NOTWENDIGE AUFKLÄRUNG

Frau HoffmannMan könnte annehmen, die Menschheit habe Wichtigeres zu tun als sich um die Tischsitten vergangener Epochen zu kümmern. Wahrscheinlich ist auch, dass sich unendlich viel mehr Bundesbürger für die Fußball-Liga interessieren als für den Inhalt der königlich-sächsischen Speisekam­mer.

Verzetteln wir uns also mit Lappalien bei der Beschäftigung mit der Küche am Dresdner Hof zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende? War nicht schon damals unser militär­isch-politisches Verhältnis zu den europäischen Nachbarn wichtiger als die Frage, in welchem Verhältnis die Sächsische Küche zur Küche der Franzosen stand?

Diese Frage materialistisch und ökonomisch mit „Aber selbstverständlich: ja“ zu beantworten liegt nahe in einer Epoche, deren Zeitgeist dem Materialismus verpflichtet ist. Oft genügt schon ein lustvoller Blick auf eine Speisekarte der feinen Gesellschaft, um ein tadelndes Stirnrunzeln hervorzurufen. Denn die humanistische Basis und die hehren Ziele unserer Existenz werden mit den 10 Geboten gleichgesetzt, eine Mischung, die wie Hefe in einem Kuchenteig wirkt: eine zur Unförmigkeit aufgetriebene Heuchelei.

Bei der im Sächsischen Stadtarchiv mit phantastischer Gründlichkeit zusammenge­tragenen Sammlung handelt es sich um so etwas wie eine Asservatenkammer, welche die Beweisstücke einer Tisch­kultur enthält, die den Anschlag auf unsere Zivilisation ebenso deutlich macht wie die Kanonen im nächsten Zeughaus.

Denn um nichts weniger handelt es sich bei der Diffamierung des kulinarischen Genusses.

Wenn wir in der Deutschen Geschichte ein durchgehendes

Leitmotiv entdecken, so ist es das Lob der Bescheidenheit, des Schlichten und der Verzicht auf Verfeinerung.

Mit einbezogen in diesen Kosmos der Enthaltsamkeit – und zwar nicht erst seit Luther, wie ich hier auf preußischem Boden bekenne – ist die ästhetische Abneigung des Ornaments, die Verleumdung intellektueller Spekulationen sowie die grundsätzliche Verteufelung des unnötig Komplizierten und Verspielten.

Für all diese Begriffe benutzen wir den Begriff der Dekadenz. Ob es dabei um Seidenstrümpfe, Federn am Hut, Perücken und Schmuckstücke für Männer – oder gleichzeitig um Damenmoden von monströser Üppigkeit – ging wie in der Gotik und wie im Frühbarock, immer waren die Genussverächter vom Stamme der Savonarolas zur Stelle, die aus dem reichen Mitteleuropa ein schlichtes Armenhaus machen wollten. Dazu gehörte selbstverständlich auch alles, was den leiblichen Genuss zu steigern in der Lage war.

Einigen gelang das zeitweise, und es ist nicht gesagt, dass es nicht noch das eine oder andere Mal wieder geschieht. Dagegen hilft, wie immer, eine gründliche Bildung. Meine Generation, die sowohl den Zivilisationsverfall wie den Hedonismus am eigenen Leib erfuhr, ist verständlicher­weise daran interessiert, den Apologeten des Schwarzbrots nicht erneut zu begegnen.

Deshalb begrüße ich die Veröffentlichung der Dokumenta­tion von Professor Matzerath an diesem Ort von ganzem Herzen. Sie ist Aufklärung im besten Sinne.

(Begrüßung anlässlich der Dresdner Ausstellung am 4.11.2013)

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