SYLT

Frau HoffmannFrau Siebeck wollte das Meer sehen.

Großzügig, wie ich bin, stimmte ich zu: „OK. Welches Meer?“

„Die Nordsee.“

„Warum die Nordsee?“
„Weil – da waren wir in diesem Jahr noch nicht.“

„Stimmt. Aber wo da? Bretagne oder Schottland?“
„Weder noch. Sylt.“

Ich reagierte wie ein Vater, dem auf der Wöchnerinnenstation gratuliert wird: ‚Sie haben Drillinge‘.

So mancher Glückliche, der auch in diesem Jahr nicht auf Sylt war, wird verwundert fragen: „Was ist denn daran so schlimm?“

Nichts ist schlimm an Sylt oder auf Sylt, wie es korrekterweise heißen muss, denn Sylt ist eine Insel in der Nordsee. Nicht weit vom Holsteinschen Festland entfernt, hat Hindenburg einen Eisenbahndamm übers Wasser bauen lassen, so dass die Besucher sich heute mit dem eigenen Auto hinüber transportieren lassen können. Dafür greifen sie zum ersten Mal ganz tief in ihre Tasche und zahlen für eine Woche so viel wie für drei Tage Paris im 3-Stern-Hotel mit Blick auf den Eiffelturm, nach dem sie sich auf Sylt vergeblich die Hälse recken. Man sieht nicht einmal das Meer, wenn es regnet. Und auf Sylt regnet es oft, um nicht zu sagen, häufiger als am Eiffelturm.

Aber, das muss man zugeben, auf der Insel gibt es fast so viele Gourmet-Restaurants wie im Umkreis des Eiffelturms. Die hatte Frau Siebeck im Sinn, als sie die Insel als herbstliches Reiseziel wählte.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich hier auf Sylt im Strand­korb sitze und es in Strömen regnet. Glücklicherweise steht der Strandkorb nicht am sandigen Strand (dann stünde er im Matsch), sondern vor unserer Zimmertür im Garten des Hotels Stadt Hamburg in Westerland. Westerland ist die größte und hässlichste Stadt auf der Insel Sylt. Genau besehen, ist sie die hässlichste Stadt Deutschland, weil die Stadtbauräte und andere Gleichgesinnte mit dem vielen Geld, das sie Jahr für Jahr einnehmen, nur Monstrositäten in den Sand gesetzt haben, wie man sie an rumänischen Stränden vermutet. Die Menschen, die sich auch jetzt, da der Sommer vorbei ist, durch die Straßen wälzen, gehören, wie ich, einer älteren Generation an und essen Fischbrötchen oder Labskaus.

Letzteres ist, wie jeder weiß, der Graf-Luckner gelesen hat, die traditionelle Kost der Weltumsegler, anspruchslos und sättigend. Mithin die Deutsche Küche symbolisierend wie kein anderes Essen. Man erkennt es schon von weitem auf den Tellern der Touristen, welche sich in den Straßencafes Westerlands der traditionellen Seefahrerküche ausliefern. Die Farbe ist unter den essbaren Dingen dieser Welt einmalig: lila.

Diese Farbe Lila, das muss man zugeben, hat es in unserem Leben nicht leicht. Allenfalls ein paar komische Kardinäle statten ihre Klei­der damit aus. Der Erreger dieser unkulinarischen Farbe ist die ebenfalls bei den Deutschen beliebte Gemüseknolle mit dem frommen Namen Rote Beete. Die wird weich gekocht und püriert und mit Kartoffelpüree vermengt, wonach das Ganze mit Corned Beef vermischt und gewürzt wird. Ob nur mit Salz oder mit fein gehackten Gewürzgurken, das hängt von Unwägbarkeiten ab, zu denen die Stimmung des Kochs gehört wie die Frage, ob ihm noch ein Ge­hilfe zur Verfügung steht. Bekanntlich liebt der deutsche Esser gro­ße Portionen, deshalb liegen neben den lila Fleisch-Kartoffel-Hau­fen weitere Scheiben Roter Beete und saurer Gurken. Nach Aussagen alter Cap Horner kann der Fleischanteil auch aus durchgedrehtem Ochsenschwanz bestehen oder, bei Windstärke 10, aus Schlim­merem. Mir hat der Brei wie Windstärke 8 geschmeckt.

Das menschliche Wesen hat auf der Insel Sylt die Form von Touris­ten angenommen, welche man an den besorgten Gesichtern beim Lesen der Preisschilder erkennt, ob in den Andenkenläden mit ihren Teekannen oder im Restaurant. Gekleidet sind sie jetzt wie für eine Wanderung im Hochgebirge. Und was dort das Matterhorn, ist hier Sansibar, der Treffpunkt aller, die wenigstens einmal angesichts des Blanken Hans‘ eine Currywurst gegessen haben wollen.

Sansibar, die Imitation einer alpinen Skihütte, ist an Primitivität nicht zu übertreffen, was aber weder die tausend Gäste stört, die sich täglich um die rohen Tische balgen, noch den schlauen Besitzer dieser Goldgrube. Ursprünglich war es ein Strand­­­­lokal mit exzellentem Fisch- und Weinangebot, aber inzwischen sind die Meere leer gefischt und viele Flaschen getrunken worden, so dass vom kulinarischen Reiz dieser Adresse nur der Sand übrig blieb. Bei oberflächlicher Beurteilung könnte man Sansibar mit dem Club 55 bei Saint Tropez vergleichen, doch der Klassenunterschied ist nicht zu übersehen. Die Massen, die sich in den Dünen von Rantum drängen wie in den Zelten des Oktoberfestes, finden es schick, mit dem Volk um die Wette zu essen, während die Gäste am Strand von Ramatuell Wert darauf legen, als elitär zu gelten. Beide feiern jedoch nur ihren privaten Karneval mit den orts­üblichen Attributen: protestantisch schlicht in Rantum, üppig katholisch am Mittelmeer.

One Comment | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Schnick Schnack Schnuck |

    Omma sachte immer: Lila schützt vor Schwangerschaft. Gebetet hat se aber auch katholisch.

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