1. KLASSE NACH BOSTON

Es ist wie im Märchen. Da reitet man tagelang durch eine endlose Wüste, nichts als gelber Sand. Und auf einmal taucht völlig unerwartet eine goldene Stadt am Horizont auf, komplett mit Kirche, Moschee, Schloss, Markthalle, Schänke und Rathaus. Man reibt sich verwundert die Augen; aber greifbar liegt er vor mir – der Europa Park.

Ich will auf keinen Fall behaupten, das Land am Oberrhein sei eine Wüste. Es gibt dort alles auch, die Kirchen, Moscheen, Schänken und Rathäuser, jede Menge.

Der Europa Park ist ein künstliches Gebilde, ohne Tradition und Geschichte, einzig aus der Inspiration eines einfallsreichen Unternehmers geboren, wirkt er wie eine Fata Morgana. Doch je länger man sich in ihr aufhält, um so realer scheint sie.

Ein verflixtes Phänomen. Da ist man jahrelang um dieses Phänomen herumgeritten, weil man Fata Morganas nicht traut, vor allem, wenn sie als Objekt der Volksbelustigung sehr, um nicht zu sagen ungeheuer populär sind.

Wie ungeheuer die Beliebtheit des Europa Parks gewachsen ist im Laufe der Zeit, erkennt man daran, dass man die Straßen der näheren Umgebung nicht wiedererkennt. Sie haben amerikanische Dimensionen angenommen, sind ampelgeregelt (clever), erdbebensicher (wahrscheinlich), und lassen die A5, die man soeben bei Rust verlassen hat, als armselige Baustelle erscheinen(was sie tatsächlich ist).

Und schon fährt man am Collosseum vorbei. Dann taucht neben einem die phantastische Achterbahn aus Holz auf, die eher ein Kunstwerk ist als eine Maschine zur Sichtbarmachung des eigenen Mageninhalts. Die Goldene Stadt liegt vor einem.

Um den saftigen Eintrittspreis und den Anblick jauchzender Familien zu umgehen, folge ich dem Schild HOTEL BELL ROCK, fahre vor und fühle mich nach Massachusetts versetzt. Beinahe hätte ich einen rotweißen Leuchtturm gerammt, was diesem weniger geschadet hätte als meinem alten Töff-töff. Denn wie alles auf dem Boden des Europa Parks ist das Hotel solide gebaut, Unmöglich, dass die Erlebnis-Immobilie des Roland Mack bei einem Hurrikan weggefegt werden könnte wie die Häuser im Nordosten der USA, nach deren Vorbild das Bell Rock gebaut wurde.

Herr Mack ist so etwas wie ‚The Donald‘ Trump für den Ort Rust. Er hat ihn vom Armenhaus am Rhein zur Wohlstandsoase entwickelt und hört mit dem Entwickeln einfach nicht auf. Ein Beispiel, wie man auch in Krisenzeiten Wachstum und Wohlstand fördern kann. Man muss nur die Bedürfnisse der Mainstream genannten Masse kennen.

Während ich in der Hotelhalle an den Portraits amerikanischer Präsidenten entlang gehe, überlege ich, ob er auch meine Bedürfnisse kennt.

Angesichts der ausgestellten Schiffsmodelle und der Fischfang Utensilien, kommen sie mir automatisch zum Bewusstsein.

Hummer, denke ich (oder im Dialekt der Indianer – den ich nicht schlechter beherrsche als Old Shatterhand – auch Maine lobster genannt), oder Languste oder Clam showder. Nach gründlicher Befragung meiner Appetit-Apps streiche ich den Chowder aber wieder von der Liste, weil ich mich daran erinnere, dass die dicke Muschelsuppe immer enttäuschend schmeckte, sofern von Geschmack überhaupt die Rede sein konnte.

Beim Studium aushängender Speisekarten fallen mir weitere Spezialitäten der Nordatlantik-Küche auf, und ich frage mich, ob ein Restaurant derart spezialisiert sein darf, wenn es Gäste aus aller Welt bedienen will. Die zunehmende Zahl der Milch-nicht-vertragenden-Esser, der Veganer und Leuten, denen von allem schlecht wird, was nicht dreimal um den Petersplatz getragen wurde, sollte zu denken geben. Gerade noch rechtzeitig rieche ich den von einem Barbecue herüber wehenden Brandgeruch und weiß, dass auch besuchende Karnivoren in New England nicht Not leiden müssen.

Sowieso gibt es Sea Food nur in dieser riesigen ‚À la carte‘ genannten Brasserie, während ich von freundlichen Pfadfindern in polierten, schwarzen Schuhen (Blackfoot Indians?) in die Gourmet-Abteilung entführt werde. Dort gibt es weniger als 40 Plätze. Das entspricht ungefähr den Platzverhältnissen in der 1. Klasse eines Fliegers nach Boston. Nur dass sie hier im Bell Rock Hotel des Europa Parks unendlich angenehmer sind, komfortmäßig und kulinarisch. (2. Teil folgt.)

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