50 JAHRE DUSEL

Frau HoffmannNein, gefeiert haben wir noch nicht. Es ist nämlich nicht so leicht, mehr als ein Dutzend Deutsch sprechende Franzosen und frankophile Deutsche zusammen zu bringen, von denen einige kochen können und allesamt verfressene Feinschmecker sind. Auch wenn das zu feiernde Ereignis der deutsch-fran­zösische Elysee-Vertrag ist, der gestern vor 50 Jahren unterzeichnet wurde.

Aber wir werden es bald nachholen. Diese Feier darf man nicht den Berlinern überlassen! Ein deutsches Festmahl, für das sie nicht einmal einen prächtigen Saal haben, weil sich Prächtigkeit und Berlin gegenseitig ausschließen, sollte nicht den Wert der deutsch-französischen Freundschaft symbolisieren dürfen, wo sie es nicht einmal zu einer blau-weiß-roten Feier auf ihrer notorischen Partymeile schaffen.

Bezeichnenderweise war am Morgen des zu feiernden Tages noch nicht bekannt, welcher Küchenchef für das Festessen verantwortlich sein würde. Nicht dass die Veranstalter den Namen unbedingt geheim halten wollten; es war ihnen wohl nicht wichtig. Wahrscheinlich gab es Gurkengemüse und Müritz-Lamm.

Dazu muss man sich die öffentliche Klage eines unserer Hinterbänkler über das Französische Hotelfrühstück anhören, die er anlässlich der Feierstunde im Reichstag losgelassen hat. Die Vorstellung, was die Franzosen in Paris aufgetischt hätten, um unsere Politiker standesgemäß zu verkös­tigen, soll hier nicht im Detail erörtert werden.

Ich weiß ja auch nicht einmal, was die Typen, die hier auf der Burg feiern wollen, auspacken, präparieren, würzen, entkorken und in meinen Ofen schieben werden. Den Bericht darüber liefere ich später.

Der Anlass für die Gedenkfeier ist aber für mich wichtig genug, um ihr schon heute ein paar längere Zeilen zu widmen. Denn was die französisch-deutsche Freundschaft angeht, so besteht sie bei mir nicht erst seit 50 Jahren, sondern viel länger.

Ich muss damals 8 Jahre alt gewesen sein, als ich im elterlichen Bücherschrank neben solchem Schrott wie „Mein Kampf“ (den in der Familie niemand zu Ende gelesen hatte, der je in Hitlers eiserner Fraktur blätterte), eine vielbändige Ausgabe von Alexandre Dumas entdeckte. Sie hatte die gleiche Wirkung wie die historischen Romane Walter Scotts auf junge Leser haben können: sie werden unrettbar anglophil. Bei mir waren es die Drei Musketiere, der Graf von Monte Christo, Die beiden Dianen und all die anderen schaurig-schö­nen Romane aus dem Umkreis der französischen Geschichte, die mich bald zu Balzac führten, zu Proust (nicht so bald, zugegeben), Queneau, Camus und irgendwann auch zu den Beschreibungen französischer Mahlzeiten.

So führte meine erste Auslandsreise an die Côte-d’Azur, obwohl ich die Gefangenschaft des Grafen von Monte Christo im Château d’If bereits bei der zweiten Lektüre überschlagen hatte, so sehr ging mir das Kerkerdasein des armen Edmond Dantès aufs Gemüt. Die reale Begegnung mit dem Midi war ein ähnlicher Markstein in meinem Leben wie die Lektüre Dumas‘. Ich kehrte immer wieder zurück und kaufte mir schließlich ein Landhaus in der Provence.

Dabei war ich bei meinen ersten Reisen überhaupt noch nicht an so etwas wie die Gourmandise interessiert. Ich wuss­te nicht einmal, was das war. Die erste Gänseleberpastete aß ich wahrscheinlich erst fünfzehn Jahre später, in den sechziger Jahren. Als junger Kunststudent faszinierten mich zunächst Pariser Kinos mit ihren aufregenden Programmen und die entsprechende Büchereien. Auch war ich einer der 3000 Besucher, die anlässlich der Ausstellung Yves Kleins bei Iris Clert mehrere Straßen des 6. Arrondissements blockierten; ich besuchte mit Max Ernst eine Ausstellung seiner Bilder im Le Point Kardinal und fand meine Freunde in der Bohème des rive gauche, wo die Feinschme­ckerei nie ein Thema war.

Weil mir die historischen Ereignisse die Bildungsphase in meinem Lebenslauf gründlich verdorben hatten (nicht nur mir, sondern allen fünf Jahrgängen vor mir), indem sie uns beibrachten, wie man einen Karabiner auseinander nimmt, als eigentlich Goethe und die Romantiker auf dem Stundenplan standen, waren meine Französischkenntnisse praktisch nicht existent.

Doch bald bemerkte ich, dass ich französische Speisekarten überraschend gut lesen konnte. Diese sonderbare Begabung hatte natürlich einen Grund und bewog mich, diese Fähigkeit nutzbringend zu verfolgen.

(Mehr über meinen Anteil an der deutsch-französischen Freundschaft beim nächsten Mal.)

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