FREUNDSCHAFT! FREUNDSCHAFT!

Frau HoffmannIn diesen Tagen und Wochen ist viel von Bildung die Rede. Wie wir unsere Kinder damit infizieren, wie wir ihnen beibringen, Gottfried Benn nicht mit Ben Laden zu verwechseln.

OK, so wichtig ist der Unterscheid auch nicht. Beide sind tot und damit weit unterhalb der Bedeutung des Deutsch-Fran­zösischen Freundschaftsvertrags.

Gestern haben wir ihn also gefeiert, den 50. Jahrestag der Deutsch-Französi­sche Freundschaft. Und weil hier im Badischen Grenz­gebiet dem Mythos des Lokalen fast täglich auf die eine oder andere Weise gehuldigt wird, nannten wir den event eben nicht event, sondern Elsässisch-Badisches-Gipfeltref­fen. Die gravitätisch klingende Bezeichnung musste sein, weil durch die gegenseitigen Besetzungen und Besatzungen in beiden Provinzen ein unguter Respekt vor der Bürokratie der anderen herrscht; die vielen „Adler“ („Aigle“) genannten Gasthöfe erinnern daran. Außerdem hätten wir Einladungen an Einzelpersonen verschicken müssen, wozu keiner Lust hatte, schließlich sollte das Ganze ein Chaos-Gipfel werden, mit dem ich als Gastgeber möglichst wenig zu tun haben würde.

L1040097Die Idee stammte von Raymond E. Waydelich, ein Freund des Hauses, Künstler, Kulturvermittler, Hans-Dampf-in-allen- Gassen, der mal auf dieser Seite des Rheins anzutreffen ist, mal auf der anderen. Er spricht perfekt Elsässisch und Alemannisch; die anderen Sprachen, in denen er sich auzudrücken beliebt, sind eher unverständlich.
Dieser einfallsreiche Unruhestifter erklärte unsere Burg kurzerhand zur Tür, die jedem offen stünde, der dem völkerverbindenden Ereignis einen halben Tag opfern wolle. Das bestand nach seinen – nach unser aller – Vorstellungen in geselligem Essen und Trinken.

Also passierten sie gestern unbeschadet den Burggraben, die Zugbrücke, die Bogenschützen, die gepanzerten Reiter, die Blei- und Pechgießer, sowie die hungrigen Löwen, weil die im Laufe der Jahrhunderte abgeschafft worden waren. Als erster kam am Tag zuvor der Winzer Lothar Schwörer aus Schmieheim, der gleich hinter dem Hügel wohnt und sogar an der Burg eine Ehrenkompanie Burgunderreben angepflanzt hat. Er stellte eine größere Auswahl seiner Produktion in den Jahrhunderte alten, kalten Gängen ab.

L1040131Vierundzwanzig Stunden später tauchten vier Köche auf, die einen Kleintransporter aus Sélestat in ihre Gewalt gebracht hatten. Auf Deutsch hieß der Ort einmal Schlettstadt und ist berühmt dafür, dass in seinen Mauern die Firma Spiegel residiert, eine der größten Lieferanten für essbare Edelprodukte. Zufälligerweise enthielt der Van all die Leckereien, die der vom Wochenende ausgehungerte Mensch am Montag braucht, um seinen Magen mit einem Freundschaftsessen zu beruhigen.

Danach trudelten die anderen ein, die Hungrigen und Durstigen, welche hier am Oberrhein die Mitteklasse bilden. Von arm bis reich, von jung bis rüstig; Sexisten, sofern es Männer waren, deren feministische Opfer, journalistische Senfbeisteurer, Fotografen, Fabrikanten, Achterbahnfahrer, Angler, Eisverkäufer, Orgelbauer – wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen?, fragte schon Friedrich Schiller. Tut mir leid, Kollege, ich kannte auch nicht jeden der Okkupanten. Aber soviel ließ sich feststell­en: Sie waren alle gut gelaunt, aßen und tranken um die Wette und versprachen, beim nächsten Treffen auf der Burg wiederzukommen.

Hier ist ein Auszug aus der Speisekarte, die es natürlich nicht gab. Das Volk drängte sich in der Küche um den Herd.

Dort füllten die Köche die Teller, mit dem sich die Gäste in eines der Gemächer verzogen. Die Köche und ihre Spezialitäten waren:
Christoph und Sandra Schaeck vom „Adler“ in Oberprechtal. Er hatte zu Haus noch zwanzig Zentimeter Schnee schippen müssen, bevor er sich mit seinen (und meinen) Lieblingsprodukten In Bewegung setzte. Er hatte seinen Kombis bis zum Dach mit den verpönten Innereien beladen.

Jean-Philippe Hellmann hat mit dem Schnee kein Problem. Sein Gasthof „a l’Aigle d’Or“ in Osthouse liegt wie unsere Burg im Rheintal, und wer sein Auto nicht täglich braucht, kommt hier auch schon mal ohne Winterreifen durch die kalte Jahreszeit. Als Elsässer und langjähriger Schüler von Paul Haeberlin ist er auf die Fettleber der Gans spezialisiert, und das bewies er auch mit Bravour an diesem denkwürdigen Tag.

Natürlich gab es auch einen Überraschungsgast. Er hieß Martin Kammerer und betreibt an der A 5 die beiden gegenüber liegenden Raststätten Mahlberg. Ich wusste nicht – und auch für alle Nachbarn war es ein Geheimnis – dass dieser pfiffige Mensch ein große Liebe zur Feinschmeckerei besitzt und der Erfinder des Eatburgers ist. Das sind kleine, appetitliche Hamburger, welche auf den flüchtigen Esser wirken, wie die USA durch ein umgedrehtes Fernglas betrachtet, aber in einer ganz anderen Liga spielen, als die zum Fast-Food-Symbol gewordenen McDonalds Produkte. Seine kleinen Appetithäppchen waren die ersten Hamburger, die je auf der Burg gebraten und zusammengesetzt wurden.

Dazu werden dann die ersten Flaschen mit rosa Sekt geöffnet, während Patrik König, der Konditor aus Oberprechtal seine Schwarz­wälder Kirschtorten auspackt, und das erwartungsvolle Volk sich in der Küche drängt und der unausrottbaren Vorliebe aller Müßiggänger frönt: arbeitenden Mitmenschen bei der Arbeit zuschauen.
Meine Burgküche ist nicht klein, dennoch war es ein Wunder, dass alle hineinpassten; denn auf den Tischen stapelten sich die Viktualien wie auf dem Pariser Großmarkt: Nieren im eigenen Fett, bergeweise Kutteln, fertig präparierte Lammschultern, sorgfältig zubereitete Lammkarrees, Kartoffelscheiben, Feldsalat, Fonds, während die fleißige Christine dafür sorgte, das die Gläser mit den vorzüglichen Weinen des Lorhar Schwörer nicht leer wurden. Dabei verblüfften einige Blauburgunder „Alte Reben“ der Jahrgänge 2007 und 2008, deren Sortenreinheit und Eleganz sich mühelos mit Flaschen aus anderen Wein­dörfern Badens messen können. (Und bestätigten meine ständig erhobene Klage über die ungerechtfertigte Bevorzugung junger Weine.)

Zu der Torte aus dem Schwarzwald gesellten sich noch die eindrucksvollen Chili-Pralinen des Offenburger Chocolatiers Discher, bevor alles in einem Strudel aus Genuss und Völlerei verschwand.

Den Rest des Deutsch-Französischen Freundschaftsessens zu beschreiben maße ich mir nicht an, weil auch einem Gastgeber, der angeblich mit Nichts belästigt werden soll, irgendwann das Pulver ausgeht. So entging mir der späte Aufbruch meiner Gäste und das Eintreffen der Polizei, die sich vorsorglich erkundigte, ob der Schwedenkönig Gustav Adolpf erneut zum Sturm auf die Burg angetreten sei oder die Marsmännchen gelandet waren. Ich schlief tief und traumlos.

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