DIE LAUS IM PELZ

Frau HoffmannVor ungefähr 20 Jahren erschien in deutscher Sprache das Buch eines Franzosen, welches den Leser von der Essbarkeit der Insekten überzeugen sollte. Die Anweisungen, wie man die gewöhnliche Hausmade (Mehlwürmer und dergleichen) in kleine Leckerbissen verwandelt, waren ebenso kurios wie die Anleitung zum Aufbau einer Grillenzucht. Der Spiegel widmete dem Autor eine oder zwei Spalten seines Magazins. Die Wirkung auf dem Büchermarkt war denkbar gering. (Ich selbst habe es trotz stundenlangen Suchens nicht wiedergefunden. Wahrscheinlich ist es mit anderen gespendeten Büchern in Afrika gelandet.)

Ein anderer Autor – auch er ein Franzose – muss jedoch noch ein Exemplar besitzen. Er ist ein Koch aus Nizza, der „die Haute Cuisine entstauben will“, wie die SZ soeben berichtete. Und dazu braucht er keinen Staubwedel, sondern viele Insekten, die sich gern in Staubwedeln zur Ruhe setzen. Aber auch in Mülltonnen, in Spalten und Ritzen, kurz das übliche Ungeziefer einschließlich der knackigen Heuschrecke.

In der nicht falschen Erkenntnis, dass die Menschheit im Grunde konservativ ist und von jeglicher Neuheit verunsichert wird, sehen Köche, welche sich als progressive Künstler betrachten, ihre Bestimmung darin, nicht-künstlerische Mitmenschen gründlich zu schockieren. Also verstehen sie unter Neuer Küche schockierende Produkte, welche nach Regeln zubereitet werden, wie sie bereits zu Zeiten der Neandertaler beliebt waren oder im Dschungelcamp eines populären Fernsehkanals praktiziert werden

Touristen, die an die Côte-d’Azur fahren, können also in Nizza sicher sein, ein Restaurant zu finden, das total entstaubt ist von den Krabbeltieren. Name und Adresse dieses Feinschmeckertreffpunkts nenne ich nicht, es könnte der eine oder andere Leser Schadensersatz verlangen.

Keinen Schaden sondern großen Gewinn trägt er jedoch davon, wenn er das neueste Buch von Hans Ullrich Grimm liest. Es hat den schönen Titel „Garantiert gesundheitsgefährdend. Wie uns sie Zucker-Mafia krank macht.“, erschienen im Droemer Verlag. Grimm ist einer der raren Aufklärer, die nicht zögern, die gesundheitlichen Nachteile unserer Ernährung dorthin zurückzuführen, wo sie entstehen: bei Nestlé in Vevey, bei Sanifor in Basel, in der über die ganze Welt verteilten Pharmakonzernen, die am Zuckerzusatz in unseren Lebensmitteln Milliarden verdienen

Auch Ärzte und Kliniken verdienen daran, weil die Versüßung unseres Essens durch seine Hersteller unser Leben dermaßen schädigt, dass wir es früher oder später den Medizinern anvertrauen müssen. Und das alles nur, weil die Menschen nach Süßigkeiten gieren. Womit – wie Grimm auf 300 Seiten erklärt – nicht nur Coca Cola und Red Bull gehören, sondern praktisch alles, was unserer Zunge gefällt. Dass dazu auch scheinbar harmlose Zusätze gehören, beschreibt der Autor ausführlich, und er nennt die Praktiken, mit denen es der Zucker-Mafia gelingt, uns planmäßig und gewinnstrebend krank zu machen, so eindringlich, dass der Leser sich vorkommt wie beim Lesen eines Messekatalogs, worin die weltweite Produktion von Handfeuerwaffen beschrieben wird. Jedes einzelne Teil ist von Fachleuten kunstvoll konstruiert, mit dem einzigen Zweck, Tod und Elend über die Menschheit zu bringen, und daran viel Geld zu verdienen. (Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, die Arbeitsplätze unserer Pharmaindustrie sichern einen gro­ßen Teil unseres Wohlstands)

Warum gibt es keinen Literaturpreis für Autoren wie Hans Ulrich Grimm? Der Mann ist wichtiger als ein Minister für Entwicklungshilfe.

4 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Dirk Esser |

    Er hat aber, wie Sie auch, den Gutedelpreis verliehen bekommen, den hat der Minister nicht 😉

  2. fritz_ |

    Neulich habe ich wieder einmal einen Fruchtsaft gekauft, Bananensaft. Diesmal ausnahmsweise in einem Geschäft, in das ich sonst nicht gehe.
    Wer so etwas nicht kennt: im Prinzip handelt es sich um Bananenmark, das mit Wasser gemischt ist. In der Regel drei Anteile Frucht und sieben Anteile Wasser. Für gewöhnlich ist Zucker zugesetzt.

    Dieser Bananensaft hatte jedoch mehr zu bieten, wie ich zu Hause auf der Verpackung las: dreierlei Zucker, zwei Süßstoffe und ein Zuckeraustauschstoff. Warum matscht ein Hersteller wie ein Ferkel mit dem Lebensmittel herum?

    Mmh, Brust oder Keule, der Film wird auch schon bald vierzig Jahre alt.

    • fressack |

      Was soll die Aufregung?
      Man kaufe Grundprodukte und bereite sich sein Essen selbst zu.
      Dann vermeidet man derlei Dreck.

    • karin |

      Warum lesen so viele Menschen – gemeinhin auch als Konsumenten bekannt – nicht das Kleingedruckte auf den Verpackungen BEVOR sie kaufen und damit den Nahrungsmittelkonzernen für denaturierte und gesundheitsschädliche Lebensmittel das Geld in den Rachen werfen? Und sich danach beschweren, dass ihre Gesundheit darunter leidet.
      Leute wacht auf! Ihr seid mündige, intelligente Menschen und habt – zumindest hier in unserem Land – die freie Entscheidung! Ihr habt Macht und könnt selbst bestimmen für was Ihr Euer Geld ausgebt! Keiner wird gezwungen Produkte von Nestlé und Co zu konsumieren. Eure Gesundheit leidet vor allem darunter, dass Ihr nicht für Euch selbst und (das geht jetzt weit, aber lest Harald Lemke: Politik des Essens!) unseren Planeten Verantwortung übernehmt und entsprechend handelt.

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