IN RIEC UND ANDERSWO

Die Qualität der Produkte scheint ehrgeizigen Köchen heute wichtiger zu sein als der Schnitt ihrer Kochjacken. Jedenfalls reden sie ständig davon und meinen die Frische der Produkte und deren sorgsam Überwachung beim Werden.
Das ist, mit Verlaub, nichts Neues, das war schon immer so. Notgedrungen, würden wir heute sagen; denn Kühlschränke gab es ebenso wenig wie die Massenzucht auf den Äckern und in den Ställen.
Und es sind nicht nur Spitzenköche, denen der Zustand ihrer Waren wichtig ist. Neben ihnen stehen die Spitzenesser, die sich mit dem gleichen Problem herumschlagen. Wo gibt es den besten Käse? Welcher Gärtner liefert die frischeren Gemüse, welcher Bauer stellt seinen Hühnern große Wiesen zur Verfügung? Welcher Metzger lässt Rindfleisch 4 Wochen und länger abhängen?
Viele dieser anspruchsvollen Herrschaften hatten sich zum Reiseziel nicht einen sonnigen Sandstrand erkoren, sondern die kleine Molkerei in der Normandie oder den Schweinezüchter im Gers. Auch manche Bäckerin bekommt Besuch von Touristen, die jedes Jahr einen Umweg machen, um die köstlichen Konfitüren der Meisterin einzukaufen.
Auch ich hatte immer eine Handvoll Adresse parat. Ölmühlen, Trüffelhändler, Gänsestopfer und dergleichen. Ich fuhr sogar extra nach Riec-sur-Belon, weil das dortige Restaurant „Chez Melanie“ eigene Austernbänke besaß, weil Marie, die Tochter von Melanie Ruat, eine ausgezeichnete Köchin war und ihre Mutter einen Untermieter gehabt hatte, der in Notzeiten bei ihr unterkroch. Das war Curnonsky, der berühmte „Prince des Gastronomes“. Als ich in dem bescheidenen Gasthaus unter dem großen Gemälde saß, das ihn, seine Wirtin und deren Tochter zeig­te (es hing vorübergehend im Musée du Luxembourg, wo es Paul Léautaud 1937 sah und es in seinem Tagebuch als „…ein Greuel an Vulgarität, von dem man sich fragt, was es in einem Museum zu suchen hat…“ beschrieb.) hatte ich eine Kultadresse erreicht. Curnonsky und Melanie lebten nicht mehr, als ich mehrmals in Riec Station machte. Erst später erfuhr ich, dass meine französische Lieblings­köchin (Chantal Chagny von „Le Cep“ in Fleurie/Beau­jolais) in ihren Schulferien auf dem Schoß des ‚Prinzen‘ gesessen hatte, als sie mit ihren Eltern bei Melanie mehrere Sommer verbrachte.
Auch solche Erlebnisse gehören zu den Dingen, die man am Rande kulinarischer Reisen entdeckt.
Wobei als oberstes Ziel immer die Suche nach der besten Qualität sein sollte.
Beispielhaft dafür ist der Hühnerautomat, den ich in der Bresse entdeckte. Die Bresse ist das Reiseziel aller Freunde des saftigen Hühnerfleischs, welches in Form von freilaufenden, speziell ernährten Hühnern einer bestimmten Rasse, nämlich der Bresse-Hühner, in der gleichnamigen Landschaft im südlichen Burgund, produziert wird.
Ein bäuerliches, abgeschottetes Land, das der normale Fernreisende auf dem Weg nach oder vom Mittelmeer gewöhnlich nur streift. Lediglich die Autobahnschilder erinnern ihn daran, dass er je nach Fahrtrichtung nur recht oder links abbiegen muss, um im Hühnerparadies zu landen. Aber es biegt niemand ab.
Auch ich habe nie den sprichwörtlichen Umweg gemacht, um auf den Märkten eines der teuren Hühner zu kaufen. Es war immer die falsche Tageszeit, oder der Umweg war zu groß.
Doch eines Tages änderte sich die Routinefahrt nach Norden…
Es ist Samstag oder Sonntag Nachmittag. In Vier Stunden werden wir zu Hause sein. Auf dem Markt im Nachbarort haben wir noch schnell ein Bündel frischen Knoblauch gekauft. Am Fisch­stand sind wir grußlos vorbeigegangen. Bei sommerlichen Temperaturen empfiehlt es sich nicht, eine Dorade vier Stunden im Auto zu transportieren. Also wartet auf uns ein frugales Abendessen.
Nach drei Stunden taucht vor uns die Ankündigung „Poularde de Bresse“ auf. Eine Raststätte, die sich nach der lokalen Spezialität benannt hat. „Ob die wohl Bressehühner verkaufen?“ frage ich mich und B. Sie blickt nur kurz von ihrer Zeitung auf: „Ja, wenn man sie aus einem Automaten ziehen könnte.“ Das soll an die Automaten der Tankstellen erinnern, deren Kaffe der schlechteste der Welt ist.
„Wenn du anständig essen willst, musst du einen Umweg über Österreich machen. Oder denk an die Schweiz!“
Ich denke an die Schweiz, wo wir in der Raststätte von Gruyère immer anhalten um diesen fabelhaften Käse zu kaufen, den es auch in Basel bei Glauser in der steilen Altstadtstraße nicht in besserer Qualität gibt. Der Name Gruyère verpflichtet eben.
Und ‚Poularde de Bresse’? Verpflichtet eigentlich doch auch, denke ich, nehme das Gas weg und rolle in die Einfahrt der Raststätte. Dann über die Brücke auf die andere Seite. Ich halte vor dem Gebäude mit dem Schriftzug „Shop“.
Im Eingang die übliche, vulgäre Buntheit von Klatsch­magazinen und Kinderspielzeug. Dann, nicht zu übersehen, der Automat mit den Hühnern. Echte Bressehühner!
Sie liegen in einem glasverkleideten, runden Drehschrank, und sehen nicht anders aus als auf der Theke des Straßburger Edelmetzgers, bei dem wir unser Fleisch fürs Wochenende kaufen. Eine Verkäuferin schließt uns den Schrank auf, und wir suchen ein 2-Personen-Huhn aus: 1,8 Kilo, 26 Euro. Die silberne Isoliertüte ist gratis.
Beim letzten Hühnerkauf im Januar, gab es nur Hühner mit einem Mindestgewicht von2 Kilo. Das ist für zwei Personen zu viel. Ich fragte die Verkäuferin, warum die Hühner so schwer seien.
„Das ist jetzt im Winter normal. In der Kälte fressen sie mehr. Fett wärmt, wissen Sie!“
Auch mir wird ganz warm ums Herz, als B. am näch­sten Mittag das Huhn auf den Tisch stellt.
„Ist es nicht eine Schönheit?“ fragt B. und reicht mir die Tranchiergabel.
Ja, die Bresse. Der Name ist so symbolgeladen wie Mille Miglia für Autonarren. Die Bresse ist ein bukolisches Land, mit prächtigen Bauernhöfen, unter deren tiefgezogenen Dächern der Mais trocknet.
Früher, als es die Autobahn noch nicht gab, sind wir oft durchs Land ge­fahren. Bressehühner standen auf den Speisekarten der kleinsten Kneipen. Mit Mocheln, mit Knoblauch, à l‘ estragon, als Coq au vin. Und nicht selten auch als Kapaun (chapon). Den haben wir aber nie bestellt, er war uns zu teuer. Später dann sowieso nicht mehr, weil George Blanc uns zu einem Bauern mitgenommen hatte, wo wir zusahen, wie zwei alte Frauen die Hähne bei lebendigem Leibe kastrierten. Auch Carnivoren haben ein Herz für Tiere.
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2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Rainer Baumann |

    Verehrter Herr Siebeck, unlängst kaufte ich beim Migros in Freiburg 2 Bressehühner. Und war wieder mal enttäuscht. Sie schmeckten nicht besonders. Ich hatte sie anders in Erinnerung. Aber die Erinnerung kann täuschen.
    Und natürlich schmecken sie vor Ort immer besser. Schade.

  2. Cassandra |

    Lieber Herr Baumann,

    ich lebe in Frankreich und kann Ihren Eindruck nur bestätigen. Es gibt auch in der Bresse alle Qualitäten. Der Preis auf französischen Großmärkten schwankt je nach Güte ganz erheblich. Die Bresse war einmal ein bukolisches Land, inzwischen gibt es auch dort riesige Schlachtfarmen.

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