TROTZ GLUTEN

Frau HoffmannJeder halbwegs aufgeklärte Konsument weiß, dass Baden-Württemberg Deutschlands Schlemmerecke ist. Die Einheimischen wissen es natürlich am besten, das hat erst unlängst der Schrippen-Weckle-Schwank bewiesen. Etwas länger ist es her, dass in Freiburg, wo die Lebensqualität (d.h. die Mieten, die Umgebung, die Masse der Radfahrer, die Regionalküche) wertvoller ist als im Märkischen Land, ein neues Journal publiziert wurde, welches ‚Baden‘ heißt und sich mit dem Essen in Baden beschäftigt.

Da es nur zwei bis dreimal im Jahr erscheint und jedes Mal mit einem Beitrag von mir, fand ich es nicht so dringend, darauf hinzuweisen. Als ich aber jetzt die Nummer 3 in die Hand bekam (mit einem saukomischen Jungschwein auf dem Titel), halte ich die Zeit für gekommen, darauf hinzuweisen, dass Baden nicht nur eine kulinarische Spitzenstellung im Land einnimmt, sondern auch ein adäquates Magazin besitzt. (Rombach Verlag, Freiburg, 9 €).

Seit damals vor 40 Jahren, als Johann Willsberger einhändig das „Gourmet“ entwarf und auf den Markt brachte, hat es keine ähnlich edle, und ähnlich kulinarische Publikation gegebenen. Und wieder ist es ein Einzeltäter, dem das Kunststück gelungen ist: der Fotograf Michael Wissing ist allein für die Fotos und das Layout verantwortlich. Hier ist einer, der – mit dem Segen des Verlegers – seine ästhetischen Vorstellungen von einem der Hochküche entsprechenden Bildband realisieren konnte.

Ihm ist damit gelungen, was in der kulinarischen Welt mehr und mehr angestrebt wird: die Herstellung einer hochdelikaten Kleinproduktion, wie man sie von Chocolatiers, Affineuren, Hühnerzüchtern und allen, die sich ehrgeizig um die Produktion von Delikatessen bemühen, dringend erwartet.

Aber genug des Lobes.

Ich möchte nur eine Stelle aus dem Heft zitieren, die mir wert erscheint, über ganz Deutschland hinaus zitiert zu werden. Da unterhalten sich zwei Wirte aus der Genussregion (keine Superköche der Dreistern-Klasse!) über die Veränderungen bei ihren Gästen. A antwort auf eine entsprechende Frage:
„Eine der massivsten Veränderungen ist…die Angst vor Alkoholkontrollen. Das ist schon fast geschäftsgefährdend. Wenn wir vor ein paar Jahren einen Vierertisch hatten, dann sind vier Aperitif, eine Flasche Weißwein, eine Flasche Rotwein und vielleicht noch ein Schnäpschen getrunken worden. Heute ist das mindestens halbiert. Und wenn der Mann noch ein Glas Rotwein möchte, tritt ihm die Frau gegen das Schien­bein und sagt, ‚Du musst noch fahrn.‘ Ansonsten ist es etwas einfacher geworden, gutes Essen zu verkaufen…“

Dann fügt er allerdings hinzu:

„Eine Geißel für uns ist die Profilneurose einiger, was Intoleranzen und Allergien angeht. Ich sage nur Laktose und Gluten. Das hat zweistellige Zuwachsraten. Da gibt es inzwischen Listen, die die Gäste mitbringen…“ Und bald fällt das Wort „Schwachsinn“.

Als Autor einer Redaktion würde ich jetzt die Klappe halten und meinen Senf woanders beisteuern. Da ich jedoch frei bin wie der Vogel, kann ich beiden Beispielen nur beipflichten. Die angeführten Alkoholmengen für 4 Personen waren immer normal, wurden meistens auch folgenlos überschritten. Denn man muss wissen, dass aus Feinschmecker-Restau­rants fast nie Betrunkene torkeln. Die sieht man auf Volksfesten und in der Nähe von Schnapskneipen.

Außerdem wissen vier Personen, die sich zu einem gepflegten Abendessen verabreden, ziemlich genau, was sie vertragen. Hier will der Staat seine Bürger wieder einmal bevormunden.

Bei den Allergikern mit den Listen ihrer Phobien ist es wohl die Pharmaindustrie, welche gemeinsam mit der Nahrungsmittelindustrie die Ängste schürt. Es ist rätselhaft, dass niemand fragt, wie wir trotz Gluten und anderer Kuckucksuhren unsere gefahrvolle Geschichte hinter uns gebracht haben.

11 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Axel Geertz |

    Möchtegern-Knigges
    Es ist seit Jahren gute Lebensart bei uns, wenn meine Frau und ich im Restaurant unterschiedliche Gerichte bestellen und essen und diese im Einzelfall Begeisterung auslösen, dass ggf. wechselseitig probiert wird. Ein solches „Ausleben“ der Begeisterung ist für einige Möchtegern-Knigges offensichtlich suspekt.
    Die Herren Lafer und Schubeck lassen in Ihren Restaurants Gästen wie uns in solchen Fällen Platzverweis erteilen! Nicht nur, dass der Grund lächerlich ist, auch die Form ist peinlich! Es wird ein Briefumschlag mit dem Vermerk überreicht, diesen Umschlag erst zu Hause zu öffnen. Wer den Inhalt zur Kenntnis nimmt, wird gebeten, die Etablissements dieser Herren in Zukunft zu meiden.
    Nachsatz: Den fraglichen Herren fehlt aber offensichtlich der Mut, ihre vermeintlichen, neuen „Knigge-Regeln“ offen zu annoncieren. Andernfalls könnte ja sofort das Restaurant bei Kenntnis solcher Absurditäten meiden oder offen im Restaurant hierzu einen Disput beginnen.
    Axel Geertz

    • Martin I. |

      Hallo Herr Geertz,

      da sind Sie einem Wandermärchen aufgesessen. An der Geschichte ist nix dran, sie trägt leider trotzdem dazu bei, die ohnehin große Schwellenangst der Deutschen vor guten Restaurants noch zu verstärken.

      Grüße
      M.

      • Axel Geertz |

        Hallo, Herr Martin,

        wenn es sich denn um eine „Wandergeschichte“ handelt, bedaure ich selbstverständlich meine Einlassungen.

        Mit Grüßen

        Axel Geertz

      • Axel Geertz |

        Noch einmal, mit der Bitte um Veröffentlung:

        Hallo, Herr Martin,
        wenn es sich denn um eine sogenannte „Wandergeschichte“ ohne wahren Hintergrund handelt, ziehe ich meine Feststellungen „Möchtegern-Knigges“ mit Bedauern zurück.

        Mit Grüßen
        Axel Geertz

  2. baden. - essen. trinken. genießen. leben. |

    Sehr geehrter Herr Siebeck,

    herzlichen Dank für den Verweis auf unser Genussmagazin „baden.“. Als herausgebender Verlag von „baden.“ freut uns dies natürlich sehr.
    Da uns in den letzten Tagen vermehrt Anfragen über Umwege zu den Kaufmöglichkeiten, etc. erreichen, erlauben wir uns folgenden Hinweis:
    „baden.“ kann online unter http://www.badische-zeitung.de/baden oder per Telefon unter der gebührenfreien Rufnummer 0800 / 22 24 22 419 (aus dem dt. Festnetz) bestellt werden. Hier haben Sie auch die Möglichkeit ältere Ausgaben zu beziehen.
    Der Preis liegt bei 9,80 € (Abonnenten der Badischen Zeitung zahlen nur 4,80 €).

    Mit freundlichen Grüßen aus Freiburg,
    Leserservice „baden.“, Badische Zeitschriften GmbH

  3. mitohneGourmet |

    Sehr geehrter Herr Siebeck,

    durch Zufall bin ich auf Ihren Blogartikel gestoßen und bin schockiert über die Art und Weise der Darstellung „der Allergiker“.

    Mit Sicherheit gibt es viele Menschen, die auf Grund der Medien, der Pharmaindustrie und anderen äußeren Einflüssen übersensibel auf diese Themen reagieren und vielleicht tatsächlich „Profilneurosen“ und „Phobien“ mit sich herumtragen.
    Ein solcher Effekt ist Dank unserer modernen Medienwelt sicherlich nicht auszuschließen.

    Aber:
    Aus Betroffenensicht kann ich Ihnen versichern, dass es sehr viele Menschen gibt, die tatsächlich an Lebensmittelunverträglichkeiten und/oder Allergien leiden.
    Die Art, wie diese Menschen hier dargestellt werden (und das ist leider nicht nur in Ihrem Artikel der Fall) ist für jeden Betroffenen ein Schlag ins Gesicht.

    Sie, und alle Menschen, die so reagieren, haben offenbar keine Ahnung, wie die Realität aussieht, wenn Sie laktoseintolerant sind oder kein Gluten vertragen. „Mal eben etwas essen gehen“ können Sie aus Ihrem Leben streichen, wenn sie sich an gewisse Regeln bei den Lebensmitteln, die Sie vertragen, halten müssen.

    Vielleicht empfinden Sie und viele andere Menschen solche Themen als nervig und anstrengend.
    Seien Sie glücklich und froh, wenn Sie an keinen Allergien und/oder Unverträglichkeiten leiden, denn es ist kein Vergnügen, wenn sie versehentlich in einem Restaurant etwas konsumieren, dass Ihnen nicht bekommt und Sie den Rest des Abends auf dem stillen Örtchen des Gastronoms verbringen.

    Viele Grüße
    Laura C.

    • jaqueline |

      oh, gluten & laktose: da kann ich Laura C nur zustimmen!

      ha, anstatt die gastro froh ist, dass diese personen überhaupt noch in ein restaurant zum essen gehn – ich persönliche koch alles zu hause und mich sieht die gastro schon seit jahren nicht mehr… ich meide es auswärts zu essen! bin ja gespannt wenn alle so denken würden die eine unverträglichkeit oder allergie haben… dann wirds in zukunft bald gar keine gäst mehr geben – denn die unverträglichkeiten nehmen immer mehr zu.

      na dann, mahlzeit…man sollte sich überlegen warum das eigentlich so weit gekommen ist – der mensch an sich ist eigentlich ein „wunderwerk der natur“ der die lebensnotwendigkeit „essen“ bald nicht mehr verträgt…

      • Julia - einfach-laktosefrei-leben.de |

        Ich kann mich Laura und Jaqueline nur anschließen. Die einzig wirkliche Angst, die ich habe, ist, auswärts essen zu gehen und Laura auf dem stillen Örtchen für mehrere Stunden Gesellschaft leisten zu müssen. Stellen Sie sich doch mal vor, wie das ist: Sie könnten nirgendwo essen gehen, da Sie sich nicht darauf verlassen können, dass Sie mit ihren „Phobien“ ernst genommen werden und es Ihnen danach noch tagelang schlecht geht, nur weil der Koch dachte, dass bisschen Butter könne ja nicht schaden. Ich gehe mittlerweile auch kaum noch auswärts essen und empfinde das als großen Verlust in meiner Lebensqualität. Haben Sie es schon mal aus dieser Sicht gesehen?

  4. Charles Milton Ling |

    Bevor ich mich wundere, glaube ich’s lieber nicht. (Roda Roda)

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