ZWEI SELBSTDARSTELLUNGEN

Es ist schon mehrere Jahre her, dass die Vorschlussrunde der ZEIT-Kochwettbewerbe bei mir in der Burgküche ausgetra­gen wurde. In dem Jahr, als es um „Schokolade-im-Essen“ ging, hüpften zwei glückstrahlende Studentinnen aus Bremen über die Zugbrücke hinunter ins Tal, um ihren Tagessieg zu feiern. Sie hatten mich und die anderen Juroren mit ihrer Schokoladensauce überzeugt (mit der sie auch zum Abschluss in Berlin die Walstatt als Siegerinnen verließen.) Ich hatte keine Mühe, beim Zuschauen zu erkennen, dass Anneli Käsmayr die Aktivere der beiden Hübschen war; die (damals) riskante Kombination von Fleisch und Schokolade war zweifellos ihre Idee.

Jetzt bekam ich mit der Post ein Buch, für das sie verantwortlich war: „Über die (Un)Möglichkeit ein Restaurant als Kunst zu betreiben“ (Dilettantin Produktionsbüro). Dem Band, dessen sämtliche Texte auch ins Englische übersetzt sind, sieht man sofort an, dass es keine den Appetit fördernde Kneipensaga ist. Stattdessen handelt es sich um einen intellektuellen Nachruf auf das Bremer Szene-Restaurant „dreijahre“, das die damalige Hobbyköchin für sechsunddreißig Monate gegründet hatte. Es sollte ein Kunstwerk sein, dem man diese Aufgabe aber nicht ansah und, sollte, vermute ich, auch nicht so schmecken. Also Nichtkunst als Kunst. Auf 190 rosa Seiten wird von ehemaligen Stammgästen und Kunstsympathisanten die bedeutungsschwere Frage, was Kunst sei, noch einmal so richtig durchgerührt , wozu natürlich Beuys zitiert wird („Alles ist Kunst“) und Benjamin ebenso wie Heidegger, während die gesamte konstruktivistische russische Avantgarde der zwanziger Jahre als Zeuge herhalten muss.

Nur wie es möglich ist, in Bremen ein Szene-Restaurant drei Jahre zu betreiben, in dem die Kunst offenbar wichtiger war als der Stil der gekochten Speisen, das wird von keiner der diskutierenden Damen auch nur mit einem Wort erklärt.

In Berlin mit seinen Free style Installationen um einen Herd und zwanzig Stühle, wo jede Stullenbörse den Anspruch erhebt Kunst zu sein, wäre das alles kein Problem. Berlin ist nun mal Berlin.

Um aber in Sachsen, genauer: in Leipzig, mit der Überzeugung, die Kochkunst in ihrer höchsten Vollendung zu repräsentieren, an die Öffentlichkeit zu treten, bedarf es mehr als einer wohlwollenden Gruppe von unternehmungslustigen Freundinnen.

Die Rede ist hier von Peter Maria Schnurr, dem Küchen­chef des „Falco“ in der 27. Etage des Hotels The Westin in Leipzig.

Zuerst: Ich war nie dort, weil das Falco oft geschlossen hat, vor allem mittags, wodurch es für mich ziemlich außer Reichweite rückt. Aber dieser Schnurr hat ein Kochbuch herausgegeben, das mir zugeschickt wurde. Es hat die Ausmaße und das Gewicht der Steine, mit denen die alten Ägypter ihre Pyramiden zusammen gebaut haben. Eindrucksvoll.

Beim Durchblättern verstärkte sich dieser Eindruck zu dem Resümee: Überwältigend. Wie dort die Speisen angerichtet sind, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Das Essen im Falco ist Design pur. So könnte die Werbebroschüre für den Lamborghini der Zukunft aussehen: ungeheuer extravagant, edel und schick und teuer. Unfassbar, dass das auch noch essbar sein soll. Unvorstellbar, wie viel Handarbeit nötig war, um die seltsamen Gebilde herzustellen. Und rätselhaft, wie das schmecken könnte, wenn man diese Preziosen in den Mund steckt.

Mit anderen Worten: ein Buch wie ein Donnerhall. Es trägt den prätentiösen Titel „cuisine passion légère“, und prätentiös geht es auf jeder der Hochglanzseiten zu. Nicht nur im Bild; auch die markigen Worte des Cuisiniers orientieren sich am donnernden Pathos, das in Sachsen zur Folklore gehört wie das Dröge in Meckpomm. Normalerweise würde man so einen Menschen als überheblich bezeichnen. Wenn er aber einlöst, was seine abgebildeten Kreationen versprechen, dann darf er es sein, weil er ein Künstler ist.

Und wenn er das ist, dann wird er zu seinen 2 Michelinsternen bald noch einen dritten bekommen.

Alles hängt ab von dem, was beim Essen die Hauptsache ist: der Geschmack. Der war immer das Kriterium für die Größe eines Küchenchefs. Ob der Südfranzose Escoffier seine Mehlsaucen mit kräftigen Aromen aufpeppte, ob Fernand Point die Größe seiner Butterbeigaben benutzte, um Aufsehen zu erregen, oder Ferran Adriâ seiner Molekularküche auf Teufel-komm-raus mit unseren Geschmacksgewohnheiten kompatibel machte – ohne die Zustimmung der Gäste wird keine kulinarische Avant­­­gar­de erfolgreich sein. Und die stellt sich erst nach den Bildern ein, nach der dekorativen Ouvertüre, wenn der Mund sich zum ersten Mal über der bunten Pracht schließt. Dann ist die Sekunde der Wahrheit gekommen: War die Dekoration bereits der genussvolle Höhepunkt, oder kommt er jetzt? Signalisieren alle Sinne Seligkeit, oder haben die Augen die Zunge belogen?

Was Peter Maria Schnurr mit seinem Buch dem Leser zumutet, ist trotz gelegentlichem kleinteiligen Gekrümel

und der beliebten Tupfer aus der Spritztüte nichts anderes als ein 640 Seiten starkes Versprechen höchster Meisterschaft.

(Matthaeus Verlag, 139,- EURO)

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