IN THE MÜLL

Gewiss, es ist traurig, überaus traurig und beschämend, wenn man erfährt wie viele Lebensmittel wir pro Tag, pro Jahr und landesweit in den Mülleimer schmeißen. Pro Kopf sind es rund 80 Kilo. Davon sind – jetzt kommt der Hammer! – zwei Drittel noch gut genießbar.

Das Wort ‚essbar‘ wäre an dieser Stelle besser am Platz, denn genießbar ist nur ein winziger Bruchteil der verkauften Lebensmittel, bei denen es sich zu 95 Prozent um e­len­de Massenware handelt.

Aber, beim Barte des Propheten, essbar ist das meiste, davon kann ich ein Lied singen! Zu Beginn des Jahres habe ich, ich weiß nicht mehr warum, im Kofferraum meines Autos herumgestöbert und fand in einer Nische unter irgend­welchen Abdeckungen ein Jogurt-Viererpack. Wäre mir ein blinder Passagier in Form eines Pinguins entgegengesprun­gen, hätte mein Erstaunen nicht größer sein können (weil ich nie in seiner Heimat war).

Die vier Becher machten einen guten Eindruck, innen wie außen, und da sie keine Kunstaromen enthielten, wie ich las, verstärkte sich meine Neugier. Ich suchte das Verfallsdatum und war, als ich es fand, beeindruckt: seit genau 1 Jahr und 3 Wochen war der Jogurt verfallen. Solange hatte also niemand in meinem Auto nach Pinguinen und Jogurt Bechern gesucht.

Ich habe sie alle gegessen. Nicht auf einmal, sondern jeden Tag einen Becher. Wie sich das beim Verzehr von Jogurt eingebürgert hat. Und sie sind mir gut bekommen.

Wie zu erfahren ist, würden die meisten der weggeworfenen Lebensmittel ebenfalls noch essbar sein. Denn Obst und Gemüse machen die Hälfte unseres Mülls aus.

Die Frage erhebt sich: Wer ist Schuld und was kann man dagegen tun?

Sind es wieder einmal die Krankenkassen, die dem Verbraucher nur einmal im Jahr eine billige Brille gönnen, so dass er das Wegschmeißdatum nicht lesen kann?

Oder interessiert sich der Verbraucher erst gar nicht für das Verfallsdatum, weil er die Produkte sowieso in den Müll schmeißen will?

Vielleicht produziert die Industrie Nahrungsmittel, die einen Tag nach Ablauf ihrer Frist ratzfatz schimmeln, stinken und welken?

Nein, ich glaube, die Schuld liegt woanders: Das Zeug ist zu billig. Es ist so billig wie sonst nirgendwo, weshalb es vom Konsumenten mit Recht als Wegwerfware angesehen wird. Also wirft er sie weg.

Man muss sich einmal vorstellen, wie wenig beispielsweise Milchprodukte kosten (die jeder Haushalt wirklich braucht, im Gegensatz zu Chips und Limonaden), Milch, Butter, Sahne, Yogurt, Käse – die werden zu derart niedrigen Preisen verkauft, für die sie kein Landwirt herstellen kann. Also wird er vom Staat dafür subventioniert, damit die Industrie ihre Kunstprodukte, diesen Ersatzfraß aus den Alche­mistenlabors, konkurrenzlos billig anbieten kann. Das ist nämlich das Geheimnis unserer Agrarpolitik: sie wird nicht für den Verbraucher gemacht, sondern für die großen Konzerne, die an dem Schrott immer größer werden, während der Bauer aus unserer Landschaft verschwindet, wie diese selbst unter dem Asphalt verschwin­det.

Einen Ausweg aus dem Dilemma weiß wie immer die Ilse Aigner von der CSU: „Es ist Zeit für einen Bewußtseinswandel und für mehr Wertschätzung für unsere Lebensmittel“.

Dieser Kalenderspruch war schon in der Steinzeit bekannt. Heute, vor dem Hintergrund der verfehlten Agrarpolitik und der kapitalistischen Karzinose, kann man ihn getrost dorthin befördern, wo politische Phrasen und Leerformen hingehören: in den Müll.

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