DER TÄGLICHE KAHLSCHLAG

Frau HoffmannDie Nation ist entsetzt. Sie müsste es jedenfalls sein, angesichts ihres Interesses am Schicksal des gescheiterten Papstes und der Jahreseinkünfte Herrn Winterkorns. Denn diese Nichtigkeiten werden übertroffen vom Skandal im Agrarministerium.

Auch dort haben wir es mit einer Fehlbesetzung zu tun, und um viel Geld geht es ebenfalls. Frau Aigner hat sich spontan eine drohende Frisur zugelegt, die auf die Zornesfalte oberhalb ihrer Nase abgestimmt ist. Wieder einmal steht sie im Mittelpunkt eines Lebensmittelskandals, ein Standort, an den ihr Ministerium gewöhnt ist, seit ihr Vorgänger, der listenreiche Horst Seehofer, seiner Klientel stets den größten Anteil der Subventionen zugeschustert hat, die wir Steuerzahler berappen müssen.

Außerdem können wir nur hilflos auf die Schäden blicken, welche deutsche Großbauern der Natur zufügen, indem sie Jahr für Jahr die Anbauflächen für Monokulturen vergrößern und Onstplantagen vernichten. Die anderen Aktivitäten der Agrarmafia, die zu enttarnen das zuständige Ministerium nicht Willens und nicht in der Lage ist, verwandeln jeden nichtbebauten Quadratmeter deutscher Erde in einen Parkplatz mit dazugehörendem Eigenheim.

Man kann sagen, die größte Naturvernichtung seit dem letzten Krieg findet täglich vor unser aller Augen statt. Die als Trost für die harte Arbeit gedachten Subventionen, verwandeln sich in den Händen der Bauern in einen Fluch.

Das Dilemma existiert, seit das Ministerium fest in den Händen der CSU ist. Seitdem hat eine Kahlschlagperiode eingesetzt, welche sich zu der gleichnamigen Epoche in der Literatur verhält wie Stuttgart 21 zum Ausbau der Freiburger Radfahrwege. Wie unbarmherzige Kopfgeldjäger streifen routinierte Baumabsäger durch die Felder und Auen und machen alles platt, was dem Maisanbau und den Immobilienfonds im Wege steht.

Um das Versagen der christsozialen Politik deutlich zu machen, folgt ein Lebensmittelskandal dem anderen. Der Konsument schlägt jeden Morgen die Zeitung auf, um zu erfahren, welches Detail seines Frühstücks heute gesundheits­-schädlich ist. Sie waren alle schon an der Reihe, die Dioxineier, das Gammelfleisch, die perfiden Chemikalien, das Tierfutter aus Kadavern, die Hormonbeigaben, der Medikamentencocktail, die Ehec-Bakterien, das gefälschte Verfallsdatum, die gefälschten Geburtsurkunden bis zu den gefälschten Reisepässen der Gemüsegenen und – das Wiehern klingt uns noch in den Ohren – dem Pferdefleisch, das offiziell hätte muhen müssen.

Jedesmal war es für den zuständigen Minister ein Anlass, die Zornesfalte zu aktivieren und entschlossen zu versprechen, die Gesetze würden verschärft, die Strafen erhöht und die Kontrollen verstärkt. In einer schwachen Stunde hieß es sogar, die ertappten Fälscher würden namentlich genannt. Und was geschah?

Nichts geschah. Die Gesetze wurden nicht verschärft, die Strafen nicht erhöht und die Kontrollen nicht verbessert. Es wurde auch kein Giftmischer je öffentlich genannt, kein Betrieb geschlossen, und kein Betrüger ging ins Gefängnis.

Bestraft wurde hingegen der kleinere Teil der Landwirtschaft, der als Bio-Bauern eine unerwartete Existenzfähigkeit bewiesen hatte. Auch sie sind subventionsberechtigt, wenn auch nicht in so hohem Maße wie Großagrarier und Fabrikanten von wüstentauglichen Panzern und friedensstiftenden Raketen.

Aber sie agieren als Naturschützer, indem sie eine ökologisch korrekte Landwirtschaft anstreben und eine tiergerechte Viehhaltung praktizieren, damit sie sich mit höheren Qualitätsansprüchen gegen die Billigpreise der Massenprodu­zenten durchsetzen können.

Doch die Subventionen wurden ihnen entweder gänzlich gestrichen oder auf bürokratischem Wege reduziert. Also wundert es nicht, wenn einige Biobauern eine Kehrwendung gemacht haben, zurück zu den katastrophalen Methoden der konventionellen Landwirtschaft, zur Tierquälerei. Den Böden zerstörenden Großbetrieben mit ihren elenden Mastbetrie­ben geschah nichts dergleichen. Das erklärt sich dadurch, dass die Wahlzettel der CSU sich nicht von den Wunschzet­teln der Großagrarier unterscheiden. So wie sich für die Fleischmafia das Pferd nicht vom Rind unterscheidet.

Der neueste Skandal, bei dem Millionen Hühnereier zu hoch eingestuft wurden, sogar als Bioeier, obwohl sie aus widerlichen Hühner-KZs stammen, hat so große Ausmaße, dass der Verdacht einer konzertierten Aktion besteht. Denn die Agrarmafia verdient nicht nur daran, indem sie ungerechtfertigte Preise für die falschen Eier verlangt; zusätzlich bringt sie alle Bio-Bauern in Misskredit, weil der misstrauisch gewordene Verbraucher keine höherwertigen Produkte kauft, die er verdächtigt, minderwertig zu sein. Also wird der ehrliche Kleinbauer gezwungen, den gleichen Mist zu produzieren wie die Großagrarier. Nur kriegt er nicht so hohe Subventionen wie diese, kann sich also keine Dumpingpreise leisten, so dass er am Ende aufgeben muss und unsere Erde den Unholden zum gefälligen Missbrauch überlässt.

Wenn das die Absicht der Agrarlobby ist, muss mehr geschehen als der wohlfeile Protest in den Leserbriefen. Die folgenreiche Wut einer zivilisierten Nation hat sich schon einmal am hohen Brotpreis entzündet. Es wurde dabei viel Porzellan zerschlagen. Eierbecher waren auch dabei.

7 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. hopfenguru |

    wieder ein sehr treffender Kommentar,
    sie sprechen uns mündigen Verbrauchern aus der Seele Herr Siebeck, leider ist „das Volk dumm“ wie schon Karl Marx feststellte und leider wird es immer dümmer,
    auch durch ein „Etwas“ wie Frau Aigner, die absolute Inkompetenz in Person, doch das Wählervolk wird es noch soweit bringen diese Inkompetenz zur Nachfolgerin von Horsti zu bestimmen,
    vorher muß sie nur noch die andere bayrisch-fränkische Inkompetenz, Herrn Söder,vernichten und das bay. Volk bekommt was es verdient hat,
    einfach nur traurig,
    mit besten Grüßen aus Oberfranken
    T.G.

  2. Juliane |

    Herr Siebeck, ich beneide Sie um die Gnade der frühen Geburt. Unsereins muß sich voraussichtlich mit den Auswirkungen noch ein paar Jahrzehnte herumschlagen. Die Konsequenzen dieser Katastrophen-Landwirtschaft können wir alle noch gar nicht ermessen, aber wer wachen Geistes ist, ahnt, was auf ihn zukommt.
    Die Horden von Allergikern (nicht zuletzt unter Kindern) sprechen für sich. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung ist mit der industrialisierten Landwirtschaft und einer sogenannten Lebensmittelindustrie, die sich das Prinzip der Dekonstruktion und anschließenden baukastenartigen Montage von Gruselfraß zu eigen gemacht hat, groß geworden. Das hat Auswirkungen – auf den BMI des Volkes und auf die explodierenden Gesundheitskosten.
    Prost Mahlzeit!

  3. Ulf Mayer |

    Herr Siebeck, danke für diesen Artikel. Sie bringen es auf den Punkt und gleichzeitig schüren Sie bei mir ein ungutes Gefühl: Ich habe mit Ihnen und Ihrer „Kochschule für Anspruchsvolle“ einmal angefangen, mich mit dem Selber-Besser-Kochen zu beschäftigen und bin bis heute dabei geblieben. Ich habe meine Händler gefunden und bekoche mich und meine Familie seit vielen Jahren aus Lust und aus Vernunft gleichermaßen. Mit so einleuchtenden wie erstaunlichen Konsequenzen: Schon meine 4-jährige Tochter erkennt den Unterschied zwischen einem Rohmilch-Camembert und einem Billig-Käse und zieht ersteren vor (sie nennt ihn schlicht „Stink-Käse“ und futtert ihn am liebsten ohne Brot…) und sie hasst das Essen im Kindergarten…
    Aber was soll sie tun, wenn sie eines schönen Tages gar keine Wahl mehr hat zwischen dem Industrie-Dreck und guten Produkten? Was wenn es die „guten“ Produkte gar nicht mehr gibt, weil die kleinen Produzenten reihenweise kaputtgemacht werden? Unser Grundstück ist nicht groß genug, um einen Selbstversorger-Gemüsegarten und Obstbäume zu pflanzen und außerdem noch Schweine und Kaninchen zu halten, Hühner herumlaufen zu lassen und vielleicht sogar noch eine Kuh in den Stall zu stellen, um frische Milch zu haben.
    Statt dessen sind wir auf das angewiesen, was uns der Handel anbietet. Und da sieht es für die Zukunft wirklich zappenduster aus.
    Vielleicht sollten wir die Kids an den Einheitsgeschmack von Konfektionsnahrungsmitteln gewöhnen, damit wir ihnen eine große Enttäuschung ersparen? Aber das käme einer Niederlage gleich, die ich nicht hinnehmen werde. Statt dessen sollte jeder der es will auf seinem Platz und mit seinen Mitteln dafür kämpfen, dass der Nahrungsmittelmafia und den durch sie korrumpierten Politikern endlich das schmutzige Handwerk gelegt wird. Oder wir brauchen doch ein größeres Grundstück.

  4. Ulla |

    Ich schließe mich meinen Vorrednern sprachlos und traurig an!
    Danke für Ihre nimmermüde Kritik.

  5. CALIMERO |

    Groß ist das Entsetzen über die uns umgebende Verbraucherdummheit. „Her mit dem Schwein, nur billig muss es sein“. Den Nutzessern der industriellen Lebenmittelindustrie will ich zurufen: Fresst Scheisse, Milliarden von Fliegen können nicht irren!

  6. Dieter |

    Das waren noch Zeiten, als solche kritischen Artikel noch im Zeitmagazin
    standen! Vorbei! Schade!

  7. Chr. A. Wolf |

    Auch kann mich den Vorrednern nur sprachlos, traurig, und auch wütend anschließen. Schaut man sich an, dass hiergegen bereits seit Jahrzehnten von nachdenklichen Menschen gut begründete Kritik geübt wird, die von einer kurzsichtigen Politik und Lobby als weltfremd und wirtschaftsfeindlich zu diskreditieren versucht wird, so kann man auch mutlos werden. Tatenlos braucht man aber nicht zu bleiben, denn wir können alle mit unseren eigenen Füßen und Händen abstimmen und selber kochen, und, soweit man auch nur 50, 100 qm Land nutzen kann, einen Gutteil unseres Bedarfs an Grünzeug selbst erzeugen. Man muß nur jene allenorts auf dem Land anzutreffenden nutzlosen, nie bespielten und nur fürs lästige Mähen betretenen Rasen- (und, ganz modern, Kies-)flächen umgraben und bestellen. Diese Kulturfertigkeit des Gärtnerns ist aber im gesellschaftlichen Denken ebenso unter die Räder gekommen wie das Kochen. Ich verspreche Ihnen aus eigener Erfahrung stark irritierte Blicke und Kommentare der sich übers Rasen mähen aufstöhnenden Nachbarn… Und erstaunte Kinderaugen, die fragen: „Sind das Möhrchen? Darf ich eine ausreißen und essen?“ …

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