NICHT NUR AM KUDAMM

Frau HoffmannAuch Martin Kippenberger hat es nicht länger als drei Jahre in Berlin ausgehalten. Er war ein Bohemien, also ein früh verstorbener Vollblutkünstler, der, wie mein Freund Topor in Paris, die Öffentlichkeit brüskierte, in allen Tonarten pfeifen konnte, vor allem aber auf die im Kunstbetrieb üblichen Kon­ventionen. Jetzt haben sie ihm eine riesige Ausstellung im ehemaligen Hamburger Bahnhof gewidmet (Topor, obwohl ebenfalls tot, hat es in Paris noch nicht so weit gebracht), die alles enthält, was jemals von diesem Berserker zu Kunst erklärt wurde.

In den kilometerlangen Hallen, wo bis vor hundert Jahren Lokomotiven gewartet wurden, und die heute Kippenbergers Bilder, Drucke, Plakate, Skulpturen und Maxi-Basteleien enthalten, einschließlich der gekreuzigten Frösche, stellt sich die Frage, ob es irgendwo auf der Welt auch nur einen von ihm signierten Bierdeckel zu entdecken gibt. Seine Forderung „Berlin muss neu gestrichen werden“, blieb jedenfalls unerhört.

Sie streichen die Stadt tatsächlich nicht, weil Grau in allen Abstufungen der Hässlichkeit für die adäquate Farbe gehalten wird, um die Millionen erhoffter Touristen anzulocken. Für die wird nicht gestrichen, sondern gebaut. Und zwar Hotels.

Wenn die Chinesen nicht kommen, wird man künftig in Berlins Grand-Hotels so billig wohnen können wie in keiner anderen Metropole; denn weitere Luxusherbergen sind im Bau. Ganz neu ist das Waldorf Astoria Hotel am Bahnhof Zoo.

Das Waldorf hat eine kulinarische Attraktion ersten Ranges nach Berlin gelockt, nämlich den französischen Küchenchef Gagnaire, dessen Pariser Restaurant in der rue Balzac ich jedes Mal begeistert und voller Hochachtung verlassen habe. Wie er in seiner Berliner Dependance kocht, konnte ich leider nicht erfahren, da sie Samstag mittags geschlossen ist.

Aber ich konnte die Speisekarte studieren und staunte über die im Vergleich zu Paris zurückhaltenden Preise. Vier- und sechsgängige Menüs für 105 bis 140 Euro, darf man bei einem Kochkünstler seines Ranges als preiswert bezeichnen.

In dem neuen Hotel ist auch das „Romanische Café“ untergebracht (zur Erinnerung an den gleichnamigen Künstlertreff der Zwanziger Jahre), dort aß ich statt Gagnaires Wildhasen in drei Gängen für 85 € pro Person (ohne Garantie, dass der Meister den Hasen, der jetzt Schonzeit haben müsste, persönlich eingefroren hatte), ein sehr leckeres Stück Apfel/Birnentorte für 6 Euro, während Barbara, bescheiden wie selten, sich mit einem 2-Euro-Kuchen begnügte, der aber auch nicht schlecht war. Man sitzt ganz gut in diesem Cafe, wo die Servietten sogar aus Stoff sind, wenn auch winzig wie ein Kleenex.

Ich hatte leider keine Gelegenheit, im Waldorf Astoria zur Probe zu wohnen, da nur 200 Meter entfernt im Swissôtel ein Saal voll hungriger Leser bei der Blumenkohlsuppe mit meinen Geschichten unterhalten werden wollten.

Vom Restaurant des Swissôtels, das auch als Frühstücksraum herhalten muss, hat man einen fabelhaften Ausblick auf die Bausünden, die sich der Senat in den letzten fünfzig Jahren geleistet hat. Hier wird der Schmäh, Berlin sei die hässlichste Stadt Deutschlands, durch jeden bebauten Quadratmeter als peinliche Wahrheit bestätigt.

Immerhin kochen sie im Swissôtel nicht so schlecht. Für ein fünfgängiges Festmenü anlässlich der „eat!Berlin“ benutzte die Küche zwar jede Hintertür, um das Einheitsmenü so modern wie nötig und so kostensparend wie möglich zu realisieren. Bei manchen Gängen wie der geräucherten Forelle in der Sardinendose plus Steckrübenmeteorit, erreichte sie ihr Ziel mühelos, auch wenn ich mich erinnerte, dass ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich Frau Hoffmann ihr Futter in der Blechdose servierte anstatt es ihr, wie es eine seriöse Katze erwartet, auf Meissner Porzellan darzubieten.

Aber das Blumenkohlsüppchen war delikat und durch ein integriertes Apfelsorbet sogar originell.

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