Bereits vor 8 Jahren erschien in Paris ein stattlicher Band, den der Christian Verlag schon ein Jahr später unter dem Titel „Schwein & Sohn“ herausbrachte. So viel ich weiß, fand es damals, auf dem Höhepunkt der progressiven, deutschen Küche, keine nennenswerte Beachtung. Ein typischer Fall von ‚zur falschen Zeit am falschen Ort‘. (Worunter übrigens auch meine „Verpönte Küche“ litt, die ausschließlich Innereien zum Thema hatte.)
Es ist ein Buch mit Rezepten von Schweinefleisch, aber etwas ganz anderes als die üblichen bayerisch-westfälisch-holsteinschen Kopien der Küchenhefte entsprechender Großmütter.
Bei „Schwein & Sohn“ handelt es sich um die Hausmannskost einer ur-bäuerischen Region, des französischen Hochplateaus der Ardèche, und es beginnt beim Schlachten und verwursten eines Schweins im Dorf Saint-Agrève, um 7 Uhr morgens an einem Februartag bei -15°C. Der Leser wird durch schonungslose Fotos mit hineingezogen in die Geschehnisse dieses kalten Wintertages, er sieht, wie eine Boudin gemacht wird, er beobachtet Aimé beim Aufblasen der frischen Därme, wir sehen Blachou unter einer Reihe grotesk verformter Würste, denen das Handgeschnitzte von weitem anzusehen ist. Wir sehen die Männer in ihrem Blaumann am Herd, der in keiner schmucken Küche steht, sondern in einem Raum, wo die Farbe von den Wänden bröckelt, vom Lack nichts mehr zu sehen ist, wo aber die Weinflaschen stets griffbereit stehen (Weißwein).
Die Ärmlichkeit der Schweineschlachter wird nie versteckt; von Kräuterdüften ist nie die Rede; die Fotos zeigen ungeschminkt, wie bei den Bauern der Ardèche eine Schweineleberpastete aussieht, wie ein Schweinscarré in Cidre mit Äpfeln oder eine glasierte Schweinshaxe. Das meiste sieht sehr deftig aus, nicht wenige Gerichte sind der reine Magenschreck. Überhaupt muss, wer sich bei diesen Bauern zu Tisch setzt, ein verdammter Snob sein oder einen Magen aus Titan haben.
Ich habe auf den 364 Seiten des Buches nicht ein Gericht gefunden, das ich gern gegessen hätte. Aber ich habe es zweimal von vorn bis hinten durchgelesen, so sehr hat mich dieser Einblick in das bäuerliche Leben in der Ardèche fasziniert. Die Erkenntnis, dass wir mit unseren globalisierten Essgewohnheiten an einem authentischen Teil unseres Lebens nicht mehr teilnehmen können – und das nicht nur in 1100 Meter Höhe – ist für den sensiblen Beobachter nicht neu. Selten aber hat er Gelegenheit, sich so detailliert darüber zu informieren. Dass dies auf fröhliche Weise geschieht, verdankt er dem Illustrator José Reis de Matos, der das Thema Schwein auf liebevolle Weise hundertfach variiert hat.
Und geschrieben hat das wunderbare Buch Stéphane Reynaud. Bravo!
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Lieber Herr Siebeck,
das Buch fand so großen Anklang, daß es lange vergriffen war und im Internet zu Preisen um 100 € gehandelt wurde. Erst die Neuauflage mit dem Titel: „Das saugute Kochbuch“ brachte mir mein Exemplar zu einem vernünftigen Preis.
Grüße aus dem Markgräflerland
Dirk Esser
Danke Herr Esser für den sauguten Tipp! Hab’s soeben bestellt.
Gerne geschehen 🙂
… und voller Genuß gleich ausgelesen (nein: verschlungen!)