36 : 1 = Noch mehr Kochbücher

Vor fast dreißig Jahren erschien ein Kochbuch von Wolf Uecker im STERN Verlag. Es hieß „Die neue alte Küche„.

Ein guter Titel insofern, als die Rezepte unsere alte deutsche Küche repräsentierten, aber aufgefrischt waren mit den Erkenntnissen von damals.

Das ist genau das, wofür sich ein Hobbykoch interessiert: eine aktualisierte klassische Küche; es sei denn, er hätte schon mehrere Kochkurse bei unseren Drei-Stern-Köchen absolviert. Von der traditionellen Küche bot dieser dicke Band eine Menge. Das Rezept für die Hamburger Aalsuppe stand neben dem einer Rindsroulade, die 5-Stunden-Keule wurde ebenso vorgestellt, wie der Zander auf einem Gemüsebeet. Die Königsberger Klopse wurden wenigstens zur Hälfte aus Kalbfleisch geformt, und Mehlschwitze nur selten benutzt. Ein praktisches Buch, auf der Höhe der Zeit von 1983.

Seitdem hat es mindestens ein Dutzend Kochbücher über ‚die neue deutsche Küche‘ gegeben, überwiegend belanglose Rezeptsammlungen, die sich zu dem Buch von 1983 verhalten wie ein Campendonk von Beltracci zu einem echten Campendonk. Meine Leseerfahrung rät mir, Neuigkeiten aus der „neuen deutschen Küche“ auf ihre Echtheit zu überprüfen und mich dort umzusehen, wo unsere Küchenstars von morgen vorgestellt werden. Das können auch Lokalmatadore sein, denn keiner, der geschickt mit dem Rührgerät umzugehen weiß, wird von den Medien übersehen.

Da gibt es glücklicherweise eine Gruppe von Köchen, die sich Jeunes Restaurateurs d’Europe nennen und allesamt talentierte Küchenchefs sind. Entweder haben sie bei den Großen ihrer Zeit gelernt, oder sie stammen aus erfolgreichen Wirte-Dynastien. Eine Übersicht über diese Bande künftiger Superköche ist in der Collection Rolf Heyne erschienen, und da sie unter dem Titel „Die neue deutsche Küche“ erschienen ist, sollte man sich gleichzeitig über den Zustand dieser Küche informieren können.

Dem Stil der Saison folgend wird der Inhalt des Buches durch ganzseitige, perfekte Fotos dargestellt. Fotos der Köche, versteht sich, und ihrer Restaurants. Vor allem aber Fotos von gefüllten Tellern, auf denen sich die neue deutsche Küche darstellt. Und sofort fällt der gewaltige Unterschied auf, zwischen damals und heute. Zuerst die Teller: Sie sind schneeweiß und entweder rund oder viereckig, keiner besitzt ein Ornament. Einer besteht sogar nur aus Backpapier. Für das, was sie enthalten, sind sie alle zu groß. Denn die Portionen werden alle Gäste enttäuschen, deren Ideal das über den Tellerrand hängende Schnitzel ist: sie sind winzig. Ein Stück Fleisch, welches größer als ein Finger ist, habe ich nicht entdeckt. Entsprechend sparsam wird mit der Sauce umgegangen. Wenn man überhaupt von Sauce sprechen könnte. Sie besteht aus Tropfen. Manchmal sechs, meistens sind es weniger, die schutzsuchend die Nähe einer Krebsschere suchen. Da Adriàs verstörende Technik noch nicht vergessen ist, drückt sich schon mal ein Schäumchen an ein Zwiebelchen, wie überhaupt die Magermode der langbeinigen Models oft als Vorbild gedient haben muss.

Im Grunde ist diese deutsche Küche ein Triumph des Designs, die Form übertrifft den Inhalt allemal. Ich habe den Eindruck, diese tapferen Köche wollten alle Konditor werden, aber dann hat der Papa gesagt: „Werde was Richtiges, Junge!“ Jetzt stehlen sie sich als Köche so oft es geht in die Patisserie und montieren mit der Lupe im Auge die niedlichsten Perlstickereien aus Zucker.

Wenn das die Deutsche Küche ist, dann ist sie sehr arbeitsintensiv und sehr raffiniert. Die kleinen Portionen und der Verzicht auf schwere Fette und Saucen wird den Gesundheitsminister erfreuen. Den Feinschmecker erfreut das Mager-Prinzip sowieso. Nur die Familienministerin muss ihre Hoffnung auf eine freiwillige Quotenregelung aufgeben: Unter den 36 Küchenchefs ist nur 1 Frau.

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Ralf Kabelitz |

    Da gibt es nur einen Kommentar: Recht hat ER!

  2. ubena |

    Ich koche schon seit Jahren aus dem großen Uecker das eine oder andere schon fast vergessene Rezept und war noch nie enttäuscht. Leider verschwinden die sog. alten Hausrezepte mehr und mehr da die gutbürgerlichen Köchinnen leider aussterben und die heutige Generation kaum noch kocht.

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