UNGEHORSAM

Frau HoffmannEs ist üblich, das Große, Bunte und Auffällige noch größer, bunter und auffälliger zu machen, als es normalerweise ist. So wurde aus einem Salatbrötchen ein Hamburger, aus kreischenden Schulmädchen wurden Stars, und Liebespaare wurden zu Titelblätter für BUNTE. Daran haben wir uns gewöhnt, Gott sei’s geklagt.

Wir wissen auch, dass wir die größten und besten Autos bauen, Sauerkraut essen, während unsere Baustellen den Staus auf unseren Autobahnen entsprechen: sie sind auffälliger als Baustellen es normalerweise sind.

Das alles mehret unseren Stolz bis zu einem gewissen Grad. Der ist erreicht, wenn wir das Gegenteil entdecken, nämlich die alte, vergessene Wahrheit, dass auch das Kleine schön sein kann. Da gibt es in jedermanns Nachbarschaft einen Ziegenbauern, der eigene Käse herstellt. Ziegenkäse vom Kleinbauern! Nicht gleich so gut wie einer aus der Provence oder dem Loiret. Aber gegen jede hygienische Vorschrift mit der Hand auf der Tischplatte gerollt. Wow, sagen wir dann, und sind diesmal stolz auf das kleine, nicht auffällige Produkt aus dem Kleinbetrieb. Weil wir den Unterschied erkennen. Genau so bei dem Schuhmacher aus dem österreichischen Waldviertel und der – sagen wir – europäischen Massenproduktion von Billigschuhen. Beim Konsumenten wächst der Abscheu vor der Massentierhaltung deutlich. Auch deshalb, weil unser Mitgefühl für die Hühner und Schweine aus den niedersächsischen Großbetrieben wächst. Aber auch wegen des Unterschieds im Geschmack. Deshalb gehört neuerdings auch die Hausschlachtung zu den positiven Begriffen der Verbraucher, obwohl sie durch Verordnungen aus Brüssel den kleinen Metzgern mehr und mehr erschwert wird. (Doch auch das Europäische Parlament muss sich den Wahlen stellen.)

Was die schiere Größe angeht mit all den unangenehmen Erscheinungen der Massenkultur, so sind die soziale Netze genannten Plattformen wie YouTube und Twitter der Gipfel der Beliebigkeit und, wie es zunächst schien, gleichbedeutend mit dem Ende des Buchdrucks. Doch der Literaturfreund registriert zu seinem Erstaunen das Aufkommen von kleinen Verlagen, welche sich anspruchsvolle Originalität und Unverwechselbarkeit leisten.

Sogar auf dem Gebiet der Feinschmeckerei gibt es Publikationen analog zum handgerollten Ziegenkäse und zum hausgeschlachteten Kalb. Schmale Heftchen, spezialisierte Texte in Kleinstauflagen, oft von naiver Weltverbesserung getrieben, nicht selten aber von delikatem Geschmack und edler Form in intellektueller Hingabe geprägt – sie tauchen unerwartet auf und zeugen von einem Qualitätsbewußtsein, wie es ansonst nur die Luxusindustrie beweist.

Aber es muss nicht immer Luxus sein, und auch nicht immer die Gourmandise, die für Überraschungen sorgen. Da bestellt man sich per Katalog bei einer Manufaktur in Niederöster­reich ein paar Wanderschuhe und bekommt dazu vom Schuh­macher eine ‚brenn­stoff‘ genannte Zeitschrift, welche dem Ungehorsam gewidmet ist und schöne Texte enthält, u.a. von Kafka, Erich Fried, Musil; Erich Fromm, Thoreau, auch Adorno und andere werden zitiert. Auch das ist ein Stück unserer Gegenwart: man bestellt sich ein paar handgenähte Gea-San­dalen und bekommt eine hausgemachte Broschüre dazu, die daran erinnert, wie unsere Umwelt beschaffen ist. Das haben die Bäckereien, die Gemüsebauern und Molkereien noch vor sich. Aber eines Tages wird es so weit sein.

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