MIT BLOSSER HAND

Frau HoffmannEs ist viel von der Kontaminierung durch Nahrungsmittel die Rede. So klingt die Verschleierungssprache der Ministerien. In der Alltagssprache bedeutet das: „Achtung! Coli Bakterien im Hackfleisch.“ Warum Befunde dieser Art nur verschleiert zur Sprache kommen (oder gar nicht in Zeiten eines Wahlkampfes), ist einleuchtend, denn der Konsument lastet neben der Umweltzerstörung, der Luftverschmutzung und den Strompreisen alle Ärgernisse seiner Regierung an. Meistens zu Recht; manchmal aber trägt er selber durch sein gedankenloses Verhalten Schuld an den beklagenswerten Zuständen.

Jedenfalls tragen Verkäuferinnen von Wurst und Camembert immer häufiger weiße Handschuhe. Dadurch sollen Coli- und andere Bakterien von den empfindlichen Organen der Wohl­standsbürger abgeschreckt werden. Gesetzlich ist das Tragen von Handschuhen für Verkäuferinnen noch nicht vorgeschrieben. Aber was tut ein Geschäftsmann nicht alles, um seine Kunden bei Laune zu halten. Auch Sargträger dürfen die Särge mit nackten Händen tragen; auf dem Friedhof denkt der trauernde Mensch nicht so intensiv an Hygiene. Eher müssten schon die Fahrgäste in der Straßenbahn weiße Handschuhe tragen. Dort werden Haltegriffe und Stangen im Laufe eines Tages unendlich viel häufiger befingert als eine Bierwurst auf der Metzgertheke. Und zwar nicht nur von einem Schaffner, sondern von vielen Menschen mit unterschiedlichen Waschgewohnheiten.

Diese Beobachtung kann heute jeder machen, der mit der Straßenbahn zum Supermarkt fährt und die übliche Single-portion an Wurst und Käse erwirbt.

Neu ist die Sorge um die Reinheit der Dinge keineswegs. Sie gibt es, seit in der zivilisierten Gesellschaft fließendes Wasser zur Raumausstattung gehört. Jedenfalls sieht man in Kostümfilmen nicht nur wie der Tee von Handschuh tragenden Domestiken eingegossen wird, und Abschiedsbriefe vom Butler auf silbernem Tablett überreicht werden. Wie sonst schützt der würdige Alte die antike Silberscheibe vor dem Abdruck seiner schweißigen Finger?

Bei derart vernünftigen Beispielen von Hygiene im Haushalt fällt es schwer, Argumente gegen den Handschuh der Wurst abschneiderin zu finden. Dass ihr Handschuh aus durchsichtigem Kunststoff besteht, kann allenfalls einen überlebenden Ästheten stören.

Der Fleischkäufer, der bisher nichts dabei fand, eine Scheibe Fleischwurst dankbar für sein Töchterlein zu akzeptieren, die dem Kind von der Metzgerin mit derselben Hand überreicht wurde, mit der sie vorher Geldscheine in der Ladenkasse verstaute, dieser weltgewandte Konsument wird sich möglicherweise an die neue Sitte nur zögernd gewöhnen, hat er doch gerade erst gelesen, dass unsere Kinder zu wenig Schmutz essen und dadurch ein geschwächtes Immunsystem besitzen. Solange derartige Probleme nicht gesetzlich geregelt werden, will ich mich dazu auch nicht äußern.

Meine Kinder haben selber schon kleine Kinder, und deren Erziehung ist, wie man weiß, für die Leserinnen der Apothekerzeitung ein Dogma, das anzuzweifeln ein Frevel ist.

Hier – im südwestlichen Weinbaugebiet der Republik – geht es dem Mittelstand besonders gut, ist zu lesen. Zu sehen ist es auch, und zwar an den neuen, nicht selten prachtvollen neuen Gärungskellern. Die Bautätigkeit in den Weinbergen ist groß, und nur selten findet man ein Weingut ohne eine Gartenwirtschaft, wo der hauseigene Wein verkostet werden kann. Oft gibt es dort sogar Rudimente einer regionalen Küche. In diesem Sommer konnte ich mehrmals mitansehen, wie Touristen in Vierergruppen sich an einen Tisch niederließen und viermal Kaffee bestellten. Sonst nichts.

Da fahren deutsche Urlauber in eine Weingegend, kehren beim Winzer ein und trinken Kaffee.

Warum nicht?, kann man dazu sagen. Wir sind ein freies Land. Chacun a son gout.

Dennoch frage ich mich: Würden diese Leute mit dem iPod im Ohr auf Bayreuths roten Teppich treten? Würden sie im Clownskostüm, einschließlich roter Gumminase, zur Bank gehen und einen 100.000-Euro-Kredit verlangen? Bei einem Dorfbäcker nach überbackenen Austern fragen?

Bin ich arrogant, wenn mich solche Typen irritieren, die am falschen Platz sind, ohne es zu merken? Bin ich elitär, wenn ich von Besuchern eines Zoos erwarte, dass sie sich nicht nur für Affen interessieren, und von Tagesausflüglern im Winzerkeller, dass sie sich auf ein Glas gut gekühlten Wein freuen?

5 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. thea |

    Nein, Sie sind nicht elitaer.

  2. Charles Milton Ling |

    Natürlich sind Sie elitär, Sie gehören einer Elite an. Ich auch. Freuen wir uns!

  3. oliver schuster |

    der vergleich mit den gummihandschuhen erinnert mich
    an Ihren vergleich von kunstoff-und/oder holzbrett;
    eher werden wohl die haende der verkaeufer geschuetzt,
    -bei den INHALTSSTOFFEN-von lebensmitteln oder gar
    viktualien kann ja keine rede sein…
    und elitaer, vielleicht ist ausnahmsweise die grosse
    mehrheit elitaer,weil sie sich von ihren wurzeln so weit entfernt- zauberlehrlinge die sich duenken das
    kulinarische rad jedes jahr neues zusatzstoffes erfunden zu haben

  4. Markus M. Mertens |

    sehr unterhaltsam.

  5. Juliane |

    Fragt man sich doch, warum der Winzer überhaupt Kaffee anbietet. Muss man sich jedem potenziellen Kundenwunsch beugen? Das ist auch im Privaten ein Phänomen, das ich seit längerem beobachte. Selbstbewusste Gastgeber bieten eine Getränkeauswahl an, die ihrem Geschmack entspricht und nicht eine, die dem breitgefächerten Angebot eines Tankstellenshops alle Ehre machen würde. Analoges kann man auch bei den Speisen beobachten.
    Die Angst, sich vom pluralistischen Einheitsbrei durch eine vermeintliche Diktatur abzuheben scheint weit verbreitet. Lieber machen sie es allen recht als daß sie Farbe, Geschmack und Stilsicherheit bekennen.
    Winzer in diesem unserem Lande – bleibt bei Wasser und Wein wie der Schuster bei seinen Leisten!

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