IM GAUNERIMPERIUM

Irgendwann sollte Schluss sein mit dem Gezeter um und über unsere Ernährung. Es muss ein Ende haben mit Talk Shows, in denen um den richtigen Weg zum gesunden Leben gestritten wird. Weil es keinen gibt. Das Leben ist ungesund, denn es führt unvermeidlich zum Tode, ganz egal wie und wovon wir uns vorher ernähren.
Ungeachtet dieser Erkenntnis streiten sich die Menschen seit Jahren – inzwischen Abend für Abend – über den richtigen Weg zum Tod. Kilometerlange Buchreihen wurden darüber geschrieben, wie der Mensch sich ernähren müsse, um möglichst ewig auf diesem Planeten herum­trampeln zu können. Die Pharmazeutische Industrie hat immer davon gelebt, dass wir unser Zerstörungswerk im Vollbesitz unserer Kräfte vollenden können. Bisher aber hatte sie Pillen, Kapseln und Tabletten nur erfunden, um Beinbrüche, Kopfschmerzen, Plattfüße und Zahntrümmer zu reparieren. Das war vertretbar weil möglich.
Seit wir aber ins Zeitalter der Hypochondrie eingetreten sind, hat sich alles verändert. Wir haben den wahren Menschenmörder entdeckt: die falsche Ernährung. Nachts steht er mit gezückter Bratengabel drohend an unserem Bett. Und damit dieser Unhold uns auf keinen Fall entgeht, werden wir täglich an ihn erinnert.
Diese Gehirnwäsche ist nicht auszuhalten. Hypnotisiert wie das Kanin­chen von der Schlange starren wir angst­schlotternd auf unsere Todesursache, und gruseln uns gleichzeitig wohlig bei der Erkenntnis, dass es jeden von uns treffen wird. Ob Alsheimer, Krebs, Schlaganfall, Dow Syndrom, Schnupfen, Dioxin, Vogel­grippe, Lepra, Fettleber, Nilfieber, Asthma, Inkon­tinenz, Brust, Lunge, Herz, Hirn, Hornisse, Masern, Cholera – was immer uns den finalen Todesstoß verpasst, so wird uns ununterbrochen eingetrichtert, ist die falsche Ernährung.
Der Skeptiker fragt sich zwar, wieso die Menschheit sich dabei so rasend vermehren konnte, und warum der Einzelne seine Lebenszeit seit dem Mittelalter glatt verdoppelt hat.
Das liegt, jubeln die Lobbyisten der pharmazeuthischen Industrie, ganz allein an den tollen Pillen und Tabletten, die uns die Wissenschaft zur Verfügung stellt. Und die PR Agenturen fallen ein: Sport treiben, grünen Tee trinken, auf Fleisch verzichten, kalt duschen, Fahrrad fahren, barfuß laufen sowie – das ist eine rein deutsche Marotte – Kokosnüsse essen. (Letzteres Erklärung verdanken wir der Literaturkritik, welche uns vor einem Roman warnt, welcher einem langhaarigen Kokosfarmer gewidmet ist.)
Alles zusammen aber ist ein Haufen Nonsense, angefan­gen vom Vitamin C bis zu den passionierten Urintrinkern, mit dem verglichen die Prophezeiungen der Mayas und die Yogaübungen der Tibeter als Manifestationen reinster Vernunft gelten müssen.
Deshalb noch einmal: Schluss mit dem Gesundheitsproblem durch falsche Ernährung. Der Tag, an dem es nie mehr auf einem SPIEGEL-Titel erscheint, und die Fernsehgesellschaften sich entschließen, diesem Obskurantismus keine Sendeminute mehr zu widmen, das werden geschichtsträchtige Daten sein, entsprechend den Iden des März und Luthers Coming Out in Wittenberg, sowie dem 8. Mai 1945, als unser Nationalstolz verreckte.
Und es wird der Tag des Hans Ulrich Grimm sein.
Dieser unermüdliche Detektiv auf den Spuren der Allgem. Verdummungsindustrie, hat ein Buch geschrieben, dass eigentlich genügt haben müsste, um noch den letzten Naiven in seinem Glauben an die Wissenschaft zu erschüt­tern: „Die Suppe lügt“ (Droemer Verlag), ein Klassiker der Konsumentenaufklärung. Da aber manche Verbraucher lieber an der Play Station schwachsinnig werden als sich durch ein Buch aufklären zu lassen, bedurfte es eines weitere Buches dieses Superdetektivs. Es ist soeben erschienen (wieder bei Droemer) und heisst „Vom Verzehr wird abgeraten“.
Es ist so etwas wie Das Buch, das alle anderen Bücher überflüssig macht. Und alle Talk Shows zum Thema, sowie alle Ratgeber und die Professoren in ihren Allgäuer Kli­niken. Wer es liest, hat nicht mehr die geringsten Illusionen über Industrienahrung und ihren Nutzen. Den Nutzen hat ein mächtiges Gaunerimperium, Giganten auf dem Feld der Analogkäse, der Hühnersuppen und Limonaden wie Nestlé, Dr. Oetker, Unilever, BASF, Danone und das halbe Dutzend anderer Konzerne, die zuerst ihre Labors subventionieren, bevor sie Wörter wie ökologisch, biologisch, naturrein, unbelastet, nachhaltig durch Exorzisten von ihren Festplatten löschen lassen.
Ähnliche Zustände hat es auch früher gegeben. Nur hat damals niemand den Verzehr von Kartoffeln empfohlen, weil sie gesättigte Fettsäuren enthalten und ihr Verzehr den Haarwuchs fördert, die Potenz auflädt und Alzheimer kurieren kann. Abgesehen von Kartoffeln gab es jedoch für die Massen keine essbaren Produkte, deshalb gab es auch noch keine Nahrungsindustrie.
Und da somit keiner ein Wundermittel wie Red Bull empfehlen konnte, verdiente sich auch niemand eine goldene Nase am Müsli mit dem X-Faktor. (Das neue Buch von Hans Ulrich Grimm hat 315 Seiten).

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