BEI KOWALKE

Frau HoffmannFast hätte ich, der Sonntagsflieger, vergessen, dass ich in hochkulinarischer Mission nach Hamburg geflogen war. Als Präsident des Kochwettbewerbs der „Zeit“.

Dieser Wettbewerb war der erste seiner Art. Gegründet haben Barbara und ich den Event (wie man derartige Ereignisse heute nennt) vor 32 Jahren. Damals beteiligten sich weit über tausend enthusiastische Leser mit Menüvorschlägen, die uns, die wir damals die Jury bildeten, fast den Atem verschlugen. Diese moderne Formsprache bei den Kombinationen, diese Beherrschung avancierter Methoden (nicht chemisch und kaum mechanisch unterstützt), diese Zurückhaltung der Kreativität zugunsten der kulinarischen Vernunft – all diese modernen Qualitäten standen den Hobbyköchen der ersten Stunde bereits zur Verfügung.

Liest man heute die in Kochbüchern gründlich dokumentierten Wettbewerbe nach und vergleicht sie mit den neuesten Einsendungen, verblasst der Ruhm unserer derzeitigen Gour­met-Gesellschaft, auf die wir so stolz sind, unerwartet schnell. Sie konnten es wirklich besser, unsere damaligen Hausfrauen und Mütter. Sie hatten ein besseres Gefühl für Maß und Form der Menüs. Sie waren nicht erpicht auf Rekorde und Originalität.

Vielleicht kochten sie nicht einmal besser. Sie waren nur noch nicht durch den Zeitgeist verdorben, der uns heute zu extremer Beschleunigung antreibt und Zielvorgaben halluzinieren lässt, welche zu erreichen sich früher nicht einmal ausgebuffte Profis erkühnt hätten.

Nur so ist zu erklären, dass sich viele der eingesandten Menüs lesen wie Parodien auf Reiseschriftsteller vor fast hundert Jahren. Da wird durch exotische Rezepte eine Weltläufigkeit vorgegeben, die einem Karl May zum Ruhm genügt hätte. Außerdem sind unsere Hausfrauen sehr bequem geworden. Man sieht es an der Verwendung von Nudeltellern als Hauptgerichte. Wie überhaupt der Einfluss der italienischen Küche (auch dort, wo Vor- und Zwischenspeisen nicht für Hauptgerichte gehalten werden) so groß geworden ist, dass die ersehnte deutsche Regionalküche kaum eine Rolle spielt. Das tun auch die Innereien nicht, da hat sich wenig geändert. Spuren von Veränderungen gibt es verständlicherweise doch, etwa die Überschätzung von Gartenkräutern, die Scheu vor Meeresfrüchten, Pilzgerichten sowie die Angst vor dem Risiko.

Insgesamt macht sich in den Haushaltungen der sich beteiligenden Leser der unheilvolle Einfluss der Fertiggerich­te bemerkbar. Nicht dass sie hemmungsloser als früher zum Fast Food greifen. Aber dennoch ist hinter den Dampf­wolken über den Induktionsherden so etwas wie eine kaum verhohlene Nachlässigkeit gegenüber den hohen Qualitätsansprüchen der vergangenen Jahrzehnte zu bemerken.

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Zu den Restaurants, die, ohne Rücksicht auf diese nur schwach erkennbaren Symptome einer leicht entspannten Küche, ihren gewohnt klassischen und deshalb populären Stil weiter verfolgen, gehört in Hamburg an erster Stelle das „Fischereihafen Restaurant“ der Familie Kowalke in der Großen Elbstraße 143. Für hanseatische Großbürger ist es eine Kult-Kneipe, wobei ‚Kneipe‘, wie so vieles in dieser schönen Stadt, stark untertrieben ist. Nicht nur, dass hier auf hohem Niveau gekocht wird, auch das Ambiente besitzt jene Klubatmosphäre, in der sich die Kundschaft erst mit Krawatte wirklich wohl fühlt. Von den Fensterplätzen hat man einen umfassenden Blick auf 12-stöckige Kreuzfahrtschiffe, die sich von einer riesigen Mietskaserne nur dadurch unterscheiden, dass sie sich von Zeit zu Zeit erstaunlich leise in Bewegung setzen und in einem anderen Hafen die Neue Gigantomanie vorführen.

Den Küchen dieser 6000-Couvert Restaurants möchte man lieber nicht ausgeliefert sein, auch wenn viele Passagiere eine individuelle Küche, wie sie bei Kowalke praktiziert wird, nicht so hoch einschätzen mögen wie das bei Pauschalreisen entstehende Gemeinschaftserlebnis.

Aber die Vorstellung, dass man das Fischereihafen Restaurant bei Bedarf sogar auf einem Treppengeländerlift jederzeit verlassen kann, hat etwas Beruhigendes, wie es die Dame mit dem Koffer auf dem Hinflug nicht kannte, und woran auch die Mieter der teuren Schiffskabinen besser nicht denken sollten.

One Comment | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Freundin des guten Geschmacks |

    Danke für diesen Bericht. Ich bin glücklich vor etwa 20 Jahren dabei gewesen sein zu dürfen. Sogar in diesem Kochbuch bin ich vertreten „Wenn Gäste kommen“, und sehr stolz darauf.
    Gerade in der letzten Woche habe ich wiederholt abgesagt an einer Kochshow mit zu kochen, wie sie ja jetzt heißen.

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