DER MOHR IM KOPF

Von all den Plagen, die im Laufe der Zeit über die Menschheit hereingebrochen sind, scheint mir das größte Übel die political correctness zu sein. Wo die Dinge nicht mehr beim Namen genannt werden dürfen, also bei jener Be­zeichnung die ihnen seit jeher – aus welchen zufälligen Gründen auch immer – zugeschrieben wird, wo also die historische Erinnerung verbogen wird, um sie einem vorübergehenden Zeitgeist anzupassen, dort wird Heuchelei gezüchtet und werden Traditionen geleugnet.

Diese Methode reicht von den Euphemismen wie sie bereits im Mittelalter um den Namen des Teufels gewickelt wurden, der stattdessen der Gottseibeiuns genannt wurde und andere Umschreibungen seines Namens hinnehmen musste, wie später der „Tod“ durch „Ableben“ ersetzt wurde, oder „Kriegsminister“ durch „Verteidigungsminister“. Das war beschwichtigend gemeint und sollte politisch wirken. Der Bevölkerung wurde durch Sprachveränderungen suggeriert, es sei alles ja nur halb so schlimm.

Wirklich schlimm waren hingegen die Begründungen, mit der Sprachtabus und neue Wörter eingeführt wurden. Es waren immer sogenannte Gutmenschen, die durch Umtaufen angeblich vergangenes Unrecht gut machen oder die Begriffe von einem Fluch befreien wollten. Zu welchen Albernheiten das führte, zeigte sich in diesen Tagen wieder einmal in Österreich. Dort erregt schon seit Jahren der Begriff ‚Mohr im Hemd‘ die Gemüter, weil dieses harmlose Naschwerk der Wiener Küche beim Gast im Kaffeehaus Rassismus auslösen könnte.

Warum das geschah, lässt sich nur mit dem Verbot des Wortes Zigeuner erklären, welches die maßgebenden Bürokraten dem fidelnden und Fandango tanzenden Völkchen nicht mehr zur Identifizierung gestattete, weil es von den Nazis verfolgt und gemordet wurde. (Was überall auf der Welt täglich geschieht, ohne dass deshalb die Taufregister geändert würden.)

Weil das bei einer Volksgruppe so fabelhaft gelang, schreckten die Gutmenschen auch nicht davor zurück, der Bevölkerung eines ganzen Erdteils den Namen „Neger“ zu entziehen, so als hätten diese ihren Namen durch Plagiate und falsche Angaben erschlichen.

Das hatte nicht nur erneute Diskussionen bei den Wiener Konditoren zur Folge (die sich auch mit anderen Süßspeisen wie Negerküsse und Mohrenköpfe und deren Umtaufung beschäftigen), diese politische Korrektness legte sich wie ein Aschenregen über die Begriffe. Was ehemals farbenprächtig und putzlebendig erschien, musste plötzlich Gipsbeine tragen mit dem Aufdruck: Enthält gut gemeinte Absichten, ist appetithemmend und kann Depressionen hervorrufen.

Die beiden letzten Möglichkeiten haben auch mir den Appetit aufs Zeitungslesen verleidet, als ich die Kommentare zum Gedicht des Günter Grass gegen das paranoide Säbelrasseln der israelischen und amerikanischen Hardliner las. Da stellen sich die Kollegen an, als hätte unser berühmter Pfeifenraucher gemeinsam mit den Zigeunern einen Karton Mohrenköpfe verkasematuckelt.

Dabei hat er nur getan, was jedem Liebhaber der deutschen Sprache schon lange auf die Nerven geht. Er hat die political correctness für einmal außer Kraft gesetzt. Er hat die Dinge beim Namen genannt, die sonst nur unter der isolierenden Decke angepasster Korrektheit zu ahnen sind. Dafür sollten wir ihm danken.

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. http://tisalutoticino.blogspot.com/ |

    Absolut „correct“ – ganz Ihre Meinung. Bravo, Herr Siebeck.

  2. Charles Milton Ling |

    Wenn man einmal erkennt, daß „political correctness“ nur für Politiker gilt, lebt man entspannt.

  3. Martin I. |

    Den Israelis Paranoia zu unterstellen, ihre Angst also zu pathologisieren, finde ich ein bisschen geschmacklos. Wenn ich in einem Land leben würde, das kein Nachbar akzeptiert und einer sogar explizit „von der Weltkarte radieren“ will, würde ich auch unruhig schlafen. Ist das dann Paranoia? Das heißt freilich nicht, dass man die Regierung Netanjahu toll finden muss.

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