TROTTER GEAR

Frau HoffmannGegen Ende des vorigen Jahrhunderts traf ich in London Axel Scheffler, der dort lebt und einige meiner Bücher illustriert hat. Während des Abendessens bei „Rules“ im Theaterdistrikt, erzählte er mir von einer Kneipe, deren Spezialität die Innereien der Tiere sind. Der Wirt, Fergus Henderson, habe Aufsehen erregt, indem er Eichhörnchen auf seine Speisekarte setzte. Die hatte ich noch nie gegessen, also machte ich mich auf, die nervösen Nager auf meinem Teller kennen zu lernen.
Als ich die Adresse erreichte, war mir die eindringliche Parole der Hendersonsche Küche bereits vertraut: „From nose to tail“, das bedeutete nach dem Willen des Kochs, dass von unseren Schlachttieren alles, wirklich alles von der Nase bis zum Schwanz, gegessen werden kann. Schon aus Respekt vor den weniger teueren Teilen. Eine lobenswerte Einstellung, besonders vor dem Hintergrund des sozialistischen Pampflets „U- and Non U“ der Nancy Mitford, das damals ganz Hamstead auswendig kannte. Ich entdeckte aber gleichzeitig die unterschiedliche Delikatesse der einzelnen essbaren Teile. So finde ich eine Schweineniere lägst nicht so appetitlich wie das entsprechende Organ vom Kalb, auch die Leber von der gestopften Gans (bereits von den Römern als Leckerbissen hochgeschätzt), gilt dem londoner Koch als Leckerbissen. Sein Buch „Nose to tail“ wurde jetzt im Basler Echtzeit Verlag zum ersten Mal ins Deutsche übertragen, wobei es den Umfang verdoppelte und zum Kultbuch erklärt wurde. Davon kann keine Rede sein, weder setzt Nase-bis-Schwanz einen Trend in Bewegung noch bringt es dem Hobbykoch neue Erkenntnisse. Dazu sind die eingefügten Rezepte zu banal. Es sei denn der Leser ist wild darauf, zu erfahren, dass trotter gear nichts anderes ist, als „schwabbelndes Schweinfußfleisch“, das man aus 6 Schweinefüßen 3 Stunden lang herauskochen muss. Vielleicht interessiert den Leser – sofern es keine Frau Ist – zusätzlich, dass ein Schweinefußgratin mit Kutteln und Zwiebeln besser mit Kartoffelpüree gegessen wird. Immerhin bringt Henderson das Kunststück fertig, die abgebildeten Nasen- und Schwanzstücke so unappetitlich ins Bild zu setzen wie möglich. Dass seine Gäste dafür Fleischragouts mit den Fingern essen müssen, entspricht dem Bild seiner Proletküche. Insofern passt der Begriff Kultbuch letzten Endes doch.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Reiner Scherpenstein |

    Wozu brauche ich das Werk von Fergus Henderson, wenn ich dieses Buch hier mein Eigen nennen darf: „Das Kochbuch der verpönten Küche“. Alles, was ich zu diesem Thema wissen möchte kann ich hier nachlesen. Von diesem Autor besitze ich sämtliche Bücher, jedes begleitet mich durch die Klippen des Alltags und besonders der Freizeit. Es sind viele, gefühlt immer noch zu wenige. Will mich aber nicht beklagen.

  2. Dieter |

    Innereien sind nicht jedermanns Geschmack. Sie haben einen hohen Cholesteringehalt.
    Man sollte sie nur in Maßen verzehren.
    Früher wurden Tiere geschlachtet, wenn sie alt waren. Heute sterben sie früh, so daß
    die Reinigungsorgane kaum belastet sind.
    Organe von Schlachttieren, Wild und Geflügel, bleiben richtig zubereitet, eine Delikatesse.
    Heute geht das Meiste in die Wurst. Aber drei Stunden
    gekochte Schweinepfoten würde ich nicht essen!

  3. Sauzahn |

    Trotter Gear.
    Das war die Basis meiner Oberpfälzer Großmutters Tellersulz.
    Sie wurde im Sommer mit einer Marinade und gekochten Kartoffeln gegessen.
    Die aktuelle Grillerei ist im Vergleich dazu ein Rückschritt.

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