AUBERGE DE L’ILL, ILLHAEUSERN, ELSASS

Heute ist der 23. September, der Tag, an dem die französische Gastronomie ihre Erhebung in den Stand eines Weltkulturerbes feiert. Zunächst hieß es, in den einzelnen Regionen würden die Restaurants traditionelle Gerichte auf die Karte setzen. Aber angesichts der auch in Frankreich grassierenden Schnäppchenmentalität haben sich die erwähnenswerten Restaurants auf zwei oder drei Rabatttage geeinigt: Zwei Personen essen für den Preis von einer. Also ein Nachlass von 50 Prozent, wenn man nichts zum Essen trinkt.
Das lockt erwartungsgemäß vor allem Gäste ins Haus, denen die Menüs in einem Dreistern-Restaurant bisher zu teuer waren.
Zum Beispiel in die „Auberge de l’Ill“ der Familie Haeberlin. Sie gehört schon eine Ewigkeit zu Frankreichs Gourmet-Tempeln und hat an ihrer Beliebtheit nichts verloren. Auch die 3 Sterne nicht, was fast ein Wunder ist, denn Maitre Paul, der sie erkocht hatte, ist seit einigen Jahren tot. Aber sein Sohn Marc hat den Herd nicht ausgehen lassen und kocht ebenso brillant wie sein Vater, nur eine Spur moderner. Zwar hat er es klugerweise ver mieden, sich an den nächsten modischen Trend zu hängen und den Avantgardisten zu spielen (im Elsass kann man damit keinen Blumentopf gewinnen). Aber die regionale Deftigkeit – die schon unter seinem Vater ver schlankt wurde – kam bei ihm nicht ungeschoren davon. Das bezeugen die Klassiker, die der große Paul erfunden hat und immer noch auf der Karte stehen.
An diesem sonnigen Festtag für La Cuisine Francaise verriet bereits der vollgestellte Parkplatz: ausgebucht, keine deutschen Nummerschilder.
Zur Erinnerung an alte Zeiten bestellte ich Mousseline de Grenouille, Saumon Soufflé, Vacherin à la Grande Mère, und alle gereichten sie dem Andenken an Vater Paul, dem Schaffen des Sohnes Marc, sowie den drei Sternen des Michelin, zur Ehre.
Die Mousseline sah aus wie ein Iglu mit Inhalt, welcher nicht aus tranigen Eskimos bestand, sondern aus einem Froschschenkelragout ohne Knöchelchen, mit Tapeten aus Blattspinat und einer Seeigelsauce von größter Delikatesse. Darüber war eine weiße Halbkugel gestülpt. Sie bestand aus einer Hechtmousse, war zirka 1 cm dick und steif wie das Weiße eines Frühstückseis. Früher – erinnere ich mich – war das Gericht eher suppig; hier hatte Marc wohl Algen eingesetzt oder was bei progressiven Köchen neuerdings zum Andicken in Mode ist. Es schmeckte jedenfalls himmlisch und passte wunderbar zum zehnjährigen Riesling Frédéric Emile vom Weingut Trimbach, den Serge Doubs, der beste aller Sommeliers, mir dazu empfohlen hatte. Wo sonst, wenn nicht in Spitzenrestaurants, stehen heute noch ausgereifte Weine auf der Karte? Wo man wenigstens eine Ahnung davon bekommt, wie ein großer Riesling schmecken kann, muss?
Nach diesem ersten Gang (dem wie üblich eine Reihe leckerer ‚Küchengrüße‘ vorausgegangen waren, diese kleinen Frivolitäten, mit denen viele Köche auftrumpfen wie Komponisten mit Ouvertüren) konnte mir nichts mehr die gute Laune verderben. Zumal die Auberge sich in ihrem besten Licht zeigte, nämlich im Sonnenschein. Mit der gepflegten Gartenterrasse, den Tischen unter den riesigen Weiden, an denen ständig Gäste entweder beim Aperitif oder beim Espresso sitzen und den Schwänen zusehen, die mit ihrem halbstarken Nachwuchs langsam den Ill hinauf paddeln, die gefräßigen Enten beob achten, welchen Jean-Pierre Haeberlin, der 87jährige Onkel von Marc, zur Feier des Tages eine Handvoll Weissbrot zuwirft, das fröhliche Gemurmel der Gäste, begleitet von Gläserklingen und Besteckgeklapper, der fabelhaft funktionierende Service – all das for miert sich zu einem hör-, greif- und sichtbaren Gesamtkunstwerk, das den Begriff ‚Luxus‘ besser verkörpert als ein Showroom von Rolls Royce. Ich kenne kein anderes Spitzenrestau rant, das dem Gast so überzeugend vor Augen führt, wie gastronomische Perfektion beschaffen sein kann.
Mein zweiter Gang war auch schon der Hauptgang (für die endlosen Degustationsmenü hat heute niemand mehr Geduld und Appetit) und bestand aus dem sagenhaften Saumon soufflé, der soufflierten Lachsscheibe. Die war deutlich kleiner als zu Zeiten Vater Pauls, deshalb zeitgemäßer. Und keinen Deut weniger delikat! Auch hier ging eine Fischmousse vom Hecht mit dem Lachsfilet eine Art osmotische Verbindung ein, bei der nicht die tech nische Zauberei den Kick auslöste, sondern, wie das generell bei allen Köchen sein sollte, der raffinierte, köstliche Geschmack.
Bei derartigen Meisterstücken spielt es keine Rolle, ob sich die Lachstextur im hinteren Teil der Mund höhle mit dem Aroma des Long Pepper zu einem dekonstruktivis -tis ch motivierten Duo vereint, oder die Zungenspit ze verblüfft auf die Symbiose von Apfelbalsamiko mit mongolischem Sieben-Gewürz-Pulver stößt, während rechts und links getrüffelte Sesamtropfen durch Agar-Agar in den Zustand eines aufsteigenden Gedankens verwandelt werden, welcher seine holländisch-asiatische Herkunft nicht verheimlichen kann.
Der Esser, der sich nicht mit Mikroskop und Pipette zu Tisch setzt, will, dass es ihm gut schmeckt, möglichst sehr gut, und dass ihn die Tapeten nicht stören. In der Auberge de l’Ill wird er glücklich sein.
Ich sollte nicht vergessen, meinen Nachtisch zu erwähnen, diesen altmodischen Berg aus Meringue und Sahne, der das genaue Gegenteil von den Kunstwerken ist, die Avantgarde-Konditoren auf Marmorsockeln servieren, als wären es Exponate fürs Museum. Ja, so kochten damals einige Großmütter. Dafür kamen sie in den Himmel.

Fotos: Barbara Siebeck

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