DER GOLDENE ADLER IN OSTHOUSE

Im Mittelpunkt der gastrosophischen Diuskussion steht zurzeit die Regionalküche.

Bei dieser Behauptung runzeln etliche Gastrosophen die Stirn. Sie wissen, wie viele Dreistern-Köche wir haben und kennen sie beim Namen. Die Regionalküche kennen sie nicht. Weil, das haben sie erkannt, es nur eine Hochküche gibt. Eben die Haute Cuisine. Und danach kommt eigentlich nichts mehr. Den Hype um die Regionalküche halten sie für einen Ausweg aus der Falle, die Food-Journalisten sich selbst gestellt haben. Als die nämlich erkannten, dass es ihre Leser auf die Dauer langweilt, immer wieder die fabelhaften Menüs der Küchen-Avantgarde beschrieben zu bekommen, suchten sie ein neues Thema, mit dem sie uns unterhalten konnten. Neue Küchentechniken, neue Produkte und neue Namen mussten her, damit die Exegeten des getrüffelten Kartoffelpürees nicht arbeitslos wurden.

So trat die Regionalküche in die Welt.

Ihre Geburt hatte Ähnlichkeit mit der Erweckung Frankensteins. Die Doktores mixten eine Masse aus Hausmannskost, Armenspeise und Vollpension-im-Bauernhof zusammen, fügten vom Blut-und-Boden ein gehöriges Quantum dazu und würzten das Ganze mit Was-auf-den-Tisch-kommt-wird-gegessen. Als Seele hauchten sie ihm etwas Anspruchslosigkeit ein und nannten ihre Schöpfung Regionalküche. Da dieses Monster landauf, landab noch nie gesehen worden war, jubelten die Esser bei der Aussicht auf etwas absolut Neues, die Regionalküche.

Auch ich nahm die Fährte auf und bretterte los. Nachdem ich kreuz und quer durch mein Vaterland gefahren war (bei welcher Gelegenheit neue Fotos von mir gemacht wurden), kehrte ich mit leeren Händen zurück. Die Regionen mochten früher einmal eine spezifische Küche gehabt haben. Doch davon fanden Archäologen nur noch Scherben. Deshalb fuhr ich über den Rhein ins nahe Elsass nach Osthouse. Dort besitzt die sonnige Madame Hellmann den Gasthof A l’Aigle d’Or, den ich seit vielen Jahren für ein Nest der Regionalküche halte.

Übrigens nicht nur ich. An den Wochenenden versammeln sich hier die Regionalisten von Strasbourg bis Colmar und delektieren sich an großen Portionen, an Sahnesaucen, die man, zusammen mit den Zigaretten vergessen hat, aus der Öffentlichkeit zu verbannen, an Gänseleberterrinen nach Art der alten Köche der sechziger Jahre, sowie am Saumon soufflé, wie es Paul Haeberlin erfunden hat. Das ist kein Wunder: Hellmann junior, der in Osthouse am Herd steht, hat bei Paul Haeberlin in Illhaeusern gelernt, dessen Stil er, ohne die Meisterschaft des großen Pauls anzustreben, zur Freude seiner Gäste konserviert.

Auch ich habe mich gefreut, beim amuse bouche eine Mousse aus Thunfisch und Aubergine zu probieren, wie sie auch bei besternten Köchen nicht besser schmeckt. Als ersten Gang servierte uns die junge Frau Hellmann eine saftige Rehterrine mit Quittenkompott, wozu der unvermeidliche Salat wenig passte und ein Thunfischcarpaccio. Der Hauptgang hatte es dann in sich: Ragout von frischem Aal mit Nudeln in Sahnesauce, dieses typische Essen der hungrigen Elsässer (die wahrscheinlich die doppelte Menge Nudeln essen, als mir zugemutet wurde). Frau Siebeck aß an dieser Stelle einen sahnigen Risotto mit nur leicht angebratenen Seezungenstreifen, während für die Geburtstagsfeier einer 90jährigen Oma ständig hochgefüllte Teller vorbeigetragen wurden und sich eine hübsche Trachtengruppe auf ein artiges Ständchen vorbereitete.

Die leckeren Süßspeisen enthielten einen Gruß an den östlichen Nachbarn: eine Schwarzwälder Kirschtorte im großen Glas hatte noch einmal so viele Kalorien wie das Vor­ausgegangene. War aber unwiderstehlich.

Um meine Fotogalerie bei den Behörden nicht zu vergrößern, tranken wir nur eine Flasche 2007 Riesling St. Catherine vom Weingut Faller, die man dem Regionalkeller zurechnen muss, welcher im A l’Aigle d’Or ungewöhnlich reichhaltig (mit preiswerten Flaschen aus allen Regionen) ist.
(Osthouse, 0033.388.89.06.82; MO u. DI sowie im August geschl. Entzückendes Hotel mit 15 Zimmern.)

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Bonjour Alsace |

    Lieber Herr Siebeck, auch wir gehen immer wieder gerne zu Familie Hellmann, in meinem Blog habe ich darüber berichtet:

    http://bonjouralsace.blogspot.fr/2012/09/a-laigle-dor-osthouse-hotel-la-ferme.html

  2. Thorsten von Haecks |

    Sehr geehrter Herr Siebeck,

    in dem letzten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts habe ich zwei von Ihnen verfasste Restaurantführer erworben. Zum einen „Die schönsten Bistros von Paris“ zum anderen „Die Weinstuben des Elsass“. Als Mitte des letzten Jahrzehnt meine große Zufriedenheit mit der Küche eines von mir seit 1977 in regelmäßigen Abständen aufgesuchten * dann ** Restaurant im Nordelsass sukzessiv der Unzufriedenheit wich, stand ein Lokalwechsel an. Ich erinnerte mich daran, dass meine Frau und ich Ihrer Empfehlung des Bistros „Au Petit Marguery“ in Paris, damals noch von den drei Brüdern betrieben, viele schöne Abende zu zweit oder mit Freunden in Paris zu verdanken hatten.
    Dashalb entschloss ich mich Ihrer, vor mehr als einem Jahrzehnt ausgesprochenen Empfehlung, die Küche des l’Aigle d’Or in Osthouse zu probieren, zu folgen, nachdem ich festgestellt hatte, dass diese Weinstube noch von derselben Familie und demselben Koch bewirtschaftet wird.
    Unser erstes Testessen war ein voller Erfolg. Seitdem sind wir nicht nur treue Gäste der Familie Hellmann, sondern rühren aus Überzeugung die „Werbetrommel“ in unserem Freundeskreis. Herr Hellmann junior gehört zu den immer rarar werdenden Köchen, die es u. a. verstehen eine exzellente Beure blanc herzustellen, die wunderbar mit dem gebratenen Zander harmonierte. Bei dem soufflierte Lachs „Auberge de l’Ill“, der köstlich schmeckte, konnte ich keine Unterschiede zum Original ausmachen. Die Küche hat uns in den vergangenen Jahren nie enttäuscht.
    Hätte ich nicht Ihren Winstubführer in meiner Sammlung von Restaurantführern gehabt, wäre mir dieses exzellente Lokal, in dem das Peis-/Leistungsverhältnis stimmt, verborgen geblieben.

    Mit freundlichen Grüßen

    von Haecks

  3. Joanna Stolzenburg |

    Lieber Herr Siebeck,

    dank Ihrer Empfehlung vor einigen Jahren in der „Zeit“ ist das wunderbare l ‚ Aigle d‘ Or der liebenswerten Familie Hellmann (alle Familienmitglieder sind gleichzeitig professionell als auch von besonderer Freundlichkeit) unsere liebste Adresse im Elsass. Sowohl das Restaurant als auch das feine Hotel sind als Oase des feines Geschmacks und Stils uneingeschränkt empfehlenswert.
    Dafür möchte ich Ihnen danken!

    Joanna Stolzenburg

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