KEINE ROLEX

Frau HoffmannWie auch immer man sich fortzubewegen beliebt, das Reisen in Deutschland ist eine Zumutung. Am meisten mutet Herr Grube seinen Kunden zu; das ist der Mann, welcher für das tägliche Chaos bei der Bundesbahn verantwortlich ist. Er hat allen Grund, stolz auf seine Einmaligkeit zu sein: Nie war es unerfreulicher mit der Bahn zu fahren, als in diesen Tagen. Wir kamen von Stuttgart, wo wir den Kochwettbewerb der ZEIT beenden halfen.

(Das Ereignis fand wie fast immer in einem der Althoff-Hotels statt: 1. Klasse Häuser mit mehr berühmten Köchen als normalerweise außerhalb der Kantinen deutscher Banken zu finden sind. Gewinner war ein Voralberger Hobbykoch, an zweiter Stelle lag ein Schweizer Leser. Das Motto des Wettkochens hieß „Einfach und leicht“. Und daran hatten sich die beiden Konkurrenten auch gehalten. Ihre Menüs waren einfache Küche und leicht zu kopieren. Der Österreicher gewann, weil er besser abschmecken konnte.)

Der Stuttgarter Hbf liegt nur 100 Schritte vom Althoff-Hotel „Schloßgarten“ entfernt, und ist durch die Zahl 21 ein Symbol für Bürgerswut geworden. In Karlsruhe, wo wir umsteigen mussten, hatte unser ICE 40 Minuten Verspätung. Da aber nur neun Minuten Später ein RE Zug in dieselbe Richtung fuhr, nahmen wir die Verspätung auf die leichte Schulter. Schweres Schuhwerk wäre passender gewesen. Denn es stellte sich heraus, dass sämtliche Fans deutscher Rockmusik an diesem und am näch­sten Tag an den Bodensee fuhren, um ein Open-Air-Konzert zu erleben. Das bedeutete, dass der Zug nach einer alten Redensart hoffnungslos überfüllt war. Denn die Rockfans hatten sich – Woodstock im Sinn – auf mehrere Nächte im Freien eingerichtet, waren also mit Iso-Matten und Furage ausgestattet, mit deren Hilfe es die Bundeswehr noch Monatelang in Afghanistan aus­gehalten hätte. Das alles wurde in riesigen Koffern, Säcken und Beuteln transportiert und an den Türen aufgebaut. Nicht nach einem Plan, über den weder die Rockfans noch die Bundesbahn verfügten. Die RE-Züge sind für den Transport von Fahrrädern eingerichtet, daher der große Freiraum hinter den Türen. Dort stapelte sich sehr schnell das Gepäck der Musikfreunde meterhoch, an ein Durchkommen war nicht zu denken. Sollte irgendjemand das Bedürfnis verspürt haben, Blase oder Darm zu entleeren, so kann er nicht im Zug gewesen sein.

Ähnlich schwer machte den Reisenden der 1. Klasse eine Suche nach ihrem Elitestall. „Die gibt’s in de Regiozügen schon lange nicht mehr“, wusste eine Frau aus Rastatt zu berichten, die täglich mit der Bahncard unterwegs war.

Auch nicht im Zug vorhanden waren Bahnbeamte, die hätten nach möglichen Anschlusszügen gefragt werden können. Dass ich überhaupt einen Klappsitz erwischte, verdanke ich meinem weißen Bart, der mir in Verbindung mit meinem eleganten Gehstock das Flair eines fiebergeschüttelten Phileas Fogg gab, den auch Rammstein-Fans noch respektieren.

Überhaupt muss man den jungen Leuten, die da in ein ungewisses Wochende fuhren („Ich weiß bloß eins: dass ich eine halbe Stunde nach Ankunft betrunken sein werde!“) attestieren, dass sie jetzt auf der Hinfahrt viel Spaß und frisch gepflegte Füße hatten, was wegen der vorwiegend getragenen Flip-Flops nicht zu übersehen war. In der Höhe von Baden-Baden, wo das Gedränge und Chaos in den Waggons fast lebensgefährliche Formen annahm, und gleichzeitig die Seeschlacht im Skagerak von den reisenden Musikfreunden akkustisch nachgestellt wurde, sah ich nicht einen einzigen, der das Inferno der Bundesbahn fotografierte.

Nach ihrer Zurückhaltung gefragt, gab mir ein Jüngling mit Ziegenbart die tröstliche Versicherung: „Wenn es soweit ist, brauche ich kein Foto zur Anregung, um alles Staatliche platt zu machen.“

Vielleicht genügt es ja schon – dachte ich, als sie mich zusammen mit zwei Klapprädern, die nicht mir gehörten, über den Gepäckberg hinweg zur Tür reichten – das Management dieser Pleitefirma auszuwechseln. Denn ich erinnerte mich an eine Zeit, als die Deutsche Bahn einen Ruf hatte wie eine Schweizer Rolex.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Marianne Kramer |

    RE-Züge 1.Klasse? Da kann ich helfen: Die Waggons sind von Weitem zu erkennen am durchgehend gelben Streifen über den Fenstern im oberen Teil des Wagens.
    Zu unserer Bundesbahn ließe sich sicher unendlich viel sagen, trotzdem meine ich, wir jammern auf hohem Niveau. Viele der Verspätungen sind nicht hausgemacht, und für schmutzige Toiletten oder zugemüllte Waggons sind eben die Fahrgäste verantwortlich.
    Worüber ich mich allerdings aufregen kann, sind Bahnhöfe, wo ausgerechnet dort, wo die IC Züge halten, weder Rolltreppen noch Fahrstühle vorhanden sind, wie in Dortmund, dem wichtigsten und größten Bahnhof in der Region Westfalen. Kann mir jemand sagen, wie dort ältere Menschen mit Gepäck umsteigen sollen? Zum Glück gibt es meistens sehr nette junge Leute, die behilflich sind. Die Bahn kümmert sich natürlich nicht!

    Marianne

  2. Jeeves |

    “Die gibt’s in de Regiozügen schon lange nicht mehr”,

    Hm. Also, vor etwa einer Woche in einem Regio von Berlin nach Werder da gab’s eine 1. Klasse (in die wir uns aus Versehen gesetzt hatten).
    .
    Ich hoffe nur, mein Sohn war nicht dabei, in Ihrem Zug. Der (nicht der Zug) ist auch in dem Alter und fährt auch immer zu Rock-Festivals. Aber ich muss sagen: Die Jungs (gaaanz selten Mädels. Rock und Jazz sind nicht so deren Fall) sind alle ganz harmmlos, speziell die Heavy Metal Fans, wie mein Sohn. Ein gaaaanz Lieber.

  3. Jeeves |

    Auszug aus der Website (heute):

    bahn.de/regional:

    Für mehr Komfort: Das Baden-Württemberg-Ticket gibt es auch für die 1. Klasse.
    Der 1. Klasse-Zuschlag beträgt pro Person zusätzlich 8 Euro (der erste Reisende zahlt 22 Euro + 8 Euro für die 1. Klasse, jeder weitere Mitreisende zahlt 4 Euro Basispreis + 8 Euro für die 1. Klasse)

    . . . .

    Also wird’s ja wohl ’ne Erste Klasse in den Regio-Zügen geben. Kein verlass mehr auf Frauen aus Rastatt. O tempora o mores…

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