EINE PERLE IM WALD

Frau HoffmannIn den Schwarzwald kann man von allen Seiten fahren. Die meisten Besucher beginnen ihre Tour jedoch in Freiburg. Von dort geht es eine knappe Stunde in Richtung Villingen-Schwenningen, und man erreicht Vöhrenbach. Ein Ort wie viele andere zwischen hohen Tannen und niedriger Arbeitslosenquote. In Ortsmitte der „Gasthof zum Engel“ der Familie Ketterer. Eine Ausnahmeadresse von großer Bedeutung. Als er ihn übernahm, bekam Ketterer bereits nach wenigen Jahren den ersten Michelin Stern.

Nach weiterem Schaffen wäre wahrscheinlich ein zweiter fällig gewesen. Denn dieser Koch und seine äußerst liebenswürdige Frau boten ihren Gästen Kochkunst auf höchstem bürgerlichen Niveau. Aber es war zu früh für Kutteln in Champagner und Kalbsbäckchen mit Morcheln. Die Leute sahen der Stern und scheuten zurück, wie ein Springpferd vor dem Oxer. Oder, richtiger gesagt: wie die Esel vor dem Knusperhäuschen. Die einheimischen Bauern fürchteten Eleganz; die Wandersleute desgleichen. Die ansässigen Kuckucksuhrenbauer glaubten an inflationäre Preise, die Frommen an Sünde – wie das so ist, in ländlichen Gegenden, wo ein Stern­­restaurant angesehen wird wie ein Luxusbordell.

Dabei hatte Ketterer nur ein paar neue Lampen gekauft, alles andere – einschließlich der Preise – aber so gelassen, wie es vorher gewesen war.

Hier, zwischen den schwarzen Tannen und den reichen Kleinfabriken, wurde deutlich, warum Deutschland sich so schwer tat mit der kulinarischen Verfeinerung. Es ist das Land, in dem mittelständische Millionäre sich den Champagner in Wasserkrügen kredenzen lassen, um nicht ungut aufzufallen.

Die Gäste mieden den „Engel“ in Vöhrenbach.

Die Familie Ketterer sah sich gezwungen, den glänzenden Stern an Michelin zurück zu geben. Sie begnügten sich mit seiner Vorstufe, dem Bib, der lediglich Häuser empfiehlt, die eine gute Küche bis 35 Euro bieten (drei Gänge ohne Getränke). Also ein leicht über dem Durchschnitt liegendes Gasthaus.

Betritt man die Gaststube des Engels, erkennt man das Zutreffende dieser Charakterisierung. Es ist hübsch und ländlich, wenig folkloristischer Kitsch, hell, und die Bedienung, angeführt von Frau Ketterer, von familiärer Lockerheit. Also äußerlich das genaue Gegenteil jener Gastronomie, die bei vielen Menschen Schwellenangst auslöst.

Dann wird einem die Speisekarte gebracht, und man beginnt zu staunen. Ein Angebot, das sich von dem früheren des Einsternlokals überhaupt nicht unterscheidet. Nicht dass hier in Trüffel und Kaviar geschwelgt würde, aber die Gerichte verraten den hohen Anspruch des Küchenchefs, der sich nicht scheut, sogar Kutteln anzubieten. Oder Kalbsbries, und sowieso alles Genuss Versprechende, wenn er es für einen Spottpreis anbieten kann: Eine astreine Gourmetküche in einem rustikalen Ambiente.

Läge der „Engel“ nicht so versteckt zwischen den Tannen sondern im Breisgau, wäre das Gasthaus der Familie Ketterer eine der populärsten Adressen im Feinschmeckerländle am Oberrhein.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Dieter |

    Die Sehnsucht zum provinziellen Muff
    hält an.
    Wir Deutsche haben ja schon immer ein gebrochenes
    Verhältnis zur Eleganz und zu dem, was mann Luxus
    nennt, sowie zu einer gehobenen Lebenskultur gehabt.
    Wir fühlen uns im urig – rustikalen Restaurants am wohlsten.
    Herr Ober, bitte eine Schlachteplatte und dazu ein
    Bierchen und ein Korn! Guten Appetit!

  2. Juliane |

    Ja liebe Leser, so ist das mit uns Deutschen. Wir haben aber auch ein kreuzbürgerliches und eindimensionales Verhältnis zum Luxus, das nicht einmal zuläßt, daß man sich mittags in Wander- und Radfahrklamotten in einem ordentlichen Restaurant blicken lassen und wohlfühlen kann.
    Jüngst waren wir knappe 2 Wochen mit dem Rad in Südwestfrankreich unterwegs – von Ort zu Ort und abends natürlich im Restaurant essen. Man kann auf solch einer Reise nur mit Minimalgepäck unterwegs sein, es mangelt zwangsläufig an der wirklich angemessenen Garderobe. Wie sehr hat uns doch überrascht, daß die Franzosen ihrerseits auch abends in sehr ungezwungener Garderobe zahlreich die Restaurants (und ich spreche nicht von Brasserien und Frittenbuden!) aufsuchen, namentlich auf dem Land. Nun kann man einen generellen Verlust der Form beklagen. Ich finde es jedoch viel beklagenswerter, daß wir der Form eben so viel Bedeutung beimessen, daß wir hinter einem Restaurant mit Anspruch auch gleich den Sakko- und Krawattenzwang vermuten. Es hat sich leider bei uns noch nicht herumgesprochen, daß Küche mit Anspruch einer wohlgesonnenen bunten Gästeschar bedarf, die den Restaurantbesuch nicht als singuläre Eventveranstaltung begreift, die man sich allenfalls zum runden Geburtstag oder zur Silberhochzeit gönnt. Wann endlich sind die Zeiten vorbei, in denen zum Lachen in den Keller gegangen wird?

  3. Hermann Acker |

    Gehen seit 30 Jahren zu den Ketterers. Die Küche ist einfach himmlisch. Wir hoffen noch ein paar Jahre diesen genialen Koch

    und seine fleißige und freundliche Gattin genißen zu können. Freuen uns schon auf Weihnachten

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