LAPIN UND DIE AMEISEN

Frau Hoffmann„…eine Flasche Rotwein und ein Stückchen Braten schenken die Mädchen ihren Soldaten…“, so sangen deutsche Bürger, vor dem letzten Krieg. Dann waren die Soldaten tot und Deutschland lag in Schutt und Asche. Seit damals haben wir es nicht mehr so mit der militärischen Lebensweise. Den Rotwein ersetzen wir durch Riesling, den Braten durch gekochtes Kaninchen, und die Mädchen – ach, die Mädchen sind quicklebendig wie eh und je.

Was in tausend Haushaltungen regelmäßig und routiniert zubereitet wird, ein coq au Riesling nämlich, wird dem Kaninchen missgönnt. Was haben deutsche Hausfrauen bloß gegen den Stallhasen? Sein Fleisch ist so zart und sanft wie das des Huhns, und zubereitet wird es auch kaum anders. Trotzdem möchte ich zur Abwechslung beschreiben, wie man ein Lapin au Riesling kocht.

Dazu brauche ich pro Person eine Kaninchenkeule. Die gibt es einzeln auch in Bioqualität, sowie eine halbe Flasche trockenen Riesling. Ganz ohne Huhn geht es nicht, weil ich eine sehr kräftige Hühnerbrühe brauche, die ich aus Flügeln und Karkasse vom Huhn, sowie Kalbsknochen, 6 frischen Lor­beerblättern, dem üblichen Suppengrün und Meersalz am Vortag in Wasser auskoche, zirka 2 Stunden, und nur soviel, 2 oder 4 Kaninchenkeulen damit bedecken zu können. Die werden mit grobem Meersalz eingerieben. Nun ersetze ich die verkochte Flüssigkeit der Brühe durch etwas Riesling und gebe die Keulen dazu, bis sie nach einer guten Stunde gar sind. Den Topf vom Feuer nehmen und bis zum nächsten Tag warten. Dann löse ich das Fleisch von den Knochen. Das muss mühelos mit den Fingern geschehen können, andernfalls haben die Keulen nicht lange genug gekocht. In dieser Phase zeigt sich ein Vorzug der Kaninchenkeule: Das Fleisch wird praktisch nicht trocken, auch wenn die Keule – bei Übergröße – ungewöhnlich lange geköchelt hat. Ein anderer Vorteil besteht darin, dass eine Kaninchenkeule im Gegensatz zu der des Huhns so gut wie keine Knochen hat. Die zwei (oder vier) Knorpel, die ich bei der Demontage finde, sind winzig. Trotzdem achte ich darauf, sie nicht zu übersehen; denn Knorpel sind der Schrecken der feinen Zunge.

Damit ist der erste Teil des Lapin au Riesling erledigt. Der nächste ist der kreative Teil, also der riskante, entscheidende Vorgang, den man das Würzen nennt. Dabei geht es nicht nur darum, das richtige Fingerspitzengefühl für Salz und Pfeffer zu haben, vonnöten ist vor allem eine Vorstellung vom geschmacklichen Ergebnis, dem ich mich nun in Riesenschritten nähere An dieser Hürde ist schon mancher tapfere Gaul gescheitert. Denn ob ich grobes oder sehr grobes Meersalz verwende, ob der Speck vom Industrieschwein stammt oder vom Biohof; auch wenn ich aus Bequem­lichkeit schwarzen Pfeffer aus der griffbereiten Mühle nehme, ohne mich zu fragen, ob ich nicht etwas Besseres in petto habe: jede dumme Kleinigkeit entscheidet über Triumph oder Blamage.

Damit bin ich an jenem Teil der Kochkunst angekommen, wo sie so rätselhaft wird wie die Ameisenkunde (= Myrmekologie). Außerdem ist sie unerklärlich, sieht man einmal vom gastronomischen ABC ab, wonach ein Ei hart wird, wenn man es in der Schale kocht, während die Kartoffel dabei den entgegengesetzten Weg einschlägt

Es ist also sinnlos, etwas erklären zu wollen, das nach meiner eigenen Einsicht unerklärbar ist. Deshalb liefere ich jetzt nur eine Liste der Zutaten, aus denen ich oder jede(r) andere entweder eine unerklärliche Delikatesse zaubert oder schlicht versagt. Je nachdem, wie die Ameisen krabbeln, brauche ich:
Rauchspeck; Champignons; 1 oder 2 Bündchen Frühlingszwiebeln; noch 1 Lorbeerblatt; 2 oder 3 EL Riesling; 3 TL süßer Wein; 2 TL Chiliöl.

Mit diesem Schatz vor mir stürze ich mich in das Abenteuer, welches Kochkunst genannt wird.

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  1. Schorsch |

    Wie schön, wieder mal ein echter Kochvorschlag mit gutem Tier.

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