ERSTE HILFE

Frau HoffmannEs ist immer wieder beglückend, zu lesen oder zu sehen, wie aufgeklärt unsere Konsumenten sind. Wie sie sich auskennen in der Hierarchie unserer Spitzenköche; wie sie originale Talente von Plagiatoren zu unterscheiden wissen. Ihre Sachkenntnis hat sogar dazu geführt, dass im nahe gelegenen Supermarkt Fleisch von spanischen Schweinen der „Pata Negra“-Sorte angeboten wird (verständlicherweise zu Kilopreisen, die bisher in Supermärkten unbekannt waren).

Mehr noch: moderne Konsumenten fallen nicht auf jede dreiste Lüge herein. Sie schalten automatisch die Glotze aus, sobald eine Senfwerbung den Film mit Jonny Depp unterbricht. Im Kino hohnlachen sie ungeniert, wenn glückliche Familien sich mit ihren blonden Kindern über die dampfende Suppe hermachen, weil sie wissen, was für ein unnatürlicher Fraß da in der Terrine dampft.

Ja doch, das Wissen über den Betrug, dem denkfaule Schnäppchenjäger ausgesetzt sind, ist weit verbreitet. Leider nicht weit genug. Und – was schlimmer ist – es nimmt nicht zu, es stagniert.

Fleißige Köche und ehrgeizige Wirte singen gleichlautend das Lob der emanzipierten Kundschaft, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass sich anspruchsvolle Gäste nicht mehr so um einen leeren Tisch drängen. Am Wochenende, gewiss, da kämen sie in Scharen, weil das Ausgehen im Rennomierlokal das Sozialprestige hebt.

„Sie wissen schon“, flüstert mir der Küchenchef zu: „Kerzenlicht, die Kelnerinnen im schicken Dirndl, der Maitre in Schwarz, dann der Sommelier! Ich gehe auch rum und mache den Knicks. Dafür geben vier Personen schon mal einen Tausender aus. Aber mittwochs und donnerstags ist nichts los, am Sonntag und Montag haben wir sowieso geschlossen. Und das ist nicht nur bei uns so, sondern auch im Rebstock, in der Jägerklause und überhaupt bei allen Kollegen. Von mittags will ich gar nicht reden.“

Ich lasse ein bedauerndes „Ts-ts-ts“ hören und wundere mich nicht. In der Tat gibt er genau meine Eindrücke wieder. Wer nicht drei Sterne wie einen Schutzschild vor sich her tragen kann, redet heute lieber von der Krise als von Roter Beete mit Jakobsmuscheln, Safran-Zwiebeln und Rukkola.

„Haben Sie eine Erklärung dafür?“, fragt der Chef verzagt.

„Nein“, enttäusche ich ihn, worauf er sich abwendet und seine Küche ansteuert.

„Meister“, rufe ich ihm nach, „haben Sie eigentlich Rote Beete auf der Karte?“

„Ja, mit Jakobsmuscheln, Safran-Zwiebeln und Rukkola, Warum?“

„Nehmen Sie’s von der Karte. Vielleicht hilft das.“

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Jeeves |

    Da verweise ich doch immer wieder gerne auf die Philosiphie des Vincent Klink, der solch Kinkerlitzchen in der Küche und auf dem Teller auch überhaupt nicht mag. Ab und zu nachzulesen im zweiten Blog das ich gerne lese, wenn’s ums Essen geht: wielandshoehe.de

  2. Schorsch |

    Und den marinierten Ziegenkäse bitte auch von der Karte nehmen. Danke

  3. axelvonwebern |

    Nach 2 Besuchen im Sternerestaurant mit der Neuerfindung der Jakobsmuschel(auf Couscous) und handwerklich abgefahrenen Dekokünsten kann ich nur das KISS- Prinzip fordern : Keep It Simply Stupid..
    Eine Vereinfachung auf qualitativ hohem Niveau könnte die Spitzenküche breiteren
    Kreisen zugänglich machen..

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