Irgendwann in jenen Jahren saßen wir nicht weit von Salzburg in einem blühenden Garten unter einem Apfelbaum und aßen bei zwei Jungköchen, die Bayr ‚die Buben‘ nannte. Der Intendant lobte sie überschwänglich und prophezeite ihnen eine große Zukunft. Womit er wieder einmal Recht hatte.
Heute gehören die Brüder Karl und Rudolf Obauer in Werfen zu der Handvoll von Spitzenköchen, die Österreichs Gastronomie weltweit bekannt gemacht haben. Wie sie dahin gelangt waren, habe ich nur aus der Ferne verfolgt; ich verbrachte zwar mehrere Winter in Wien, hatte aber den Ehrgeiz, die tausend Kilometer lange Strecke Nonstop zurück zu legen.
Jetzt reichte der Fahrplan endlich für eine Übernachtung in Werfen. Der Apfelbaum blühte nach wie vor, ein bisschen alt war er jedoch geworden. Auch sonst schien in diesem Gebirgsgasthof alles unverändert, weil Gastronomen, die etwas verändern, dies möglichst auffällig, wenn nicht gar spektakulär tun.
Nichts dergleichen bei den Obauers. Bei ihnen kann der ahnungslose Gast einkehren und das Haus mit dem Gefühl verlassen, gut gegessen und geschlafen zu haben, er würde aber nie und nimmer auf die Idee kommen, dies unter einem Dach erlebt zu haben, das weltweit für seine Gastlichkeit berühmt ist. Unauffällig, beiläufig sind die Attribute, mit denen man dieses Wunder bezeichnen kann.
Ich weiß nicht, ob die Brüder in den Jahren ihrer Entwicklung auch manche Modetorheit mitgemacht haben, wie es in der Küchen-Oberliga üblich war und ist. Aber ihre – auch im Gespräch erkenn-bare – Philosophie lässt darauf schließen, dass hier, in einem Bergdorf im Salzburger Land, zwei Brüder die mediale Hysterie um Sternen- und Haubenköche ignorieren konnten und Qualitätsrekorde aufstellten, welche dem Prinzip des Hausgemachten verpflichtet sind. Mithin das zeitlose Ideal einer vernünftigen Küche. Wie das dem Kunstanspruch der Feinen Küche entspricht, entscheidet jeweils die Individualität des Chefs. Deshalb kriecht der eine morgens in aller Frühe durchs Unterholz, um nordische Moose fürs Mittagessen zu sammeln, während der andere simple Puddings in ihre Moleküle zerlegt, um daraus einen eigenen Pudding zu konstruieren, während ein dritter die Hausrezepte seiner chinesischen Schwiegermutter vom Glutamat befreit und dadurch Ostasien für westliche Mägen interessant macht.
Karl und Rudolf in ihrem Salzburger Landgasthaus erinnerten sich stattdessen an das Handwerk des Großvaters und suchten Möglichkeiten, alte Kochgewohnheiten mit Methoden der Moderne zu vereinen, so dass ihr Küchenrepertoire jedem Kreativen an Sorgfalt, Sensibilität und Wohlgeschmack entspricht.
An Vernunft sowieso, wenn man unter Vernunft den Verzicht auf originelle Faxen und eitle Gesten versteht, welche in den letzten Jahrzehnten das Kennzeichen der Spitzenköche geworden sind.
Es bedeutet aber auch, dass in der Küche der Obauers Fische keine Rolle spielen, es sei denn, sie hätten die benachbarten Gebirgsseen unvorsichtigerweise verlassen. Nicht wenige Hausgäste werden wiederum das übliche Frühstücksbuffet vermissen, denn in den mit Lärchenholz getäfelten Stuben wird à la carte gefrühstückt; weil sich die unbegrenzte Lagerfähigkeit der massenproduzierten Lebensmittel mit dem hauseigenen Ideal der frischen Produkte nicht verträgt. Deshalb sind auch Butter, Wurst und Käse nicht eisgekühlt, sondern werden am Tisch serviert wie frisch gelieferte Almprodukte.
Das Resultat nennt man Esskultur.
Ich weiß nicht, ob sich jeder Gast des hohen Grades dieser Esskultur bewusst ist, die er hier genossen hat, wenn er Werfen schließlich den Rücken kehrt. Vielleicht erinnert er sich der vorzüglichen Matratzen und der raffinierten Dusche in seinem Zimmer; wahrscheinlich findet er es bemerkenswert, dass bei allem Raffinement der Küche und der überwältigenden Weinauswahl hier des Preisniveau eines bürgerlichen Gasthofs nur selten überschritten wird. Ihm mag die Ahnung überkommen, dass im Haus von Karl und Rudolf Obauer in Werfen die Quadratur des Kreises erfunden wurde, welche das Natürliche des Genießens mit dem Hochartistischen der Kochkunst so vereint, dass sie wie alltäglich wirkt.
(Tel: 0043-6468.52120; MO u. DI geschl.)
Urig, deftig, regional.
Also, mein Kneipier sagte mir mal: Nach Bresse-Hühnern, Hummer und Trüffeln ist man doch wieder froh, am Busen der Natur zu sein und ein richtiges Schweinekotelett oder einen deftigen Rinderschmorbraten zu essen!
Der gute Mann irrte. Nichts kann weiter entfernt vom „Busen der Natur“ sein als das wäßrige Schweinefleisch von heute, das von neurotischen, herzkranken, möglich rasch und mager hochgezüchteten Schweinen ohne Auslauf und Bewegung oder von den mit Kunstmast aufgepäppelten Jungbullen stammt. An diesen Produkten ist verdammt wenig urig oder natürlich.
Im Gegensatz dazu aber wird das Bresse-Geflügel so aufgezogen, wie es einstmal auf Bauernhöfen geschah: Im Freien auf der Wiese und mit Korn ernährt.
Auch Trüffel sind eine rein regionale Spezialität. Absolut naturreine Gewächse, sie sind wahrhaft urig und richtig genossen – deftig.
Nicht anders der Hummer. Er war damals regionale Volksnahrung an den Küsten und galt als einfach und deftig.
Wer heute von naturnaher Nahrung spricht, sollte darüber nachdenken, was diese Worte eigeltlich bedeuten.
Mein Wirt, der sich beim Verzehren deutschen Wasserschweines urigerweise am Busen der Natur wähnte, labte sich in Wahrheit an einem reichlich künstlichen Produkt, einer Kreuzung aus menschlich gesteuerter Zucht mit Mast-Chemie. Das ihm so künstlich und hochgestochen vorkommende Bresse-Huhn gehört hingegen zu den selten gewordenen Narturprodukten der Geflügelzuch. So kann man sich irren in der Verwendung von Schlagworten.
Merke: Mit sinkenden Preisen entfernt sich der Gast immer weiter von der braven Urmutter. Am Ende, wenn´s ganz billig und angeblich ganz deftig ist, ruht er am keimfreien Kunststoffbusen der Industrie.
Rudolf Bayr,
Sie kannten Ihn. Eine außergewöhnliche Erscheinung, weit jenseits zu jener Grenze über die hinaus der sog. öffentliche Raum sich heut darstellt. Die Sendungen von seinen Restaurantbesuchen. Das war einmal, das gibt’s nur selten. Bildung für Alle, jetzt unsere Zeit, Vollidioten auf allen Ebenen und leider bestens in dieser „Regierung“ repräsentiert. Vorbilder?
Aus der Reichshauptstadt
fox