BASLER KUNST

Frau HoffmannWenn wir gegenüber der Schweiz ein Vorurteil besitzen und es ungeniert zum Ausdruck bringen – und wer wären wir, wenn wir keine Vorurteile gegenüber den Vereinigten Steuerparadiesen zum Ausdruck bringen würden – dann ist es die irrige Vorstellung davon, dass die Schweiz von hohen Bergen umgeben ist. In Wirklichkeit ist es ein Land der tiefen Täler, was jeder nachprüfen kann, der, mit welchen Hilfsmitteln auch immer, einen einigermaßen sicheren Punkt in 2000 Meter Höhe erreicht hat und nach unten schaut. Dieser mutige Mensch wird nicht anders können, als meine Beobachtung der tiefen Täler zu bestätigen.

Ein zweites Vorurteil besteht darin, dass wir nach dem Über­schreiten der Schweizer Grenze permanent glauben, nun sei alles teurer als im deutschen Heimatland.

Manches ist gewiss nicht billig in den Kantonen über den Tälern, und vieles ist tatsächlich teurer als bei uns. Es muss teurer sein, weil sich sonst nicht so viele Eidgenossen in der deutschen, grenznahen Gastronomie drängelten, um die Wonnen des billigen Lebens bei unseren Wirten zu genießen. Da diese Behauptung kein Vorurteil ist, sondern an Ort und Stelle zu überprüfen, habe ich mich ein wenig in der grenznahen Gastronomie umgesehen.

Da ich die deutschen Wirte fast alle kenne, bin ich ins nächste Schweizer Tal gefahren, in die Stadt Basel, und habe mich in ein überfülltes Restaurant gedrängt. Wieso es so voll war, kann ich nicht erklären; denn weder war das Essen billig noch war es gut.

Das Ambiente war hübsch, was eine Schweizer Spezialität zu sein scheint. Wie die Pralinen von Sprüngli und die „Welt­woche“ von Blocher. Aber das darf man in Basel nicht laut sagen, denn dabei handelt es sich um Zürcher Produkte, und wie es sich für benachbarte Großstädte gehört, machen sich Basel und Zürich gegenseitig Konkurrenz.

Das beliebte Restaurant in Basel, von dem hier die Rede ist, heißt „Restaurant Kunsthalle“, was darauf hinweist, dass es sich in der berühmten Basler Kunsthalle befindet. Die wiederum ist über die Grenzen des Rheintals hinaus bekannt, weil sie renommierte Kunstwerke von Hodler, Böcklin und Rodin besitzt. (Und noch ein paar andere, deren Nennung aber nur vom kulinarischen Teil meines Berichts ablenken.)

Das Restaurant ist zweigeteilt. Direkt hinter der Eingangstür erstreckt sich ein großer, fast antiker Raum, mit dunklem Holz getäfelt und eindrucksvollen Fresken oberhalb der Täfelung geschmückt. Wäre Basel damals, als Maler diese Kunstwerke schufen, nicht puritanisch gewesen, man könnte das Gewusel der Halbnackten für ein oberrheinisches Pompeji halten. Überdies ist der Raum vorzüglich geeignet, der Zürcher „Kronenhalle“ Konkurrenz zu machen. Denn nicht nur sitzt man hier in eine Art Bierkeller an Holztischen und könnte glauben, in eine Generalversammlung von Basels Großbürgern gelandet zu sein. Diese Vermutung wird zur Gewissheit durch den zweiten Raum, ein zum ersten parallel laufender schmaler Saal mit einer großen Fensterfront, der vom Nuditäten-Kel­ler durch offene Halbbögen mehr verbunden als getrennt ist. Von dort sehen die Gäste keine spätbarocke Genre-Malerei sondern, durch die Fenster, einen lustigen Brunnen von Tinguely oder, an den Nebentischen, die Gesichter der Honoratioren.

Noch einen Unterschied gibt es: Hinter der Fensterfront sind die Tische professionell eingedeckt, und es kümmern sich drei Kellner um die Standespersonen, was eine lausige Spar­maßnahme ist, da die drei für den Service längst nicht ausreichen. Aber das merkt der Gast erst nach und nach. Noch freut er sich, wie ich, dort zu sitzen, wo alle sitzen, die in Basel Konten und Bürgerrecht besitzen.

Ich will jetzt nicht wieder auf dem Thema ‚teure Schweiz und billiges Deutschland‘ herumreiten. Für die hier Anwesenden spielt das ohnehin keine Rolle. Ihretwegen stehen sogar Nudeln mit weißen Trüffeln auf der Speisekarte. Barbara spielte ihre Rolle als schlanke Hausfrau, indem sie einen Salat bestellte, einen dieser bunten Sträuße, deren disparaten Einzelteile von der Farbenblindheit der Köche und ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Kochkunst zeugen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Sie werden weltweit von schlanken Damen hinuntergewürgt, welche hoffen, die Begegnung mit den nichtssagenden Kalorien werde keine Spuren hinterlassen.

Ich hatte wie die dritte Tischgenossin ein halbes Dutzend Austern bestellt. Sie wurden lauwarm serviert, was mich nicht störte. Esse ich Austern an der Atlantikküste, sind sie auch nicht eisgekühlt und schme­cken trotzdem gut. Hier gab es leider ein paar Probleme. Erstens wurden sie ohne eine Austergabel serviert. Ich führte es auf die Personalknappheit zurück und machte den Kellner darauf aufmerksam, der sich keineswegs wie Vatel in sein Schwert stürzte, sondern mir eine Gabel brachte, welche für den Verzehr eines Pflaumenkuchens bestens geeignet gewesen wäre. Meine Verwunderung beantwortete er sinngemäß, dass sie keine passenden Gabeln hätten. Im Verlauf der Vorspeise stellte sich heraus, dass in der Küche auch andere Dinge nicht vorhanden waren. Zum Beispiel ein gescheiter Austernöffner. Einer der Weißbemützten musste sie mit der Axt geöffnet haben, denn sie enthielten mehr Schalensplitter als eine Schweizeruhr Diamanten.

Auf diese undelikate Schluck-und-Spuck-Nummer folgte dann der Absturz auf den Ravioli-Friedhof. Als gäbe es in der Schweiz nicht unzählige Köche aus dem Tessin und Italien, die eine ganz präzise Vorstellung von einem Ravioli haben und ihn auch herstellen können, war das, was jetzt auf dem Teller erschien, ein Trupp grauer Mäuse im Tarnanzug, welche hofften, auf Grund ihres Aussehens und des üblen Geschmacks alle Fressfeinde abzuschrecken und so das Mittagessen zu überleben. Es gelang ihnen auch, nicht zuletzt, weil man ihnen noch Rosenkohl zur Seite gegeben hatte. Deretwegen und weil sie eigentlich nicht auf einer anspruchsvollen Speisekarte (weiße Trüffel!) erscheinen dürften, wurden sie Barbara auch nicht berechnet. Ein Schicksal, das auch meiner gegrillten Pulpe gut gestanden hätte. Denn auch auf meinem Teller sah es aus, als wäre ein arabischer Terrorist in seinem Auto von einer Drohne exekutiert worden. Wohlbemerkt: bevor ich zu Messer und Gabel griff!

Der Abschluss brachte dann keinen Waffenstillstand, sondern eine Ile flottante (Schneeei), die bereits einen Winter hinter sich haben musste, so hart war die den Eierschnee umgebenden Schutzschicht geworden.

Unsere Mitesserin, die das alles miterlebte, hatte wie ich Austernschalen gespuckt, dann aber eine Seezunge bekommen, an der es nichts zu meckern gab, wenn man davon absieht, dass der Spinat lieblos zubereitet und die Kartoffeln halbroh waren.

Die auf dem Höhepunkt des Mittagessens äußerst animierten Großbürger der Stadt Basel bewiesen die gleiche Disziplin wie die Gäste der Zürcher Kronenhalle. Es hatte ihnen geschmeckt, und sie waren laut und glücklich.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Martin I. |

    Was für ein köstlicher Verriss, ich habe laut gelacht! Super, Herr Siebeck. Ich würde mir wünschen, Sie würden viel mehr bloggen, manchmal ist hier viel zu lang nichts los!

  2. Jürgen |

    Auch als Bewohner von Lörrach geht man manchmal nach Basel zum Mittagessen, aber doch nicht in die Kunsthalle!! (Die war mal gut!). Versuchen Sie mal Hotel Krafft -gediegen- oder Rubino, nett, aber etwas eng.

  3. HG |

    Aber Sie sind doch nicht etwas wegen des Essens in die Kunsthalle gegangen? Die wollten doch sicherlich nur sehen und gesehen werden. Zum Essen hat Basel wesentlich Besseres zu bieten.

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