EIN AUSSTELLUNGSKATALOG

Einige der besten Kochbücher wurden von Frauen geschrieben. Es waren überwiegend englische und amerikanische Damen, die ihren Landsleuten die Basis der französischen Küche sachkundig und detailliert beibrachten. Vier bis sechs Damen insgesamt. Bei uns gab es im 19. Jahrhundert die Henriette Davidis, deren Unterweisungen „für die gewöhnliche und feinere Küche unter besonderer Berücksichtigung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen…eine Fülle von Neuerungen der Küchen-Praxis“ brachten. Ihr Buch war ein dauerhafter Bestseller und ein Gegenbeweis zu der These, Frauen seien für den Beruf einer Köchin ungeeignet.
Dieses Vorurteil gilt auch noch heute und wird, sieht man sich in den großen Küchen einmal um, auf bedauerliche Weise bestätigt: Keine Küchenchefin zu sehen, keine Frau am Herd. (Es gibt Ausnahmen, gewiss, aber wie wenige!)
Eigentlich müsste es umgekehrt sein; denn geht man in einen Buchladen, muss man feststellen, dass von fünfhundert Kochbüchern vierhundertfünfundneunzig von Frauen geschrieben wurden.
Dieser riesige Berg von Kochanweisungen durch die Frau Nachbarin ist genau das, was die Flut der Kochbücher so
unerfreulich macht: Sie taugen alle nichts. Sie sind von dilettantischen Köchinnen und unbegabten Autorinnen von anderen Büchern abgeschrieben, während unbedarfte Lektorinnen das Niveau der Branche weiter demontieren, indem sie die harmlosen Manuskripte zu ‚Ratgebern‘ degradieren, deren Titel genügen, um anspruchsvollen Lesern und erfahrenen Essern die Lust am Selberkochen zu vergällen. (Kochen für Dreijährige; Kochen mit Goethe; Kochbuch für Verliebte; Frühlingskochbuch; Muttis Erfolgsrezepte; Kochen ohne Knochen; Kochen im Urlaub; Das große Blütenkochbuch;)
Nach meinen Erfahrungen erscheint nur alle zwei Jahre ein Kochbuch, das man unbedingt haben möchte. Und es hat, Gott sei’s geklagt, einen männlichen Küchenchef zum Autor.
Dabei handelt es sich immer um Ego-Books, welche von Verlagen in Auftrag gegeben wurden, weil unsere Gesellschaft ganz wild ist auf Promis, wozu die Köche bekannter Restaurants nun einmal gehören. Ihnen werden monströs dicke, unhandliche und aufdringlich selbstgefällige Bücher gewidmet, mit denen der Mittelstand seine Couchtische dekoriert.
In diesen Papiergewittern lässt sich nicht vermeiden, dass auch das eine oder andere Buch in die Schlacht geworfen wird, welches sich zum Rest verhält wie Heidegger zu Karl May. Darauf aufmerksam zu machen, sollte die vornehmste Aufgabe des Kritikers sein. Auch wenn – darüber ist er sich im klaren – nur eine Handvoll Interessierte bereit sind, den stolzen Preis zu bezahlen.
Hier ist so ein Buch. Es hat einen australischen Autor, Peter Gilmor, er ist Küchenchef des renommierten Restaurants „Quay“ im Hafen von Sidney. Er nennt sein Buch „Nature-based-cuisine“, womit er beweist, dass er auf der Höhe der Zeit ist. (Man könnte genau so gut sagen: In der Mitte des Mainstreams.) Denn Natur ist das Schlagwort, nach dem sich alle Köche richten müssen, wenn sie heute Erfolg haben wollen. Wie es morgen aussieht, steht auf einem anderen Blatt.
Was der Matthaes Verlag auf 285 Seiten präsentiert, wirkt wahnsinnig edel. So edel, dass es abschreckt. Mich jedenfalls, da ich mir zu Hause nie die Mühe machen würde, ausgerechnet die Küche der Avantgarde nachzukochen. Auf den – leider oft vergrößerten – Fotos erkennt man die kostbar arrangierten Gerichte überdeutlich, was an Ringelnatz erinnert: „Wenn man das zierliche Näschen / von seiner liebsten Braut / durch ein Vergrößerungsgläschen / näher beschaut/ zeigen sich haarige Berge, dass einem graut“.
Aber diese Fotos sind es, deretwegen ich das Buch empfehle. Sie sind nicht über die Maßen künstlerisch, sie machen nicht einmal Appetit. Aber sie führen vor Augen, woraus die Moderne Küche heute besteht und wie sie bei den Großmeistern aussieht. Wobei zu berücksichtigen ist, dass sie die Moderne Küche abbilden, wie sie vor zwei Jahren in Australien aussah.
Die wenigsten Feinschmecker können es sich leisten, überall hinzufahren, wo derzeit ein Avantgardist seine Kreativität von der Leine lässt. Deshalb rätseln sie, wenn ein Koch über seine Arbeit raunt, „Bei meinen Gerichten strebe ich die Ausgeglichenheit verschiedener Elemente an: bei der Textur der Zutaten, der Harmonie der Aromen und der Eleganz der visuellen Präsentation.“
Wie diese Ausgeglichenheit der Elemente aber auf seinem Teller aussehen würde, bleibt ungewiss; überdies kann er eine völlig andere Vorstellung von der Eleganz eines präsentierten Herings haben als der Koch.
Deshalb kann das vorliegende Buch den neugierigen Leser über jenen Teil des kulinarischen Genusses informieren, der normalerweise nur bei einem Restaurantbesuch möglich ist, dort allerdings viel Geld kostet. Wie die Typen in der Küche arbeiten, erfährt man so oder so nicht, weil die verständliche Beschreibung eines Kochvorgangs – das bedeutet, dass er nachkochbar ist – sowieso nur wenigen Autoren gegeben ist. Und nur selten sind sie mit dem Küchenchef identisch.
Im übrigen existieren bei uns nicht wenige Kochbücher, an denen sich der aktuelle Zustand der Kochkunst ablesen lässt. Ich nenne da nur „Ducass, Le Grand Livre du Cuisine“ (Matthaes Verlag), wo man den Fotos schon ansieht, dass sie von gestern sind. Im „Sven Elverfeld“ (Collection Rolf Heyne), glaubt der Leser jedoch, einen Dokumenta-Katalog vor sich zu haben, so hemmungslos und so kreativ stellt sich keiner unserer Spitzenköche vor. Tatsächlich ist sein Restaurant, das „Aqua“ in Wolfsburg, zur Zeit die Speerspitze der deutschen Küchen-Avantgarde.

5 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Jeeves |

    „…bei der Textur der Zutaten…“

    …und ich dachte, „Textur“ wäre das Copyright (modisch: Alleinstellungsmerkmal) vom Jürgen Dollase. Hat er womöglich des Australiers Buch übersetzt?

  2. Michael |

    Wie wäre es denn mal mit einer Liste Ihrer Top 5 Kochbücher für den ambitioniert Hobbykoch?

    • Schwabe |

      Es gäb´da eins: Wolfram Siebeck „Alle meine Rezepte“. Es ist eine unerschöpfliche Quelle für gute und gut nachzukochende Rezepte. Außer diesem bräuchte es eigentlich nur noch ein gutes Rezeptbuch für italienische Gerichte und ein Geschäft für die erforderlichen Zutaten.

  3. Josef |

    harry’s bar kochbuch – es gibt dickere, vielleicht bessere, aber alle müssen sich an dem messen!

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