SEIN HENGST RIH

Frau HoffmannDie Menschen haben Pferde gegessen, seit sie ihrer habhaft werden konnten. Gemäß ihrer Kraft und Schnelligkeit waren sie gewiss nicht die erste Nahrung unserer Vorfahren. Aber auf jeden Fall sehr begehrt. Davon zeugt das bekannte Massaker das Adam und seine Brüder unter den zur Panik neigenden Galoppern in Burgund angerichtet haben.

Das Essen von Pferdefleisch war nie ein Tabu. Zeitweise zwar verboten, weil die Pferde für die Streitkräfte der Könige, Päpste und Herzöge gebraucht wurden. Was aber die ständig hungernde Bevölkerung nicht daran hinderte, die Reste der Pferde auf den Schlachtfeldern einzusammeln und am Spieß zu braten. So geschah es beispielsweise bei der Belagerung von Verona im 16. Jahrhundert. Man kann sich das gar nicht gespenstisch genug vorstellen. Da schleichen, als die Schlacht zu Ende ist, und die Sterbenden verstummt sind, abgemagerte Kerle mit langen Stricken aus der Stadtmauer und suchen sich unter den Pferdekadavern die wohlgenährtesten aus. Sie binden ihnen Stricke um die Beine, vielleicht auch um den Hals. Und dann ziehen sie die toten Tiere in die Stadt, wo bereits die Feuerstellen brennen. Zum ersten Mal seit Monaten gibt es wieder Fleisch zu essen! Die erfolgreiche Verteidigung der Stadtmauern am Tage verwandelt sich in der Nacht in ein Volksfest der Völlerei.

Seitdem stehen auch heute noch Pferdebraten und andere als veroneser Spezialitäten bekannte Fleischgerichte auf den Speisekarten der lokalen Gastronomie. Ich aß sie zum ersten Mal in meinem Leben im „12 Apostoli“, einem prominenten Restaurant, wo auch sonst die regionale Küche hoch im Kurs stand. Zum Beispiel Baccalao, die mediterrane Stockfischpaste. Und Spaghetti in Tintensauce.

Traditionellerweise rollten sie damals einen Carello durchs Lokal, der den Kalbsbraten des Tages warm hielt, auch wenn es sich um einen gekochten Lachs handelte. Pferd wurde in verschiedenen Variationen angeboten, wobei die Küche selbstverständlich Unterschiede machte zwischen dem Fleisch eines Fohlens und dem eines Galoppers.

Das junge Pferd schmeckt eindeutig zarter und besser als das edelste Teil von der Kuh (ist auch gesunder), aber was mit einem alten Zossen ist, der tiefgekühlt in einer Lasagne steckt, und um den zur Zeit soviel Aufhebens gemacht wird, kann ich nicht sagen. Für mich besteht der Skandal, der um die Ausgrabungen in den Tiefkühltruhen der Supermärkte gemacht wird, nur darin, dass ein so primitives Essen wie eine Lasagne europaweit als Fertiggericht verkauft wird, wo es doch kinderleicht herzustellen ist. Aber so lange die Konsumenten zu faul zum Kochen sind und Pferdefleisch aus totaler Unwissenheit ablehnen, werden solche „Skandale“ immer wieder vorkommen.

Eines Tages wird man ihnen noch ihre Vorfahren als Spaghetti bolognese verkaufen.

7 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Martin I. |

    Auf genau diesen Post habe ich gewartet. Sehe es hundert pro genauso. Diese Panik angesichts der Tatsache, man könnte Pferdefleisch gegessen haben, steht in keinem Verhältnis zu der Selbstverständlichkeit, mit der billigster TK-Fertigfraß konsumiert wird. Die Verbraucher sollten sich vielmehr freuen: Wider Erwarten kam schließlich die Bestätigung, dass tatsächlich Fleisch in den TK-Dingern war.

  2. Jeeves |

    Auch ich aß als Kind in den früher 50er Jahren (oft & gerne!) Pferdefleisch. Ich vermute, das war schlicht billiger(?)
    Heute: Auf der Domäne (Berlin-)Dahlem ist seit Jahren bei jedem Marktfest ein Stand dabei, der Pferdefleisch verkauft und reichlich heiße Pferdewürste und -Bouletten an zig Besucher verkauft und niemand hat sich je beschwert oder auch nur verwundert den Kopf geschüttelt.

  3. Huhn Berta |

    Schade um das gute Pferdefleisch in Fertiglasagne. Als Sauerbraten eingelegt, wäre es besser aufgehoben.
    H.B.

  4. Schorsch |

    Ich sehe da kein Problem. Wenn sich so ein hochmotivierter Freizeitsportler kein richtiges Doping leisten kann kauft er halt Fertiglasagne beim Edeka.

  5. fritz_ |

    Herr Siebeck, niemand liest die Überschriften, soviel haben wir gelernt. 🙂

    Was haben wir noch gelernt? Dass es um Pferdefleisch geht, oh weh!, steht nur beispielhaft für die sonst nie mögliche Sicht auf den alltäglichen Horror.

    Auf der Fertigpizza Schweineteile aus rumänischer Resteverwertung? Stets unauffällig!
    Rinderaugen und Hufe aus Britannien in der Salami Milano? Feinstes Rindereiweiß!

    Doch jetzt ein totes Pferd. Gestern noch Kutschpferd in Wien, heute in Rumänien geschlachtet, morgen inkognito Ganspastete im Supermarktregal.

    Was uns den Horror macht, ist die Bestätigung der Befürchtung, dass alles hineingeklatscht wird in die Fertigspeisen, was Kehrrichtblech und Bilgenwasser hergeben. Und dass es geht, und dass es alltäglich ist.

  6. Holger |

    was mich im Bezug auf Pferdefleich maßlos ärgert ist der Umstand, dass ich hunderfünfzig Kilometer ins Elsass fahren muss, um ordentliches Pferdefleisch zu bekommen!

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