TOD EINES CHEFS

Der erste Starkoch, der sich umbrachte, weil er fürchtete, die an ihn gestellten Anforderungen nicht erfüllt zu haben oder erfüllen zu können, war Vatel. Er war Hofkoch und Zeremonienmeister beim Fürsten Condé und offenbar ein stressgeplagter Perfektionist. Als er eines Tages (1671) den Besuch de Königs (Louis XIV) erwartete, und die bestellten Fischen nicht pünktlich geliefert wurden, stürzte er sich verzweifelt in sein Schwert.

Madame Sévigné, die berühmte Chronistin ihrer Zeit, beklagte in ihren Briefen anlässlich seines Selbstmord „die verlorenen Ehrbegriffe anderer Personen, die sich an Vatel ein Beispiel nehmen sollen…“

Sie hatte ja Recht; die meisten Leichen, die man im Morgennebel vor den Toren der Stadt fand, hatten sich wegen fragwürdiger Ehrbegriffe zu Tode duelliert oder sich angesichts gefälschter Wechsel an einem Ast erhängt.

Beispiele für den Selbstmord prominenter Personen gab es seitdem viele. An erster Stelle finden sich da Literaten, wel­­che es vorzogen, sich tot zu saufen; es folgten Extremsportler, welche von den höchsten Gipfeln der Berge in den Abgrund stürzten und Erfinder, die mitsamt den von ihnen erfundenen Geräten mit mehr oder weniger Getöse in die entgegengesetzte Richtung flogen. Viele von ihnen werden heutigen Schulkindern als Helden der Nation geschildert.

Um zur Berufsgruppe der Köche zurückzukehren, die das eigentliche Thema des Tages ist, so scheint es, dass das Schnitzen der Trüffeln und das Entbeinen der Wachteln keinen sehr vitalen Einfluss auf die Schnitzer und Entbeiner haben kann. Zu viele von ihnen haben es vorgezogen, ihre Stammgäste durch den Zettel zu verblüffen, der plötz­lich anstelle der Speisekarte neben ihrer Restauranttür lakonisch feststellt „Wegen Todesfall geschlossen“.

Angeblich war es die Gastronomiekritik in Form des Guide Michelin, die den ersten Küchenchef in den Selbstmord trieb, indem sie seinen begehrten Stern kassierte.

Den Beweis, dass Köche sensibler sind als ertappte Plagiatoren, erbrachten im Laufe der Zeit einige Küchenchefs, unter denen Bernard Loiseau der prominenteste war. Dabei hatte ihm der Michelin seinen dritten Stern gar nicht wegnehmen wollen. Es war ein Missverständnis. Aber das erfuhren wir, die wir seine Küche in Saulieu liebten, erst als es zu spät war.

Der neueste Fall ist weniger kompliziert. Er lässt eher an den Fussballschiedsrichter denken, der den Stress nicht mehr ertrug und versuchte, sich umzubringen. (Was Gottseidank misslang).

Bei dem schweizer Küchenchef des Basler Restaurants „Ma­tis­se“, Friedrich Zemanek, kann auch von einem Missverständnis die Rede sein. Der ehrgeizige Koch, der bisher in noch keinem Guide verzeichnet war, hatte gehofft im diesjährigen Gault/Millau groß herauszukommen, nämlich mit „mindestens 16 von 20 Punkten“. Das entspricht der Beschleunigung eines neuen Kleinwagens von 0 auf 100 in 6 Sekunden. Für ein Restaurant in einer „unterprivilegierten Lage“, wie die Badische Zeitung schrieb, ein unwahrscheinlicher Wert.

In der Tat entsprechen 16 Punkte bei Gault Millau fast 2 Sternen im Michelin. Und das schafft kein Koch auf Anhieb, mag er auch ein Fanatiker sein, wie Zemanek, von dem sein Partner berichtet, „sein Sieben-Gänge-Menü habe sich aus 150 verschiedenen Artikeln zusammengesetzt.“ Der Gault Millau begrüßte ihn in der neuen Ausgabe mit 14 Punkten.

Falsche Erwartungen, eine falsche Einschätzung des Milieus – was man hier auch geltend machen kann, es zeigt nur die ungeheure Belastung, der Küchenchefs ausgesetzt sind, die in dem weltweiten Zirkus der Küchenkunststücke mitspielen wollen. Ob die Fische zu spät geliefert werden, ob ein Kritiker auch bei sieben Gängen nicht bis 150 zählen will – es ist ein hohes Risiko, das derjenige eingeht, der im Wettbewerb um den Lorbeer den Sinn seines Lebens sieht.

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