WIENER SCHMUS

Wieder mal in Wien gewesen und nach Veränderungen gesucht. Das Resultat muss für jeden wirklichen Freund der barocken k.u.k.-Metropole beruhigend sein: es hat sich nichts verändert. Die Geschäfte im 1. Bezirk sind eleganter und teurer geworden, das Kilo Steinbuttfilet kostete bei Meindl am Graben 100 Euro, und vor dem Kunsthistorischen Muserum stehen asiatische Reisegruppen schlan­ge, um sich drinnen vor dem Haupt der Medusa zu gruseln, das P.P.Rubens vermutlich gemalt hat, um seine Kinder damit zu erschrecken, wenn sie den Teller nicht leer essen wollten.

In Wien dreht sich – wie zur Zeit überall – vieles ums Essen. Zwar gibt es keine Diskussion um fleischloses Essen, welches für die Liebhaber des Tafelspitz‘ so unnatürlich wäre wie bei uns das Thema Allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung. Dass aber die Qualität der Nahrungsmittel besser kontrolliert werden müsse, ist nicht nur an den Tischen in den Beisln ein Thema. Nicht zu Unrecht sind die Österreicher stolz darauf, dass in ihrem Land früher als woanders der Öko-Gedanke Früchte getragen hat. Sie sind auch stolz darauf, dass es in ihrer Gastronomie so viele Haubenköche gibt, wie sie die vom Gault/Millau dekorierten Küchenchefs nennen. Merkwürdigerweise machen sie sich keine Gedanken darüber, dass der Guide Michelin nach einem kurzen Intermezzo im Land wieder verschwunden ist. Das ist verdächtig.

Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die erste besagt, dass die Wiener den Michelin nicht gekauft haben, weil er sich weigert, ihren Köchen Hauben zu verleihen anstelle der blöden Sterne. Hauben verhalten sich zu Sternen wie Erdäpfel zu Kartoffeln. Hauben trugen in Wien traditionell die Großmütter, und nur wenn sie vom Wolf gefressen wurden, gaben sie ihre Haube an den Isegrimm weiter.

Mit anderen Worten, so eine Haube gehört zur austriakischen Identität, über die sich die identitätsversessenen Wiener stundenlang ereifern können. Dass sie jedoch kein Wort über den so schnell wieder verschwundenen roten Guide verloren haben, ist auffällig. Dadurch stehen sie nämlich in dem Verdacht, sich für verfeinertes Essen nur zu interessieren, wenn es patriotische Gene hat. Das klingt auf den ersten Blick beleidigend.

Vor allem die wenigen Spitzenköche des Landes haben jahrelang gehofft, mit dem internationalen Küchen-Oscar gewürdigt zu werden, den drei Michelin Sternen. Stattdessen müssen sie sich von der Kronenzeitung fragen lassen: „Großmutter, was hast du für große Hauben?“

Das interessiert die Wiener wenig. Denn sie essen ja jede Woche ihren geliebten Tafelspitz! Das Beuscherl, den steirischen Sterz! Und hat nicht das klein­s­­­te Lokalblatt einen Journalisten abge­stellt, der die Knödel der Um­­gebung wohlwollend beurteilt?

Das Resultat ist eine Überbewertung der heimischen Hausmanns­kost, so sympathisch die in den Augen der Besucher aus dem Norden auch sein mag, die zu Hause nichts Vergleichbares besitzen.

Doch in ihrem Stolz, sich von den deutschen Kartoffeln durch ihre k.u.k.-Erdäpfel zu unterscheiden, haben die Österreicher übersehen, dass letztere eine wörtliche Übersetzung aus dem Französischen sind: Pommes de Terre.

Diese scheinbare Ignoranz gegenüber der Geschichte der Kochkunst wird erklärlich, wenn man sich erinnert, dass die Kaiserlich und Königliche Monarchie spanische Ahnen hatte, mit den Franzosen aber traditionell verfeindet war.

In dieser Hinsicht bleibt lediglich rätselhaft, warum sie in den Wiener Cafés so exzellenten Kaffee machen, wo sie doch mit den Türken ständig über Kreuz waren.

2 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. katha |

    dass der kaffee in den wiener kaffeehäusern „exzellent“ sein soll, kann nur ein geographisch erklärbarer irrtum sein. wer aus deutschland kommt, mag das so empfinden, weil kaffee in deutschland selten gut schmeckt – zu viel säure, zu wenig know-how bei der zubereitung. aber gut ist kaffee auch in den meisten wiener kaffeehäusern nicht. das lassen bloß die großen mengen obers und die torten dazu vermuten.

  2. cmling |

    Ich finde es lieb, daß Sie den Meinl so schreiben, wie die Wiener ihn aussprechen.

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