HERBSTWIND

Wie der Herbstwind die Blätter von den Bäumen schüttelt, so entledigt sich der Autor zur gleichen Zeit der Früchte seines Fleißes. Das heißt, er schickt ein Buch auf den Markt. Ich mache da keine Ausnahme. Der ALLPART MEDIA Verlag hat mein bescheidenes Wissen über Wein aufgefrischt, 125 Buchseiten damit bedruckt und das Ganze unter dem Titel „Über Wein“ in die Schaufenster gestellt.

Als einer der ersten hat es der „Weser Kurier“ entdeckt und entkorkt. Er fand den Inhalt trinkbar, hat ihm gut geschmeckt. Aber das Etikett!

Darauf sieht man mich sitzen, friedlich und zufrieden, wie Autoren auf dem Umschlag ihrer Bücher zu sitzen pflegen. Meine menschenfreundliche Mimik ist auf die halbgeleerte Flasche zurückzuführen, die vor mir steht. Aber nicht das Portrait eines alten Säufers moniert der Weser Kurier (zum Schutze unserer komasaufenden Jugend), sondern das jugendliche Alter des abgebildeten Autors, von dem jeder halbwegs gebildete Zeitungsleser weiß, dass er in Wirklichkeit die Achtzig längst überschritten hat.

Ich geb’s ja zu: so frisch und so fröhlich gucke ich nur noch sehr selten aus der Wäsche. Und dann ist nie ein Paparazzo in der Nähe. Als mich neulich ein Enkel vor sein Handy zwang, knipste er ein Foto, als wäre es vor hundert Jahren von Max Brod gemacht worden: Franz Kafka im Sanatorium, drei Tage vor seinem Tod. Außerdem sitze ich darauf nicht hinter einer Weinflasche, sondern vor dem Bildschirm beim Anblick unserer Kanzlerin.

 

Und überhaupt, Weser Kurier, habt ihr schon mal ein Buch über Marlene Dietrich gesehen? Klar habt ihr, jeder hat. Und? Wie sah sie aus? Blühend, hinreißend und elegant sah sie aus, nicht wahr? Obwohl der Verlag gewusst hat, dass sie tot ist und keineswegs mehr hinreißend elegant aussehen konnte, als er das Buch druckte. Oder Grünewald. Was sieht man auf dem Titel eines Bandes über Grünewald? Den Schmerzensmann sieht man, furchtbar zugerichtet, mit einer Hautfarbe, die alles andere als gesund ist, obwohl der Ärmste damals erst 33 Jahre alt war!

So etwas wollte mein Verlag auf keinen Fall. Also bildete er die Realität ab, wie sie sich im Moment der Aufnahme darstellte: Wein, château baruel,1989; Glas Riedel ; Hemd Van Laak; Uhr Raymond Weil, Genf; Socken keine; Ladenverkaufspreis (Buch): 9,95 €.

 

 

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Klaus-Peter Hammer |

    Herr Siebeck,

    Sie sind einfach klasse !- selten bei Ihren Texten in letzter Zeit so geschmunzelt.

  2. Ulla |

    Mir ging es genauso! Schön, dass Sie über sich so schön fabulieren können.

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