle an den unschuldigen Meeresfrüchten ist der trockene, braune Sand, mit dem sie hoch beladen sind. Er hat keinerlei Geschmack, so dass ich den Eindruck hatte, in der Sahara im Sandsturm beim Austernschlürfen zu sitzen. Nur war da nichts mehr, was ich schlürfen konnte. Die große Dürre hatte den Schalentieren längst den Garaus gemacht.

Das gleiche Schicksal hatte auch die Scholle ereilt, welche ich danach essen wollte. Sie war nicht nur groß, sondern auch so trocken, wie sich furchtsame Menschen die Erde in tausend Jahren vorstellen. Mit einem essbaren Fisch hatte die faserige Matte jedenfalls keine Ähnlichkeit.

Eine weitere Spezialität dieses ehrwürdigen Restaurants sind die kleinen Zimmer in denen man isst, und deren Türen man verschließen kann. Anders als im Pariser Lapérouse, in dessen chambres séparés Victor Hugo, die Colette und andere Lustmolche dinierten und gedichtet haben, ist schwer vorstellbar, welchen Reiz hier in Hamburg die verschließbaren Türen für wen gehabt haben konnten. Sollte Gräfin Dönhoff hier mit Ted Sommer und Haug von Kuenheim den Umsatz von Dom Perignon in die Höhe getrieben haben? Nö, eher kommt der F.C. Sankt Pauli in die Oberliga. Der jetzige Chefredakteur hätte vielleicht das Zeug dazu; aber er traut sich nicht.

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