WIEN

Frau HoffmannWie sehr die Stadt Wien von ihrer Operettenhaftigkeit lebt, fällt erst auf, wenn man feststellt, dass sie verschwunden ist. Die Lücke, die sie hinterlassen hat, ist unübersehbar. Es handelte sich vor allem um Eleganz. Die Eleganz der Hüte tragenden Damen; die der Herren, die nicht nur Krawatten tragen, sondern auch Einstecktücher und andere Attribute der Eitelkeit, wie die winzigen Zierhunde, die man in Berlin höchstens im Knopfloch des Jacketts tragen würde, wenn man dort wüsste, wie und warum denn ein Jackett getragen wird.

Wien ist für Touristen, was der Honig für die Biene, jedenfalls bei den Bewohnern Osteuropas. Vor allem vom Balkan schwärmen sie herbei. Aber man muss leider sagen, das die dadurch entstehenden Touristenhorden zur Eleganz der Stadt nicht das Geringste beitragen. Wer den Billigtourismus in Florenz, Venedig und Prag erlebt hat, weiß von dem zivilisatorischen Schaden, den rucksacktragende Besucher anrichten, wenn sie sich mit dem Coffee-to-go durch das historische Erbe einer Stadt schieben. Diese Entwicklung zum Tummelplatz der Smartphon Ensembles hat Österreichs Hauptstadt voll erwischt.

Und dabei auch den Naschmarkt nicht verschont. Von dieser ehemals wild-orientalischen Meile sind nur geglättete Fassaden funktionell ausgestatteter Fachgeschäfte für essbare Importwaren übrig geblieben. Wo ein halbes Jahrhundert früher der hungrige Spaziergänger in einen Wirbel der kulinarischen Welt verstrickt wurde, wo er endlich die zweifarbigen Linsen fand, die sich Haremsdamen an die Stirn zu kleben pflegten, oder eingetrocknete Essigreste gegen Sodbrennen angeboten wurden, dort herrscht heute ein steriles Einheitsangebot von Massenprodukten mit nahem Verfallsdadtum. Lediglich Urbanek, die kleinste Marktbude mit der größten Historie ist unverändert und erweist sich als das blaue Wolkenloch im ansonsten trüb-grauen Himmel. Wie der jugendliche Vater Urbanek mit seinen beiden Söhnen auf den wenigen Quadratmetern Verkaufsfläche, die originellsten Schinken und Würste aus aller Welt stapelt, darunter penibel ausgesuchte Qualitäten des Tiroler Specks, weißer Thunfisch, italienischer Büffelkäse, alle denkbaren Salamis und alle Details, die aus dieser Holzbude ein Sanktuarium der Gour­mandise machen, ist ein schieres Wunder. So wurde Urbanek im Laufe der Zeit zum Treffpunkt einer ganz spezifischen Kundschaft, die, mit dem Weinglas in der Hand, dem Naschmarkt erhalten hat, was in Wien so selten geworden ist: ein Biotop hemmungsloser Hedonisten. Kein Wunder, dass Stammkunden sich an manchen Tagen bis spät in der Nacht zu den gastronomischen Köstlichkeiten drängen, über deren Preise ein Grüner Veltliner spöttelte: „Wer sich Urbanek nicht mehr leisten kann, muss im ‚Steirereck‘ essen.“ (womit Wiens teuerstes Restaurant gemeint war.)

Sogar der Wiener Schmäh ist nicht mehr, was er einmal war. Dieses Schmiermittel jeder halbwegs lebhaften Konversation ist zusammen mit der Pomade im Haar der Herren aus der Mode gekommen. Übrig geblieben ist bestenfalls eine rüde Zotenseligkeit, für deren Verständnis man jedoch in Ottakring aufgewachsen sein sollte.

Dafür werden sich in ganz Österreich die Weine immer ähnlicher. Die Grünen Veltliner immer süßer. Ebenfalls die Rieslinge, welche der internationalen Mode entsprechend immer wuchtiger werden. Wenn sie so weitermachen, meine Winzerfreunde von der Wachau und der Steiermark, landen sie eines Tages im Sumpf der Konfektion, aus dem sie einstmals durch ihr gutes Beispiel den Deutschen Wein gerettet hatten, damals, nach dem desaströsen Glykolskandal.

Aber ein perfektes Wiener Schnitzel, das kriegen die Küchenchefs der Stadt immer noch hin. Jedenfalls im Bristol, das vom Hotel Sacher eine freundliche Übernahme erfuhr, bei welcher Gelegenheit einige Zimmer renoviert und einige Kellner entlassen wurden. Das Schnitzel vom Chefkoch Siegfried Kröpfl hat jedenfalls Museumsqualität. In seinem Kochbuch wird es mit knappen 12 Zeilen beschrieben. Ist es wirklich das Rezept, an welches sich in Mitteleuropa täglich schätzungsweise 999 Köche wagen? Was ist denn an diesem verdammten Kalbsschnitzel so geheimnisvoll, dass es so wenigen gelingt? Wahrscheinlich liegts am Wasser, das auch den Wiener Kaffee so unvergleichlich macht: so golden, so zart, so trocken, so knusperig, so wienerisch eben. (Ist aber kein Wasser dran, am Wiener Schnitzel.)

Wasser fehlt glücklicherweise auch bei den Schlutzkrapfen in Brandstätters Gasthof in Salzburg, wo ich auf dem Rückweg Station gemacht habe, wegen eben dieser Schlutzkrapfen, welche mit Gaiskäse gefüllte Teigtaschen sind und in Butter schwimmen. Herrlich! Ihretwegen allein lohnt die Übernachtung so nahe bei der Autobahn. Aber auch was der Sohn des Hauses sonst auffahren lässt, ist die reine Wonne. Nicht die leichte Küche der Miniportionierer, aber ungeheuer lecker (was man hier, angesichts der nahen Grenze ungestraft sagen darf.) Noch beim Frühstück fällt auf, was viele Österreichtouristen längst bemerkt haben, dass im ehemaligen k.u.k.-Imperium die Operetten nicht mehr so triumphierend intoniert werden, dafür aber die Köche kochen können wie die Tenöre singen.

(Brandstätter, Münchener Bundestraße; geschl. Sonntag, außer Festspielzeit.)

7 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. vene maier |

    Der Urbanek und sein juveniler Vater hat seine Verdienste (ja, den ersten richtig guten Käse hat man dort bekommen und all die von Herr Siebeck beschriebenen Delikatessen), aber er hat auch seine Herrenwitze. Leider ist der jugendliche Gerhard Urbanek mittlerweile der laufende Herrenwitz in Person. Schade drum, denn dort herumzustehen, heißt auch, sich gemein machen mit den lümmelnden Personen. Und die sind beileibe nicht alle Hedonisten.

  2. Regina Targyik |

    Wie wahr, wie wahr !!! Ich z.B. gehe nur mehr am Samstag auf den Karmelitermarkt.

  3. Dieter |

    Ja, alles hat seine Zeit – auch wenn`s weh tut.
    Ich empfehle:Grüner Veltliner (Kreutles Federpiel) von E. Knoll.

  4. Chiton |

    Versuchens mal die GVs von Veyder-Mahlberg. Die passen.

  5. Berliner |

    Als Berliner Eingeborener kann ich Ihre Wut sehr gut nachvollziehen. Wir ertragen solch Unsinn schon geraume Zeit (just im Hintergrund in den Radio-Nachrichten: „…die Berliner Fanmeile wird…“)

  6. fox |

    Lieber Herr Siebeck,
    wir hatten den ersten Fernseher, drückte auf’s Knöpfchen und erlebte wohl eine ihrer ersten Sendungen. Vermeide das Wort „Kochsendung“, denn das war damals etwas ganz anderes. Auf dem Tisch eine Unmenge von damals schon kaufbaren industriellen Salattunken, was machten sie, eine Armbewegung und ritsch das alles auf dem Fußboden. Wunderbar, Sie erklärten warum! Das war eine Initialzündung von Wissen, Können, Ehrlichkeit, Souveränität, Intelligenz und Witz.
    Die Fernsehfolgen, Sie waren bei Spitzenköchen und die bei Ihnen, Sie kochten. Bitte machen Sie es möglich, das auf DVD kaufbar.
    Es war eine Einleitung. Mit dem Niedergang der Esskultur in Germanien hat sich die Sprache verändert. Mit der Vermehrung der Fressbuden und Fastfood hat sich das Wörtchen „lecker“ etabliert. Das ist für mich eine Essbremse, warum, das mögen die Germanisten und Psychologen ergründen. Schon bei dem Wörtchen „ungeheuer“ zog sich ein Schatten über das Antlitz unseres Deutschlehrers, eines Altphilologen. Bei „lecker“, das hätte er nicht überlebt.
    Herzliche Grüße aus dem germanischen kulinarischem Zentrum Berlin,
    fox.

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