FINGER WEG

Frau HoffmannWas für eine Woche! Für jeden Genießer hatte sie eine Sensation in Petto: Ein neuer Papst, eine alte Agenda, Bärlauch blüht, die schöne Anne grillt den pfiffigen Peer. Und im Noma kriegen alle Gäste Brechdurchfall.

Noma ist der Name des angeblich besten Restaurants der Welt, und Brechdurchfall ist eine Krankheit, die schon viele Touristen erleiden mussten, die das Pascalsche Gesetz miss­­achteten: Bleib zu Hause, und du bleibst gesund.

Das Noma liegt in Kopenhagen. Um dort zu essen, muss man sein schützendes Haus verlassen. Ebenso wenn man die Fat Duck bei London besuchen will. Angeblich das zweitbeste Restaurant der Welt. Auch dort erkrankten eines Tages die Gäste an Brechdurchfall.

Ich habe in beiden Restaurants gegessen, und es ist mir gut bekommen. Ein bisschen gewundert habe ich mich schon über die kleinen Portionen und ihre großen Preise, aber das war mir nicht fremd, da ich häufig in weltbesten und zweitbesten Restaurants esse. Ich glaube sogar, dass ich den Brechdurchfällen in den Jahrzehnten meines Berufes nur entgangen bin, weil ich in den besten Restaurants gegessen habe. Denn normalerweise grassiert diese Plage in weniger guten Restaurants. Es wird bloß nicht so aufgebauscht, weil ein Ausflugsdampfer auf der Mosel mit einer Ladung brechender Durchfäller keine Sensation bedeutet. Auch in der Economy Class von Langstreckenfliegern erregt eine Frühgeburt mehr Aufsehen als die Serienopfer der billigen Bordverpflegung.

Es ist der Schmutz, es sind Bakterien, die ganze Reisegruppen außer Gefecht setzen. Massenverpflegung in Form von Großküchen kann kriegsentscheidend sein. Vielleicht ist Napoleon deshalb in Moskau so kläglich gescheitert, vielleicht war auch unsere 6. Armee des General Paulus ein Opfer des Brechdurchfalls.

Nach Ansicht eines Kollegen von der ZEIT, war es die moderne Küche. Die Mode, nichts durchzubraten, nichts richtig gar auf den Tisch bringen, wie sie vor allem in Gourmetrestaurants befolgt wird, sei, so glaubt der Kollege, schuld an der Touristenkrankheit. Denn nur dort, klagt er, werden die extremen Techniken der Niedrigtemperatur konsequent angewendet.

Damit hat er Recht. Aber sie werden in den gastronomischen Topadressen penibel und mit größerer Präzision benutzt als sonstwo; sachkundiger jedenfalls als in den Privatküchen der Amateure, wo Langzeitgarung bei Niedrigtem­peratur längst keine Ausnahme mehr ist. Wenn aber ein Chef wie Ducasse 62 Grad Celsius als ideale Temperatur zum perfekten Garen für ein bestimmtes Stück Fleisch ermittelt, dann ist das für eine Meisterleistung nicht weni­­ger verbindlich als die Ventileinstellung an einem Formel-1 Motor. Pannen gibt es nur dort, wo Halbtalente experimentieren.

Nun ist das Experiment das einzige Mittel, mit dem ein Spitzenkoch den Weltmeistertitel erringen kann. Wenn so einer früh morgens durchs nordische Unterholz robbt und von Elchen bepinkeltes Moos sammelt, damit er seinen Mittagsgästen etwas Originelles vorsetzen kann, dann ist tatsächlich Gefahr im Verzug. Aber darin die Ursache regelmäßig wiederkehrender Brechdurchfälle zu sehen, wie der Kollege von der ZEIT, halte ich für ideologisch, vor allem wenn er mit seiner Mahnung ‚Finger weg vom Fleisch‘, ganz unverhüllt seinen Vegetariern Zucker gibt.

Vergammelte Lebensmittel, mumifizierte Steaks, faules Gemüse – all das hat es immer und überall gegeben. Am wenigsten jedoch in Gourmetrestaurants. Dort wird nur strenger auf den Rauch geachtet, der aus dem Ofen quillt. Stinkt er ekelhaft, ist die Gemeinde der Feinschmecker geschockt, was dem Boulevard fette Schlagzeilen wert ist. Wer aber wissen will, woher die Bakterien kommen, welche für Erbrechen und Durchfall verantwortlich sind, der sollte sich in die Küche eines Spitzenkochs begeben und zusehen, wie dort gearbeitet wird. Alles picobello. Zwanzig Minuten nach jedem Service könnte man vom Fußboden essen. Da sind die Saubermänner unerbittlich.

Doch die in den adretten Kochjacken sind meistens auch Kochkünstler. Und was die Kellner in den Speisesaal tragen, sollen Kunstwerke sein. Die entstehen nicht maschinell, sondern in Handarbeit. Nämlich mit den Fingern. Kein einziger Teller verlässt die Küche eines Superkochs, ohne von ihm und seinem Team sorgfältig dekoriert worden zu sein.

Jeder Champignon, jeder Pinienkern, jedes Taubenherz wird einzeln und sorgfältig mit den Fingern an eine bestimmte Stelle des Tellers platziert, das Lammkotelett vom Chef gerade gerückt und mit zweieinhalb Tropfen Essig veredelt. Auch dazu benutzt er seine Finger, indem er mit dem Daumen, den Ausguss der Flasche kalibriert.

Bei vier Köchen am Pass und fünfzig Gästen finden die Bakterien eine Menge Möglichkeiten, dem Festessen einen eigenen Charakter zu verleihen. Insofern war der Ausruf des Kollegen von der ZEIT berechtigt: Finger weg vom Fleisch. Nur hatte er es anders gemeint.

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Ja, ja, der Frühling ist da, und alle freuen sich.

Wie bitte? Sie nicht? Willkommen im Club. Ich auch nicht. Weil ich die schrecklichen Salate leid bin mit ihrem faserigen Rucola, den Kirschtomaten mit der unpassenden Süße, den matschigen Avokados, dem rohen Wintergemüse, aufgebrezelt mit der Bärlauchpesto genannten, grünen Pampe, die in der Gastronomie die Rolle der entthronten Kürbissuppe eingenommen hat. Kurzum, in der Frühlingsküche tummeln sich Statisten der zweiten Garnitur, Chorgirls statt Solostars

3 Comments | Hinterlasse einen Kommentar

  1. Thea |

    Ja, ja, ja, zu allem bis hin zum Postscriptum. Ich bin so kühn, von einem Gleichklang der Herzen zu sprechen. Ich wünsche Ihnen und der Frau Gemahlin ein schönes Wochenende, ganz nach Ihrem Mahlberger-Schloss-Gusto.

  2. Jürgen |

    Ich kann bestätigen, daß in der Spitzengastronomie äußerst hygienisch gearbeitet wird. Einmal konnte ich einem deutschen Dreisternekoch beim Dekorieren eines Teller zuschauen. Nicht mit den Fingern, sondern mit der Pinzette hat er die einzelnen Zutaten arrangiert. Die Küche wirkte trotz Hochbetrieb fast klinisch sauber.

  3. spill |

    Mir hat mal vor Jahren ein Zahnarzt in den offenen Mund gehustet.
    Das im Gegenlicht fliegende Speicheltröpfchen war klar erkennbar.
    Es geht mir gut, – jedoch sehe ich nun jedweden arbeitenden Koch ohne Gummihandschuhe und Mundschutz äußerst kritisch.
    Calamares jeglicher Art nun, – die Konsistenz vermittelt Hygiene.

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