Einige Tage war ich mal nicht zu Hause sondern in Athen. Zurück in der Burg, finde ich eine bunte Postkarte von guten Freunden vor. Auch die waren in Griechenland. Ihr Eindruck, den sie mir nicht vorenthalten wollten, lautet: Das Essen war überall katastrophal, daran hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert.
Mein Eindruck von der griechischen Küche, den ich hier nicht verheimlichen will, ist anders. Ich habe jeden Tag in Athen gut gegessen. Sogar ausnehmend gut.
Nun könnte man die Diskrepanz des Urteils zweier Kleingruppen mit der bequemen Erklärung „Die Geschmäcker sind nun mal verschieden“ abtun.
Aber so einfach ist das nicht. Wir haben es hier mit dem Phänomen der vererbten Vorurteile zu tun, welche von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, und von Generation zu Generation weitergegeben werden, ohne dass sich jemand die Mühe machte, ihre Berechtigung nachzuprüfen.
Können Vorurteile überhaupt eine Berechtigung haben? Wenn festgestellt wird, wir Deutsche seien besonders fleißig und kleinlich, so ist das in unseren Ohren ein Vorurteil. Allerdings eines, das stimmt. Dass wir unsere Autos regelmäßig waschen, und zwar eigenhändig, zeugt von unserem Fleiß. Dass wir bei dieser Gelegenheit die Gebühren für die Waschanlage sparen, zeigt, wie kleinlich wir sind. Sollten wir es tun, weil es Spaß macht, wie das oft zu hören ist, würde das auf eine weitere Eigenschaft verweisen: wir haben nicht alle Tassen im Schrank.
Aus diesen Vorurteilen soll sich der Deutsche zusammensetzen?
Ein Wunder wäre es nicht, wenn man sieht, welche Schirme voll Vorurteilen wir über die Griechen auskippen. Dabei habe ich sie nur als höfliche und zuvorkommende Leute erlebt, die ihre Autos allerdings nicht so oft eigenhändig waschen wie wir. Vielleicht können die aber auch nicht so gewaschen sein, weil ihre Besitzer lieber in einer Taverne sitzen und Ouzo trinken. Das ist ein Anisschnaps, der in kleinen Fläschchen serviert wird, und den man mit Wasser verdünnt. Nicht unbedingt mein Geschmack; aber man gewöhnt sich dran. Vor allem wenn der vorzügliche Wein erst zum Hauptgericht aufgetischt wird, weil zu den Vorspeisen traditionellerweise Ouzo getrunken wird.
Womit ich beim Höhepunkt der griechischen Küche wäre. Denn diese Vorspeisen sind phantastisch. Auf den ersten Blick könnte man sie wegen ihrer Anordnung auf vielen kleinen Tellern und wegen einiger Inhalte mit den Vorspeisenplatten der vorderasiatischen Küche verwechseln. Aber ich fand sie raffinierter, abwechselungsreicher und überhaupt reicher. Das machte sich bei der von der üblichen Mächtigkeit sich unterscheidenden Zubereitung der einzelnen Produkte bemerkbar. Der cremige Fischrogen, leuchtend gelb wie ein schaumiges Kartoffelpüree, war besser als ich den Rogen jemals aß. (Vor allem in der getrockneten, festen Version ist er nur banal.) Die Calmar oder die zerstückelten Oktopusse waren zart wie ein Rehfilet, die jeweiligen Saucen, in kleinen Tassen auf den Tisch gestellt, Wunderwerke an Delikatesse.
Ich gebe zu, dass ein Stümper – und die Welt ist bevölkert mit Stümpern; bis in höchste Staatsämter haben sie sich emporgearbeitet – auch aus den besten Zutaten nichts Anständiges zustande kriegt. (Dies Schicksal zu erleben ist überall bitter, in Athen wie in Paris, in Berlin wie in Florenz.
Ich hatte das Glück, dass mich Athener Freunde auf die richtige Spur setzten. So kam es, dass wir seitdem zu Hause versuchen, unsere Essgewohnheiten diesem Vorbild anzupassen. Das bedeutet etwas Mehrarbeit, aber viel mehr Lust und Spaß beim Essen, dessen Hauptgerichte nicht mehr als große, sättigende Portionen auf den Tisch kommen, sondern als delikate Fortsetzung der vielen, leichten Vorspeisen.
Den Anfängern der Athener Küche empfehle ich zwei authentische Tavernen, das Papandreo in der Mitte der Fleischabteilung der Zentralmarkthalle (sehr rustikal!) und das Café Avissina, auf dem Flohmarkt im Stadtteil Plaka.
Für Fortgeschrittene, die die weite Reise scheuen, gibt es das „Cassambalis“, ein sehr zivilisiertes Restaurant in der Grolmann Straße 35 in Berlin, wo griechische Küche in Hochform geboten wird
Lieber Herr Siebeck,
vielen lieben Dank für die Erwähnung in Ihrem Artikel – wir werden uns bemühen, die Hochform zu halten und
freuen uns auf Ihren nächsten Besuch.
Liebe Gruesse aus Berlin
Ihr
Constantin Cassambalis
Lieber Herr Siebeck,
das ist ja eine Überraschung, wusste gar nicht, dass es diesen schönen Blog gibt. Habe mich immer gefreut auf Ihr Eigenformat im Zeitmagazin. War es eine Glosse, ein Kommentar, eine persönliche Verlautbarung oder mitunter sogar eine Restaurant- oder Speisekritik? Gleichgültig, was es war, diese Lebensphilosophie des Gastrokritikers oder wie immer Sie diese Aufgabe verstehen, war immer ein Genuss.
(Eigentlich muss ich arbeiten, halte mich aber frühmorgens bei diesen Dingen auf und folge der Lust in der Hoffnung nicht allzu große Unbillen des Freiberuflers fürchten zu müssen.)
In Ihrer Zeit des Zeit-Magazins habe ich nie ein vorgestelltes Rezept nachgekocht, genoss aber immer mit großen Vergnügen die Auslassungen über Gott und die Welt und die Verschmähungen gehobener Lüste des Verzehrs von Kutteln und wie ich hier im Blog lese – den Schafsdärmen. „Schreiben kann der!“, sagte ich mir immer wieder, damals und heute. Geht nie den geraden Weg, folgt seiner Lebenslust. Wo gibt es das heute noch in der mal durchgestylten, mal effizienzgetriggerten Welt?
Überhaupt: Der Dandyismus wird weithin als moralische Kraft unterschätzt. Man denke nur an die lebensverändernde Sprachgewalt eines Baudelaire (was hier nicht ausgeführt werden kann) oder an Ihr gekochtes Huhn im Ganzen (was sie einmal im Zeit-Magazin beschrieben haben), ein Hausmacher-Rezept. Wer kocht heute schon noch ganze Hühner? Würde man diesem Rezept folgen, so müsste man die verschmähten, übrig gebliebenen Teile nicht nach Afrika verschicken, wo diese Praxis Hühner züchtenden Kleinbauern, die Existenzgrundlage geraubt hat. Lang lebe Siebeck!
Ach so, noch etwas: Mein Trainer- und Coach-Dasein führte zum Ausbau eines ehemaligen Bauernhofes zum Refugium für Feriengäste und Seminaristen, wo wir für letztere ein Slow-food, Regional-, Teilweise Bio-Konzept umzusetzen versuchen. Sehr viel Idealismus, der von solchen Vorkämpfern des guten Geschmacks wie Ihnen und Witzigmann geprägt ist. Bei uns keine gehobene Gourmet-Küche, das gibt das Budget nicht her, aber meine japanische Köchin und ich versuchen uns in feiner einfacher Küche mit frischen, teils regionalen, und möglichst auch biologisch gehaltenen Zutaten. Beispiel möge ein Kalbspitzbraten sein, vom Uckermärkischen Rind, das von einer schottischen Hochlandrasse abstammt, mehrere Stunden im Römertopf mit gutem Wein, Kräutern und Knoblauch geschmort. Eine japanische Musikerin meinte, das schmecke besser als Kobe-Rind. Gibt es schönere Komplimente? Mittlerweile hilft mir bei der Seminarverpflegung eine japanische Freundin, die sich als reisende Köchin in der Uckermark selbständig gemacht hat. Was für eine Mischung: japanisch in abgespeckter Version für den europäischen Gaumen, griechisch-mediterran, wenn ich koche mit einem Einschlag französischer Speisenfolge. Das Griechische mit französischen Akzent geht überhaupt eine gelingende Verbindung ein, wie ich meine. Die geradezu talibanhafte Prüfung der Griechen zur Qualität der Tomaten und des Olivenöls (das je eigene ist immer das Beste!) im immer gleichen Bauernsalat, also diese gute Produktfixierung, ihre Vorliebe für Gemüse- und Hülsenfrüchte, Öle statt Soßen, mit der französischen Verfeinerung der Genüsse in ihrer Vielfalt und des fein abgestimmten Rhythmus beim Essen. Das Fleischlastige französischer bürgerlicher Küche mit den verfeinerten Genüssen von Gemüsen in hoher Qualität zu ersetzen. Mir fällt ein eigenes Oktopus-Rezept ein, bei dem man den Kraken, mit Auberginen in einer Weinsoße mächtig wieder belebt. Japaner, Griechen und manche Deutsche lieben das sehr.
Das Koch-Hobby ist jetzt mit unserem Refugium Uckermark, http://www.refugiumuckermark.de, doch sehr viel ernster geworden, als damals, als eine französiche Freundin mich mit einem hausgemachten Pot au feu auf den Weg brachte. Wir waren Studenten und hatten kaum Geld, aber dieses Pot au feu mit dem Knochenmark aus dem leibhaftigen Knochen in der Brühe war schon etwas besonderes und für mich damals Ungewöhnlches. Zum Glück stammte jene voreheliche Liebe aus dem Elsass. Was für eine Reise in die Welt der Genüsse. Die Mutter hatte einen Garten, der fast alles hergab, Fleisch wurde aus der Umgebung besorgt, der Vater war äußerst galant beim Nachschenken Elsässer Weine, die er immer wieder frisch aus dem Keller holte. (Kellerkalt scheint der Wein doch anders zu schmecken! Sicherlich eine Einbildung, aber eine schöne …) Ich höre noch seine Stimme: „Grekoor, noch einen Schluck?“. Wenn es einen Gott gibt, dann möge er diesen Herrn schon deshalb in den doch wohl eher nicht existenten Gefilden des Überirdischen wohl behüten.
Dass man mit Gewürztraminer endet, wo man mit Riesling begann und einen Abstecher zum Sylvaner gemacht hat, schien mir als Griechen damals eine besondere, aber doch sinnreiche, weil lustvolle Dekadenz zu sein. Schließlich haben auch wir gute süße Dessertweine, wobei es das Dessert im Griechischen traditionell eigentlich gar nicht gibt. Ein paar Früchte und das war’s. Von wegen Dessert als Höhepunkt des Abschlusses.
Mittlerweile folge ich solchen französischen Rhythmen, wo es zum Anlass und zur Tischgesellschaft passt. In Deutschland über die Qualität, die Idee der Auswahl der Weine und ihrer Abfolge zu sprechen, löst oft peinliche Verlegenheit aus. Man kann so recht nicht einsteigen, oder selten, aber schlimmer noch, jemand zeigt sich als Weinkenner, der sein Wissen vorführt. Merkwürdig das alles, wie überhaupt die ganze Sache der gehobenen Ess-Kunst, aber doch wunderbar und für diese jahrelange Sensibilisierung durch Ihre Texte: Besten Dank!
Ihr Grigori Katsakoulis
Hier nochmals unser verrücktes Projekt: http://www.refugiumuckermark.de. Es ist übrigens letztes Jahr mit dem Uckermärkischen Toursimuspreis ausgezeichnet worden. Als Trainer und Coach finden Sie mich hier: http://www.dialogos.de