GEIZ ISST GAUL*

Frau Hoffmann„Warum tun wir, was wir tun? Warum lieben wir, was wir lieben?“ So beginnt Frank Schirrmacher (FAZ) einen Beitrag im Spiegel, mit dem er sein neuestes Buch erklärt. Es ist eine sehr lange Erklärung, die nicht jeder zu Ende lesen möchte. Um diesen Prozess kürzer zu fassen, wie es früher jede Telefonzelle verlangte („Fasse dich kurz“), hätte es genügt, seine Fragen anders herum zu stellen: Warum verweigern wir, was wir hätten tun sollen? Warum verabscheuen wir, was wir lieben könnten?

Gemeint sind damit – jeder intelligente Leser hat es längst gemerkt – nicht die Abschiede des Papstes und der Bildungsministerin, sondern der Skandal des Jahres: Pferdefleisch in tiefgekühlter Lasagne.

Wieder einmal war den deutschen Finanzämtern entgangen, dass aus dem dreckigen Ausland die gute Lebensart in unsere propere Heimat geschleust wurde.

Damit sind natürlich nicht die faden Kunsttomaten gemeint oder der widerliche Kunstfraß, den geizige Konsumenten aus den Supermärkten nach Hause schleppen. Der ist es tatsächlich nur wert, postwendend wieder zurückgeschickt zu werden. Zumindest theoretisch ist das ein verführerischer Gedanke. Im Handumdrehen wären die Regale bei Aldi und Konsorten geleert; ungesunde, chemisch verseuchte und sonst wie denaturierte Produkte würden an den Esstischen der Familien kein Unheil mehr anrichten.

Das ist leider Utopie. Die Spur von (bisher!) 4,5 Millionen Pferdefleisch enthaltenden Tiefkühlspeisen, die europaweit in den Supermärkten gefunden wurden, wird so schnell nicht untergehen.

Wahrscheinlich wird man weitere 5 Millionen Portionen vorgefertigte Mahlzeiten mit Rossbeef finden, und wenn wir Konsumenten Glück haben, werden es noch zehnmal so viele sein.

Richtig gelesen. Ich sagte „Glück“. Denn für jedes Stück Fleisch eines Galoppers, das uns geschmeckt hat, haben wir weniger vom Schwein, weniger von der Kuh und weniger bratfertiges Huhn gegessen. Und dafür können wir nur dankbar sein. Es geschah eindeutig zu unserem Nutzen.

Denn Pferdefleisch ist gesunder und schmeckt besser als das Schlachtvieh aus der Massentierhaltung. Es ist auch gesunder und wohlschmeckender als der steril verpackt Fraß in Tiefkühltruhen, weil die beliebten Keulen, Schinken und Brüste der Sonderangebote viel mehr Medikamente enthalten als ein Gaul, der zu Lebzeiten liebevoll gestriegelt wurde, um den Metabolismus halbwüchsiger Fräuleins zurecht zu rütteln.

Die deutsche Öffentlichkeit sieht das leider anders. Sie fürch­tet sich vor Pferdefleisch, weil sie wieder einmal voreingenommen ist, wenn es ums gute Essen geht. Ein Blick in die Tageszeitungen genügt, und die Allergien blühen wie die Neurosen.

Pferdefleisch ist überall. Da ein Kilo Pferdelende nicht anders aussieht als ein Kilo Ochsenfleisch, im Zweifelsfall aber zarter ist, haben kluge Esser schon immer ihren Sauerbraten beim Pferdemetzger gekauft. Früher gab es sie in Marktnähe in jeder Stadt. Aber das Misstrauen der Verbraucher gegenüber jedem Produkt, das nicht in Plastik abgepackt und tiefgefroren ist, wurde stets von der Nahrungsindustrie gefördert, die schon immer mit der Verpackungsindustrie und den Pillendrehern unter einer Decke steckte. Je weiter ein Produkt von seinem Naturzustand entfernt ist, um so empfehlenswerter erscheint es dem Verbraucher. Und wenn außerdem noch ein Verfallsdatum ihm scheinbare Unbedenklichkeit vorgaukelt, fühlt er sich auf der sicheren Seite. Trotz der vielen schlechten Erfahrungen, die er seit Jahren macht. Also greift er immer wieder aufs Neue in die Tiefkühltruhe wie ein Zocker, der glaubt, der große Gewinn müsse ja einmal kommen.

Es ist diese Wahlverwandtschaft (von Schirrmacher ‚Spieltheorie‘ genannt) zwischen Käufern und Verkäufern, welche so fatal funktioniert, weil beide Seite ebenso radikal wie kon­sequent ihr Eigeninteresse verfolgen: hier die Schnäppchenjäger, dort die Konformität des Marktes. Beide verhalten sich nach den gleichen Regeln. Das heißt, sie täuschen, fälschen und taktieren, wie sie es auch vom Gegenüber nicht anders erwarten.

Dabei sind wie immer die Produzenten im Vorteil. Sie können in ihrer Tiefkühlware alles verarbeiten, was nicht sein darf und erreichen die Akzeptanz des Minderwertigen durch stän­dige Preisnachlässe. Das wiederum hält der Verbraucher für seine große Chance. Er angelt in den eisigen Särgen nach immer billigeren Produkten.

Und wenn die, dank der Pharmaindustrie, gleich die Gegenmittel für seine Fressgier enthalten, ist er fasziniert von der Fortschrittlichkeit der Nahrungsindustrie.

An diesem Punkt unserer histoire economique angekommen erhebt sich die Ministerin für den Verbraucherschutz leise von ihrem Stuhl und verlässt diskret und zufrieden den Saal. Schirrmacher ist bereits vorher gegangen.

*Titel: Zitat facebook Michel Reimon

11 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. fox |

    Wunderbar scharfsinnig auf den Punkt gekommen – es geht nicht besser. Diese gewaltige graue Masse, als Kunden die Könige, die Industrie befriedigt nur das Kaufinteresse.

  2. Gourmet |

    Es ist wohl nicht die Angst vor dem Pferdefleisch ansich die uns grausen läßt, sondern das Ausmaß des Betruges in der Lebensmittelindustrie!

  3. Heinz Magnus |

    Wie wahr, Herr Siebeck. Pferdesteak bekam ich auf unserem süddeutsch-schwäbischen Wochenmarkt vor Jahren einmal. Es war die selige Zeit des Rinderwahnsinns. Dann ist es ganz schnell wieder verschwunden und vorbei war es mit der Herrlichkeit. dabei konnete rote Loire-Wein mit dem Cheval zu wahrer Grnd Prix-Form auflaufen. Tempi passati…

    Beste Grüße
    H.M.

  4. Jeeves |

    Wieder mal: Bravo!
    Doch, hilft’s?

  5. Jürgen |

    Kompliment für die geniale Überschrift!!!
    Das Gute an dem „Skandal“: Die Gourmets galoppieren jetzt zum Pferdemetzger.

  6. Dieter |

    Alles richtig, aber was draufsteht, muss auch drin sein.
    Also, zuverlässig kennzeichnen!

  7. fritz_ |

    Nun ja. So trägt ein jeder Schlemihl sein Bündel an Nahrungstabus tapfer mit sich mit, kann sich nicht verstecken und folgt seiner Prägung und dem Zeitgeist unbeirrt.

    Haben Sie schon mal Hund gegessen? Ich durfte in Vietnam unter Vietnamesen aus einem entsprechenden fetten Sud mir in mein Schüsselchen aushelfen. Ich habe mehr befürchtet als geahnt, mehr geahnt als gewusst, was da im Schüsselchen schwamm.
    Es hatte ganz den Anschein, dass die Geschäftspartner ihren Jokus mit uns Gästen trieben, sicher kann man nie sein. Sie lachten, klatschten sich auf die Schenkel und hatten Spaß für zehn. Da heißt die Parole, sich nichts anmerken zu lassen und die Suppe auszulöffeln wie Ochsenbrühe, während sich die Gastgeber amüsieren.

    In Deutschland ist Hund in der Pfanne tabu. Die meisten Menschen finden es unappetitlich, verboten ist es obendrein. In der Schweiz sieht man das schon weniger verbissen.

    Ihre heilige Kuh: nämlich die Kuh, haben sogar die schlauen Hindus der Wüste, die laut Goethe ansonsten so pfiffig sind zu geloben, dass sie keine Fische essen wollen.

    Viele Deutsche haben eben das heilige Pferd. Dabei ist Pferdefleisch gesund und zart, wie Sie zutreffend sagen, wenn es auch etwas länger braucht, bis es gar ist.
    Pferde werden nicht gemästet, haben Auslauf und fressen nur Gras und Heu und Äpfel und Möhrchen, und in Deutschland hat jedes Pferd sein persönliches Produktdatenblatt am Revers.

    Ich entnehme einer Statistik, dass pro Jahr 12000 Pferde durch deutsche Schlachthöfe gehen. Sehr viel mehr sollten es auch nicht werden, sonst würde es interessant, Pferde zum Zwecke des Schlachtens industriell zu züchten. Muss nicht sein.

    Man braucht ja nicht so weit zu gehen wie Pabst Gregor III. im Jahr 732, der erst das Pferdefleischessen verboten und dann die Germanen katholisch gemacht hat. Da der Erlass nie aufgehoben wurde, muss Katholiken also vom Verzehr von Pferdefleisch abgeraten werden.

  8. Schorsch |

    Einspruch euer Ehren!
    Es ist nicht die Jagd nach dem Schnäppchen. Es ist die pure Faulheit einer gesättigten Gesellschaft. Oder warum kauft jemand Mikrobenwellenlasagne und läßt sich auch mal gerne mal eine durchgeweichte Pizza im Karton oder ein Box gerollter muffiger Fischfitzel liefern? Weil er zu faul zum Kochen ist. Deshalb.
    Außerdem habe ich eine Beobachtung gemacht: Das meiste Fertigzeugs steht in den Regalen auf dass sie voll sind. Wer zur Unzeit zum Gigantlebensmittler geht erwischt die Leute beim Abstauben.

    Bei uns gab es heute Abend selbst gebeizte Frisch-Forelle. Da schwebt der Billiglachs preislich in der Luxusklasse!

  9. tobias blum |

    Sie haben in vielen Punkten Recht. Aber wenn man hört, wo das Pferdefleisch herkommt und welche Wege es bis zur „Gut und Günstig Lasagne“ gegangen ist, darf man am „Glück“ des Verbrauchers, der Pferd statt Kuh bekommt, zweifeln.
    Glauben Sie denn wirklich, dass ein Pferd, aus einem rumänischen Schlachthof, liebevoll gestriegelt wurde und auch sonst ein schönes Leben hatte??

  10. Timo Scharding |

    Hallo Miteinander!
    Ich finde es nur schade, dass durch diese Verbrauchertäuschung am Ende das Pferd der Verlierer ist. Pferdefleisch ist besser als sein Ruf. Die Leute sollten froh sein, dass Pferdefleisch in der Lasagne ist, ökologisch jedenfalls besser als Rind. Wahrscheinlich ist schon jahrzehntelang Pferdefleisch beigemischt worden, leider fehlt aber die Akzeptanz zu Pferdefleisch in unserer Gesellschaft, bzw. die Aufklärung und Überzeugung dazu. Wäre dies der Fall, stände auf dem Etikett einfach: enthält xx% Pferdefleisch, und die Welt wäre wieder in Ordnung.
    Dann kauf ich es, oder lass es eben bleiben.
    Man gibt den Verbrauchern die Schuld, dass sie auf der Schiene: „Hauptsache billig!“ fahren.
    Das stimmt nur teilweise.
    Manche können es sich einfach nicht leisten, anderen ist es egal.
    Ein Lasagne-Produzent braucht seine Lasagne aber nicht z.B. für 1,39€ anzubieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben, er kann sie auch für 1,49€ anbieten und für die Qualität und Inhaltsstoffe ausdrücklich werben.
    Natürlich kaufen die Meisten das Billigprodukt, auch wenn jetzt Pferdefleisch auf dem Etikett steht, aber es ist keine Verbrauchertäuschung mehr.

    Umgekehrt möchte ich mal eine Frage, ohne religiös provokant zu werden, hier in den Raum stellen:
    Wie viele Muslime haben in Deutschland Produkte benutz, die frei von Schweinefleisch sein sollen? Zumindest nach deren Überzeugung.
    Welcher Muslime isst z.B. Gummibärchen, oder benützt Lippenstift, uvm.?
    Dass da kein Schwein im Spiel ist, ist reine Idiotie!
    In Gelantine ist in Deutschland mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmt ein Schwein mit im Spiel.
    Denkt mal drüber nach, es steht bestimmt im Beipackzettel, aber wer liest schon den Beipackzettel eines Lippenstiftes?!
    MFG, der Timo

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