Am Kaiserstuhl

Wieder zurück im Ländle, ist der Sommer nicht zu übersehen. Weniger am Wetter, obwohl sich das endlich zu ändern scheint, als bei der Lektüre der Badischen Zeitung. Da wird seitenlang von Straßenfesten berichtet, von Ampeln, die zu schnell auf Rot schalten, von neuen Grafitti, nächtlichem Lärm in der Altstadt; der Lebenslauf eines alten Gasthauses wird über eine ganze Seite gewürdigt; das Tierheim bietet Hunde an (alle schmusig und kinderfreundlich) und was das ländliche Biedermeier sonst noch an Moritaten zu besingen weiß. Unter anderem zeigen sie ein Portrait des Ex-MnPräsidenten, so dass man sich im nachhinein fragt: Wie konnten wir nur einen Mann wählen, der so aussieht?
Zusätzlich bieten viele Weingüter Verkostungen an; das geschieht hier allerdings an 365 Tagen im Jahr, ohne dass es langweilig würde. Man trifft immer ein paar Bekannte mit dem Glas in der Hand und schrecklichen Stauerlebnissen hinter sich.
Bald ist es fünfzig Jahre her, dass dem Kaiserstuhl per Dekret unserer Bürokraten die Hügel zerschlagen und die Romantik ausgetrieben wurden. Die traditionellen Steilhänge – schmale Pilgerpfade, engstehende Rebzeilen – wurden für moderne Maschinen benutzbar gemacht. Diese gewaltsamen Veränderungen sind nicht verschwunden. Zwar ist hier jeder Quadratmeter bepflanzt und bewachsen, aber dass es eine furchtbare Operation gewesen sein muss, sieht man der berühmten Weinlandschaft immer noch an.
In Oberbergen, gegenüber von Kellers Schwarzem Adler, steht der „Rebstock“ (ebenfalls Keller) und hat von 12 Uhr an durchgehend geöffnet. Eine leckere Beute für Spätaufsteher wie mich. Überdies behagt mir die schlichte Ausstattung der Weinstube sowie der Stil ihrer Küche.
Heute hatten wir besonderes Glück. Es gab Artischocke mit Vinaigrette zur Vorspeise.
Mein Gott, habe ich lange keine Artischocke auf die klassische Weise gegessen! Wo wird sie denn angeboten, diese riesige, lauwarme Feldfrucht, die man Blatt für Blatt ihres grünen Schutzes entkleidet, in die Vinaigrette mit den winzigen Schalottensplittern tunkt und selig beknabbert? Bis man dann den festen, dicken Boden erreicht, für den man zu Messer und Gabel greift. Dazu den hauseigenen Chardonnay und die Welt ist wieder in Ordnung. (An dieser Stelle widersprechen die Mappusfreunde, die sowieso nichts vom Genuss verstehen)
Danach dann eine Portion Kalbskopf, der wie immer perfekt ist, das heißt das Fleisch ist gar, aber nicht labberig; das gleiche gilt für die Karotte und das Stück Sellerie, die Kartoffeln sind von edler Sorte, und die Sauce gribiche – halt!, was ist mit der Sauce? Es fehlen ihr die gehackten Gurkenstücke, daher ist sie nicht sauer genug. In der Küche hat ein Faulpelz lediglich gehackte Sahneeier in die Vinaigrette (der Artischocke) geschüttet und geglaubt, das sei es. So einer bringt es fertig und serviert einen Hummer mit nur einer Schere: „Ein Kriegsversehrter, respektieren Sie seinen Einsatz.“
Ich respektiere den „Rebstock“ in Oberbergen, weil er in Notfällen lebensrettend sein kann wie ein Omnibus: Scheibe einschlagen und Hammer entnehmen.

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  1. Ulla |

    Keller liegt leider etwas weit weg für uns um dort öfters zu verweilen. Wir kennen diesen beständig guten Gasthof schon seit den 70iger Jahren und es war immer gut bis sehr gut! Artischocken mache ich jetzt ziemlich oft, seit ich einen Dampfgarer habe und mit einer Vinaigrette in diesen heißen Tagen einfach ideal.
    Gruß aus dem Süden

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