DAS NORDLICHT UND SEIN SCHATTEN

Im Gourmet-Magazin DER FEINSCHMECKER kommen zwei dänische Kollegen zu Wort, die Bemerkenswertes zum Thema Noma zu sagen haben. Zur Erinnerung: Das Noma in Kopenhagen gilt seit zwei Jahren in einer Massenumfrage als bestes Restaurant der Welt. Seine Spezialität ist die rigorose Beschränkung auf einheimische Produkte, also Moos statt Artischocken, Elch statt Maispoularde, Kabeljau statt Pulpo.

Die Kollegin, die dort zu Wort kommt, sieht in genau dieser Beschränkung eine Gefahr. Patriotismus im Kochtopf ist für sie der erste Schritt zum Chauvinismus und führt – die Vorkommnisse auf europäischen Straßen sind eine Warnung – verstärkt zu rechtsradikalen Aktivitäten.

Dies Gefühl ist mir nicht unbekannt. Auch wir hatten einmal eine patriotisch-chauvinistische Küche. Versinnbildlicht durch die Erbsensuppe aus der Gulaschkanone. Sie symbolisierte zuerst und vor allem den deutschen Wehrgedanken und verherrlichte die Volksgemeinschaft. Das Kulinarische der armseligen Suppe kam danach kaum zur Geltung.

Das hört sich an wie Kabarett: Dänen, esst Rentierschinken!, oder: Ein echter Deutscher isst nur deutsche Leberwurst!

Tatsächlich hält der dänische Kollege die Nordische Küche für puren Protestantismus. Ein dänischer Pastor wird zitiert: „Ausschweifungen beim Essen sind dem Protestanten ebenso fremd wie reich geschmückte Kirchen.“

„Die Gerichte sind minimalistisch….und ihrem Wesen nach das von der Natur selbst Hervorgebrachte.“ Zwar beklagt der Kollege das Schwarzbrot mit Kartoffeln als Perle der Dänischen Gastronomie; lobt aber die Vorliebe „für am Waldboden gepflückten Bärlauch und Sauerklee.“

Dass es Menschen gibt, die lieber ein ausschweifendes Essen in einem prunkvollen Restaurant einnehmen als rohen Hering auf Rohholztischen, hat in einem Land mit überwiegend protestantischer Bevölkerung wenig Bedeutung. Was allerdings keine Erklärung für das Phänomen Noma ist. Dort hat ein Journalist der Berlingske Tidende unlängst eine neue Kreation des Weltmeisters Redzepi gekostet: „Lebende Ameisen aus Jütland in einem Spiegel aus Crème fraîche“.

Das ist in der Tat nicht ausschweifend, sondern wirklich minimalistisch und verheißt den Rohköstlern eine Natürliche Küche. Die Vorstellung, dass Redzepi mit seinen Mannen durch Jütlands Wälder kriecht und aus den großen, mit Tannennadeln durchsetzten Ameisenhaufen ein paar Portionen Ameisen heraussiebt, ist beeindruckend und jede Menge Weltmeistertitel wert.

Es ist allerdings unfair von der Natur, sich in den Wettkampf der Spitzenköche einzumischen.

Man stelle sich vor, die Tannennadeln des Schwarz­walds würden Harald Wohlfahrt seine drei Sterne streitig machen, bloß weil sie Wanderern schon mal ins Bier fallen. Oder die Mücken der Rheinauen wollten Joachim Wisslers Ruhm zu ruinieren, indem sie nicht im vorgesehenen Austernsaft bleiben, sondern die Dekolletees der weibliche Gäste besetzten! Hier ist der Punkt, Halleluja, an dem die Natürliche Küche eine Grenze überschreitet, mag sie auch noch so protestantisch sein, dänisch oder roh.

In jedem Fall wird die Natürliche Küche von der FAZ als neuer Avantgardismus bejubelt werden. Dort sind solche Verirrungen an der Tagesordnung. Schließlich ist sie die einzige Zeitung weit und breit, die sich weigert, den Namen des weißrussischen Diktators Lukaschenko am Ende anders als mit einem „a“ zu schreiben. Das erinnert an den Tick des Verlegers Axel Springer, der die Buchstaben DDR ausnahmslos in Anführungszeichen setzen ließ: „DDR“.

Von Lukaschenka über „DDR“ bis zu dänischen Waldameisen führt ein gerader Weg in den Irrsinn.

7 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Klaus Christoph |

    Dieter Müller scheine die Ameisen ja geschmeckt zu haben…..

  2. Jeeves |

    Nun ja, Herr Dollase hat in seinen jüngeren (schlankeren) Jahren auch schon einigermaßen seltsame Musik gemacht.

  3. JOchen |

    Ich sage nur Textur und Geschmacksakkord!

  4. Rudolph F.. |

    dann müßte man sich auch über den Genuß roher Austern echauffieren.

  5. Cassandra |

    Darf ich dem Texturakkord die „Zirkeldegustation“ hinzu fügen? Es ist ein echtes Kuriosum, dass solche Texte überhaupt publiziert werden. Liest kein Redakteur diese texturellen Ergüsse vor dem finalen Abdruck?

  6. Seppiverseckelt |

    …nun -seis wie es sei… ICH jedenfalls freu mich schon jetzt darauf, alsabald lesen zu dürfen wie sehr doch die „feinsamtige Textur Weiblicher Ameisenschenkel mit der eher spitzen Säure Männlicher Ameisenfühler kontrastiert“- oder etwa nicht ??
    ;-)))

  7. Knut Habicht |

    Es fällt schwer – ich weiß. Aber mir tut es immer sehr weh, wenn die An- und Abführungen falsch geschrieben sind. Richtig sieht es dann so aus: „DDR“.

    Mit nicht ganz ernst gemeinten Grüßen

    Knut Habicht

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