ZEITZEUGEN

Frau HoffmannDie übliche, auf den Januar verschobene Weihnachtsarbeit besteht traditionsgemäß im Einräumen der geschenkten Bücher. (Man schenkt mir auch Wein, gottseidank. Aber wegen der Transportkosten nur Einzelflaschen, welche einzuräumen keine Arbeit ist.) Auch das Einräumen von Büchern kann man nicht ernsthaft Arbeit nennen. Denn es ist anregend und macht Spaß. Jedenfalls der Zuschauerin, die vor Vergnügen kreischte, als ich bei dem Versuch, einen zerlumpten Haufen Shakespeare und Karl May aus dem Regal zu heben, die Balance verlor, und ein guter Meter Literatur zu Boden polterte, bei welcher Gelegenheit das stürzende Kulturgut ein Bild Uwe Bremers von der Wand riss.
Passenderweise lag auch ein Buch von Blixa Bargeld am Boden. Er ist der Frontmann der Band Einstürzende Neubauten und schildert in „Europa kreuzweise“ (Residenzverlag) die monotonen Reisen mit seiner Band, listet kommentarlos die Titel der Songs auf, für die sie Abend für Abend ausgebuht werden (es sind immer dieselben Titel) berichtet von freudlosen Hotels und seiner Suche nach kleinen Provinzmuseen.
Doch mehr als für seine Tournee scheint er sich für am Wege liegende Gourmet-Restaurants zu interessieren, von denen er keines auslässt. So war er in Kopenhagen im „noma“; zahlte dem Taxifahrer, der ihn durch Katalanien zu Ferran Adria fuhr „mehr als das ganze Menü gekostet hatte“, spielte (und aß) in Moskau, in Finnland, und manchmal schwirrte ihm der Kopf von der Reiserei in schüttelnden Bussen, dem aggressiven Publikum und den nächtlichen Nachfeiern.
Solche Schilderungen erinnern mich, mit Verlaub, an meine Reisen von Restaurant zu Restaurant, die wahrscheinlich etwas komfortabler waren aber in der Abfolge der Darbietungen ebenfalls eine gewisse Monotonie erkennen ließen:
Gruß aus der Küche
Foie gras in 3 Variationen
Prosciuto mit Melone
Jakobsmuscheln an Orangenbutter
Zanderfilet an der Haut gebraten
Getrüffelter Kartoffelhack mit pochiertem Ei
Küritzer Lammkeule und Gratin dauphinois
Steinbutt an Ingwer-Karotten
Tortelloni mit Pesto und Ochsenschwanz
Das Beste vom Emmentaler Rind
Rondo der Karibik
Nicht vergleichbar, aber wegen der Leidensfähigkeit des Protagonisten erwähnenswert, waren die Reisen Montaignes um 1585 in Schwaben und Bayern, weil er da bereits über 1000 Kilometer geritten war und unter Nierensteinen litt. Er war oft nicht in der Lage, die Schmerzen zu beschreiben, so entsetzlich litt er auf dem Rücken seiner Reittiere. Aber stets hatte er ein Auge für die Gastronomie des Landes, das er durchkreuzte. Und die fand er hervorragend!
Montaigne war der letzte Zeitzeuge vor dem Dreißigjährigen Krieg, der von den blühenden Landschaften Deutschlands berichtete.
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