MIT PAUKEN UND TROMPETEN

Die Tinte war noch nicht ganz trocken, als…

Dieser spannende Halbsatz war früher oft zu lesen, als die Autoren noch mit Feder und Tinte schrieben. Die Zeiten sind vorbei (man mag das begrüßen oder bedauern), aber Situationen, in denen das soeben Geschriebene von der Realität eingeholt oder überholt wird, gibt es auch heute.
So hatte ich an dieser Stelle kaum behauptet, dass die Kunstfertigkeit der Patissiers (der Konditoren), das Erscheinungsbild auf den Tellern unserer Spitzengastronomie stark beeinflusst, wenn nicht sogar entscheidend prägt (was anhand der neu­e­­sten Kochbücher zu erkennen ist), da erscheint als allerneueste Edition ein Doppelband im Eigenverlag über das Restaurant Bar­eiss.

Wenn ich mich nicht irre, ist es die erste Selbstdarstellung des Drei-Sterne-Restaurants in Baiersbronn-Mitteltal. Es sind zwei überaus stattliche Bände, durchaus geeignet, Moses‘ Gesetztafeln aufzunehmen. Was sie wirklich enthalten, ist einmalig. Denn statt Rezepte der renommierten Küche des Claus-Peter Lumpp zu beschreiben, sind von seinen Gerichten nur eine begrenzte Menge abgebildet, vorzugsweise an den Rändern unscharf und überhaupt mit einer Prätention fotografiert, welche von der durchgehenden Vergrößerung noch betont wird. Hier hat der Fotograf (Michael Wissmann) die Wortlosigkeit der Kochkunst visu­a­­l­­isiert, wie es dem Prado in manchen Sälen mit der Malerei gelungen ist. Der zweite Band dieser einmaligen gastro­nomischen Präsentation ist dem Patissier des „Bareiss“ Ste­­phan Leitner gewidmet ist. Das bedeutet einmal, im ersten Band über Hans Peter Lumpp, den Küchenchef, der sich die drei Michelinsterne mit Bravour erkocht hat, gibt es kein Rezept für ein Dessert. Die sind im Band 2 um die Person des Patissiers herum versammelt.

Wer die Entwicklung gründlich beobachtet hat, wird sich darüber nicht wundern; man könnte sogar sagen: das war fällig. In einer Gastronomie, wo die Rehrücken auf den Tellen aussehen wie schokoladige Cremeschnittchen (sagt mir nicht, wie die in der Konditorsprache korrekt genannt werden!) und die Krebsschwänze ohne Sauce in Windbeuteln verpackt werden, deren ‚Schokoladenüberzug‘ in Wirk­lichkeit ein Kaviargelee ist, wo solchermaßen gezaubert und getrickst wird, ist nicht nur die Deftigkeit der Speisen auf dem Rückzug, sondern auch ihre eigentliche Form.

Die ist jetzt in erster Linie unlogisch, nämlich theatralisch, mystisch und geheimnisvoll. So wie in diesen beiden Pracht­­­bän­den ist das Kulinarische selten oder nie dargestellt worden. Man kann sagen, hier hat die Darstellung der Koch­­kunst eine neue Dimension angenommen. Man glaubt  in Bayreuth zu sein, umgeben von leitmotivischem Schaum und umwabert von sphärischem Nebel.

Vielleicht wird man tatsächlich einmal das Restaurant des Hermann Bareiss als ein gastronomisches Bayreuth bezeichnen.

Bis dahin aber gilt: Hauptsache, es schmeckt!

 

Hier das Viedeo zur Entstehung der Kochbücher „Nahaufahme“:

Claus-Peter Lumpp: Nahaufnahme

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