GO EAST, OLD MAN

Warum schon wieder nach Leipzig?, fragten Freunde ver­­ständnislos, du warst doch erst kürzlich drüben?

Was soll ich darauf antworten? Dass ‚drüben‘ eine Be­zeichnung für unsere Ostprovinzen sei, die verdächtig nahe bei dem Wort ‚Zone‘ angesiedelt ist? Ich war in Dresden, das ist wahr. Ist zwar auch wieder einige Wochen her; war jedoch sehr schön. Ja, sogar gut gegessen haben wir in Sachsen. Es war anlässlich einer Recherche über die Herrschaftsküche am Hof von Dresden. Dort gab es um die vorletzte Jahrhundertwende sogar einen König. (Der, als er 1918 seinen Job verlor, sich von seinem republikanisch gewordenen Volk mit den majestätischen Worten verabschiedete: „Dann macht doch euren Dreck alleene!“)

Das Ergebnis meiner Recherchen wird im Herbst als Buch herauskommen. Darin wird viel von der Dresdner Hofküche die Rede sein, von modernen sächsischen Köchen und ihren Kreationen, aber kein Wort von der „Toten Oma“, dem Lieblingsessen der Sachsen, vor dem mich die Freunde gewarnt hatten. Dabei handelt es sich um Blutwurst mit Linsen, die zu vermeiden dem heutigen Touristen nicht schwer fallen sollte.

Er muss dafür nicht einmal im Leipziger Hotel Fürstenhof wohnen wie ich jetzt (meine Schwäche fürs beste Haus am Platz ist bekannt), aber ein Menü in den antik-elegan­ten Räumen des „Villers“ genannten Restaurants ist stets ein Genuss. Dass das Essen unter der hohen Decke auf ebenfalls hohem Niveau angesiedelt ist, signalisiert schon die versiegelte Speisekarte. Sie enthält ein regionales und ein internationales Degustationsmenü, doch beide unterscheiden sich nur wenig. Denn was Küchenchef Till Weiß auftischen lässt, ist allemal wohl gelungen; übertrieben fand ich lediglich, dass bei allen Gerichten eine gewisse Süße zu schmecken – oder doch wenigstens zu ahnen – war. Zwar galt der pochierte Seeteufel im Safran-Chicoree mit Ingwer, grünem Apfel und Chiliöl nur als Vorspeise, wie übrigens auch die Entenstopfleber mit Räucheraalcroustillant und Cassisfeigen, aber sie wurden von keinem Hauptgericht übertroffen.

Vor dem Abend-Restaurant existiert noch eine rustikale Stube, ein als „Vinothek 1770“ bezeichneter Imbiss, wo man durch­gehend schlichter essen kann, ohne auf den angenehmen Service des Luxushotels verzichten zu müssen.

Was man an dieser feudalen Adresse am Tröndlinring vermisst, ist hingegen ein direkter Zugang zur Innenstadt. Der ist vorübergehend durch eine aberwitzige Bau­stelle gesperrt, deren Anlage die Anwesenheit von Fußgängern nicht vorsieht. Trotzdem landet jeder Besucher irgendwann bei der Thomaskirche, der Wirkungsstätte des Johann Sebastian Bach, der dort dem Thomanerchor das Singen beibrachte, und auch sonst die Geschichte der abendländischen Musik erheblich mit gestaltete.

Nur noch so viel zum Leben der Künstler: Im Jahr 1730 versuchte Bach vergeblich, eine gleichwertige Stelle in Dresden zu bekommen, weil ihm die Bezahlung in Leipzig zu knickerig erschien, und er die Wertschätzung seines Schaffens durch den Leipziger Stadtrat als zu gering ein­­­­­­­­schätzte. Seitdem sind fast 300 Jahre vergangen, aber dieselbe Melodie pfeifen heute noch die Stadtpfeifer von den Dächern.

Um noch ein Wort zum Leben der sächsischen Küchenchefs zu sagen, deretwegen ich die Schönheit ihrer Städ­te und Landschaften im Sommer erleben konnte, so ist anzumerken, dass vielen von ihnen der Überblick über die moderne Küche unserer Tage fehlt. Sie sind einfach nicht weggekommen aus ihrer Heimat. Die Sitte der Handwerksburschen des Mittelalters, die von Meister zu Meister zogen, um ihr Handwerk zu lernen und zum Kunsthandwerk zu verbessern und, wer weiß, eines Tages als Künstler zu gelten, diesen alten Brauch haben sie nicht wiederbelebt.

Anders als ihre Kollegen aus dem Westen, die lernbegierig und ohne Hemmungen bei Meistern wie Bocuse, Haeberlin, Witzigmann und Wohlfahrt eine Stage absolvierten, aber auch nicht zögerten, ihre Erfahrungen auf hoher See oder bei einem Praktikum in Spanien, Südafrika und Australien zu erweitern. Ich habe im schönen Elbtal zu viele Patrioten getroffen, die ihren Kiez nie verlassen haben und deshalb nur so kochen gelernt haben, wie in Sachsen von ehrgeizigen Kollegen schon immer gekocht wurde, plus der Kollateralgewinne, welche die gesellschaftliche Wende mit sich brachte.

Natürlich wird sich die darin ausdrückende Scheu vor dem Ungewohnten abschleifen. Vielversprechende Anzeichen dafür habe ich in großer Zahl in den Sommerwochen gefunden. Sogar einen Mann, der das Zeug zum Superkoch hat.

Allerdings keine Antwort auf die Frage, warum die FAZ als einzige Zeitung der westlichen Welt den Namen Lu­kaschenko am Ende mit einem ‚a‘ schreibt.

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. duni |

    Ich denke, die Faz schreibt den namen des weissrussischen Diktators deswegen mit -a, weil sein Name auf weissrussisch mit -a geschrieben wird. Die andren Medien bevorzugen die russische Variante mit -o.
    Zum Vergleich: Auf weissrussisch: Лукашэнка , geschrieben in kyrillisch, das -a ist deutlich zu erkennen. Der gleiche Name in russischer Sprache: Лукашенко , jetzt mit -o.

    Da das Weissrussische eine eigene slawische ( wie wohl sehr nahe mit dem Russischen verwandte) Sprache ist, gibt es wohl Leute, die auf diese Unterschiede wert legen. dazu scheinen die jungs von der Faz zu gehören.

  2. Kati Wetzel |

    Ja, dem kann ich zustimmen, die großen Köche, Küchenchefs, Küchenmeister aus dem Osten gebürtig machen ihre Sache zwar vortrefflich, aber sie waren nie unterwegs, um fremde Küchen, anderes Handwerk kennen zu lernen. Das ist zum Einen sicher daher begründet, dass sie nach der Wende schon „zu alt“ waren, um sich auf den Weg zu machen. Und mit dem Hintergrund Familie ist das schon recht schwierig.
    Ich bin seit 5 Jahren als Mietkoch unterwegs. Dies ist mir nur möglich, weil meine Kinder erwachsen und ich ungebunden bin. Aber ich finde es spannend und bin neugierig genug, verschiedene Küchen, andere Koch- und Essgewohnheiten kennen zu lernen und zu probieren. Ich bin zwar schon 48, aber ich hoffe, ich erfahre noch viel Neues und bin noch lange fit, an dieser Arbeit Spass zu haben.
    (Im März diesen Jahres arbeitete ich übrigens mehrere Wochen in Pfungstadt in der Villa Büchner, die nun ein oesterreichisches Restaurant, die „Strud`l Stub`n“ beherbergt. Von Ihrem Restaurant „Kirchmühle“ , Herr Siebeck, schwärmte letztens erst ein Gast aus FF/M, den ich in Meissen traf).

    Beste Grüße
    Kati Wetzel aus dem schönen Dresden 🙂

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